Der Opel Olympia Rekord 1953 wird 60!

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Clubmagazin Nr. 219 19. REPORT. Der Opel Olympia Rekord 1953 wird 60! Eine persönliche Erinnerung. Wir schreiben die zweite Hälfte der. 50er Jahre.
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3-Pässe-Sommerfahrt hier auf dem Oberalppass

Der Opel Olympia Rekord 1953 wird 60! Eine persönliche Erinnerung

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ir schreiben die zweite Hälfte der 50er Jahre. Damals besass mein Vater noch keinen Wagen: der erste sollte ein Barock-Taunus zweitürig Deluxe sein der erst im Jahr 1959 gekauft wurde. Ich werde später noch draufkommen. Die Familie bewegte sich deshalb mit dem Zug und mit dem Postauto, das damals noch die bekannte lange Haube hatte und den schönen Dach zum Aufmachen: Car Alpin (oder auf Deutsch Alpenwagen) wurde es genannt. Aber ab und zu hatten wir die Gelegenheit, mit dem Wagen eines engen Freundes und Kollegen meines Grossvaters zu reisen: Angiolino (wörtlich übersetzt: „Engelchen“) besass einen wunderschönen Opel Rekord Bj. 1953, einen Wagen, der mich so stark beeinflusste und prägte, dass meine Leidenschaft für die Rüsselsheimer Marke damals begann. Schwarz war er

und immer bestens gepflegt: er strahlte immer blitzblank unter der Tessiner Sonne weil Angiolino ihn regelmässig polierte. Angiolinos Frau war eine sehr sympathische Person: Anna war mit meiner Grossmutter sehr befreundet. Sie war sehr offen und immer zum Lachen und zum Scherzen bereit. Sie war aber sehr dick und jedesmal wenn sie in den schwarzen Wagen einstieg, stand dieser schief! Wir Kinder warteten gespannt, bis sich der Wagen auf die Seite legte und lachten amüsiert. Angiolino fuhr mit dem Rekord bis hoch in die Berge des Kantons Graubünden, wo beide Familien ihr Ferienhaus besassen. Er parkte der Wagen im Schatten unter einem hohen Tannenbaum. Aber da bekanntlich der Lack vom Harz der Tanne oder von einem plötzlichen Hagelschlag beschädigt

werden konnte, wurde der Rekord immer unter einer Plane gestellt und die Räder mit Karton geschützt, weil die starke Sonne die Diagonalreifen beschädigen konnte. Man muss sich die Fahrt bis zum Monte Laura vorstellen: die enge kurvenreiche Strasse, die bis in die 70er Jahren ungeteert blieb, ermöglicht einen Höhenunterschied von sage und schreibe 1100 Meter auf 10 Km zu überwinden. Diese Fahrt war für den Rekord sehr anstrengend, da der Wagen nicht nur Proviant und Gepäck für die Ferien zu transportieren hatte, sondern auch die dicke Anna. Die 3 Gänge halfen da nicht besonders: einen 4. Gang wäre sicher angebracht gewesen, war aber eben nicht vorhanden. Bis 1963 fuhr der Opel jeden Sommer von Bellinzona bis zum Monte Laura und zurück, ohne jegliche Beanstandung. 1964 wurde er von

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Angiolinos Rekord

einem hellgrauen Peugeot 404 ersetzt. Angiolino war ein Spassvogel immer bestens gelaunt. Er war – wie mein Grossvater – begeisterter Lokführer bei der SBB. Als Autofahrer war er aber nicht besonders begabt: ich kann mir vorstellen, dass die einzige regelmässige Reparatur die am Wagen gemacht wurde, könnte eine neue Kupplung gewesen sein! Bei Anfahren am Berg, z.B. nach einem Ausweichmanöver mit einem entgegenkommenden Wagen, heulte der Motor wie ein Venom-Flugzeug beim Start und die Kupplung

rutschte! Schon als Kind hatte ich mich öfter gefragt, wie konnte der schöne Wagen diese ungeschickten Manöver erdulden. Angiolino konnte einfach die Pedale nicht so recht synchron bewegen. Aber ein Opel ist bekanntlich zuverlässig und jedes Mal fuhr er trotzdem weiter! Jeder Fahrer – und unser Freund insbesondere - achtete damals immer auf den Fahrplan des Postautos, um es auf dieser Bergstrasse zu vermeiden: auch beim Rückwärtsfahren war Angiolino nicht besonders begabt und es hiess deshalb

Der dunkelgraue Rekord wird von Willi Thommen auf den Opel Blitz verladen (1999)

Auf der Lukmanierstrasse am Tag nach der Hochzeit (1984)

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Franca vor der Sonderprüfung der Coupe Des Dames

entweder vor oder nach dem Postauto die Strecke befahren. Das letzte schöne Postauto, das auf dieser Bergstrasse eingesetzt wurde war übrigens ein Berna 2 UP vom Typ Alpenwagen II Bj. 1947-48 mit dem robusten 4-Zylinder-Dieselmotor, wahrscheinlich von Hess oder Gangloff karrossiert, mit 25 Sitzplätzen und dem schönen Kurbeldach zum Öffnen. Der Fahrer war uns bestens bekannt und meine Schwester und ich – beide Kinder der 50er Jahren - konnten kaum erwarten, in Begleitung der Grosseltern mit dem wunderschönen hellgrauen Berna hinauf zu fahren. Wir fragten den Fahrer vor der Abfahrt, er möge bitte den Dach aufmachen: wir wollten unbedingt den blauen Himmel, der uns bergauf immer näher vorkam, voll geniessen. Der geduldige Fahrer, selber ein Familienfreund, ging immer unserem Wunsch nach und kurbelte fleissig bis die pralle Sonne das Wageninnere aufhellte. Für uns war diese Fahrt ein Erlebnis für sich allein und bedeutete zugleich der Beginn der wochenlangen Ferien. Diese Bergstrecke hat heute noch einen Tunnel: bei offenem Dach regnete es immer drin, da die Feuchtigkeit im Tunnel hoch war. Ich habe erst Jahrzehnte später entdeckt, dass damals die Wagen der Postautohalter immer hellgrau lackiert waren – statt gelb wie diejenige der PTT-Regie –. Berna hatte die Initialen des Postautohalters Emanuele Pacciarelli (EP) von Grono GR auf der Tür von Hand bemalt bekommen. Die Sitze waren aus dickem unverwüstlichem Leder und der legendäre 3-Klang-Horn wurde vor jeden engen Kurve betätigt. Der Taunus 17M meines Vaters erwies sich für diese Bergfahrt mitten im Wald als völlig ungeeignet. Obwohl 6 Jahre jünger als der Rekord, konnte er nie den Monte Laura ohne eingeschaltete Abkühlungspause erreichen. Mein Vater kochte selber vor Wut als er anhalten musste, insbesondere dann, wenn Angiolino mit dem voll gepackten Rekord froh und munter und stets gutgelaunt uns beim Vorbeifahren winkte! Langsam aber sicher hat der Opel die sommerliche Lokalität jedesmal ohne Pause erreicht. Sie können deshalb verstehen, warum ich immer mit Angiolino fahren wollte, sehr zum leid meines Vaters. Der

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dumme Ford war für mich eine Niete. Ich hatte 1959 die Diskussion meiner Eltern zugelauscht als die dabei waren, einen Wagen zu kaufen und Prospekte studierten: Austin Cambridge? Borgward Isabella? Ford Taunus?. Ich rannte hin mit dem Zeitungsinserat in der Hand und sagte: so einen Wagen müsst ihr kaufen, einen wunderschönen Opel P1 mit den modernen Panoramascheiben, der aber von meinen Eltern leider nicht geschätzt wurde. Na ja, hätten sie auf mich gehört… Zwei Jahre später wurde der Ford bei einem schweren Unfall demoliert und da hiess es fortan: nie wieder Ford. Mein Vater kaufte dann einen ersten und dann einen zweiten Peugeot 404 und später eine Reihe Mercedes bis die Familie von der AmiWelle überflutet wurde. Mit dem Rekord des Familienfreundes haben wir mehrere Fahrten auch nach Italien gemacht, zum Beispiel nach Stresa zum Wochen-Markt. Ich erinnere mich insbesondere auf eine Sommerfahrt, die für uns unvergesslich blieb: der Rekord roch stark nach Benzin und meiner Mutter und meiner Schwester wurde es bald übel. Mir machte das Benzingeruch nichts und Angiolino ebensowenig: er konnte nichts riechen und fuhr unbeirrt bis zum Ziel weiter! Unsere Frauen waren alle kreideweiss bis hellgrün; Anna und Angiolino schwatzen und scherzten mit mir die ganze Strecke und ich habe noch vor meinen Augen die verstellten Gesichter meiner Mutter und meiner Schwester die nicht mal imstande waren, ein einziges Wort auszusprechen! Anfangs der 80er Jahren erwarb ich den Rekord 53 vom Freund Riccardo Schlee *103: die Erinnerungen an den Rekord des Familienfreundes waren so gross, dass ich einfach so einen unbedingt besitzen musste. Dieser für mich erste Oldtimer war dennoch nicht schwarz sondern sandgrau. Er wurde neu lakkiert, die Sitze und die Türverkleidungen wurden neu bespannt und jahrelang fuhr ich diesen schönen und zuverlässigen Wagen. Im September 1984 war es soweit: Fräulein Franca Stadler wurde meine bessere Hälfte. Und noch vor der Hochzeitsreise (mit dem 1981 neu erworbenen Rekord E 2.0 S in MontanaAusführung, orange mit schwarzem

Vinyldach) sind wir mit dem 53er noch kurz in Richtung Lukmanier gefahren. Franca und ich haben schöne Treffen mit dem Rekord 53 besucht: einmal fuhren wir bis Frauenfeld. Bei der Rückfahrt musste ich in Bonaduz tanken: der Wagen wollte dann nicht mehr anspringen. Meine bessere Hälfte regte sich auf: wie kommen wir nun nach Hause? No Problem, sagte ich ihr: Kofferdeckel auf, Koffer raus, Handhebel des Wagenhebers als Hammer benutzt und damit auf den Anlasser kurz geklopft. Alles wieder rein, Kontakt eingeschaltet, Anlasser-Pilz am Boden gedrückt und der fleissige Wagen sprang sofort an. Meine bessere Hälfte war von meinen Fähigkeiten schier begeistert und konnte sich voll überzeugen, dass der Wagen sensationell zuverlässig war. Soviel begeistert, dass sie sich einige Monate später überreden liess, mit dem Rekord die „Coupe des Dames“ des Schw. Motor-Veteranen-Clubs zu fahren und den 2. Platz zu erreichen. Sie hatte dabei zum ersten Mal einen Wagen mit 3-Gang-Getriebe – dazu noch am Lenkrad - gelenkt. Das waren noch Zeiten! Heute bevorzugt sie unsere Automaten. Es wundert nicht, dass unser sandgrauer Rekord stets problemlos den Monte Laura im Bündnerland erreicht hat. Bei jedem Wetter, auch einmal bei Nebel und Sturm: es regnete in Strömen und die Sicht war sehr eingeschränkt. Aber im ersten Gang bewegte sich der Scheibenwischer bekanntlich schneller, sodass die Strasse einigermassen zu erblicken

war und die sommerliche Lokalität trotz mieser Wetterverhältnisse erreicht wurde. Im Juli 1990, als Franca hochschwanger war, hatte ich mit anderen Freunden eine schöne 3-Pässe-Fahrt organisiert: St. Gotthard, Oberalp und Lukmanier. Wir fuhren den 53er Opel der sich einmal mehr als sehr zuverlässig und bequem erwies. Zwei Wochen später erblickte unser Adam die Welt. Sie dürfen fragen, wo dieser Wagen geblieben ist. Selbstverständlich immer noch bei mir, wie der Rekord E. Aber er steht aufgebockt seit 1993, weil er nicht mehr „zwäg“ ist: er braucht mehrere Reparaturen und wird nur als Ersatzteilespender benutzt. In der Zwischenzeit – nämlich im Mai 1999 – habe ich von Willi Thommen einen anderen, gesunden dunkelgrauen Rekord 1953 mit vielen Ersatzteilen erworben. Er wird im nächsten Jahr instand gesetzt. Praktisch alle Neuteile sind nun vorhanden, inkl. der nach Originalmuster nachgewebte Stoff und der Kunststoff für die Sitze, den wir dank dem Engagement von Peter Flörsheimer rechtzeitig auf die Seite gelegt haben. Meine bessere Hälfte und ich wünschen uns, dass Adam seinen Spass mit diesem zuverlässigen und unvergesslichen Wagen mal erleben wird. Vom OpelVirus ist er wie seine Eltern sowieso infiziert. Die Voraussetzungen für viel Spass mit dem legendären PontonRekord sind also gegeben.

Mattia Ferrari *782

Saurer Alpenwagen II Bj. 47-48

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