23 Lungenembolie und Lungeninfarkt

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23 Lungenembolie und Lungeninfarkt. B.E.Strauer,M.P.Heintzen. 23. 23.1. Grundlagen – 402. 23.1.1. Lungenembolie – 402. 23.1.2. Lungeninfarkt – 403. 23.2.
23

23 Lungenembolie und Lungeninfarkt B. E.Strauer,M. P.Heintzen

23.1

Grundlagen

23.1.1

Lungenembolie

23.1.2

Lungeninfarkt

23.2

Allgemeine Therapieprinzipien

23.2.1

Soforttherapie

23.2.2

Spezielle Therapie

23.2.3

Rezidivprophylaxe und Nachsorge

Literatur

– 402 – 402 – 403

– 404

– 409

– 406 – 408

– 404

402

Sektion B · Atmungsorgane,Allergie

>> B

23.1

Die akute Lungenembolie ist eine häufige schwerwiegende internistische Erkrankung; in Deutschland werden jährlich 60.000 bis 80.000 Fälle diagnostiziert (Heintzen u.Strauer 1999).Unbehandelt ist die Sterblichkeit der Lungenembolie mit 30 % sehr hoch, bei adäquater und frühzeitiger Therapie kann sie deutlich reduziert werden.Trotzdem wird in einer der aktuellen großen Lungenemboliestudien die kumulative Sterblichkeit nach 3 Monaten immer noch mit 17,5 % angegeben (ICOPER-Studie,Goldhaber et al.1999). In Anbetracht der hohen Mortalität ist neben einer schnellen und sicheren Diagnostik v. a.eine rasche und adäquate Therapie der Lungenembolie in der Frühphase erforderlich, in der chronischen Verlaufsphase ist neben der Ursachenabklärung die Prävention eines Rezidives essentiell. Als frühe Komplikation der Lungenembolie entwickelt sich bei einem Drittel der klinisch manifesten Embolien ein Lungeninfarkt,etwa die Hälfte der Lungeninfarkte führen zur Infarktpneumonie (Dalen et al.1977). Bei chronisch rezidivierender Lungenembolie besteht das Risiko einer progredienten pulmonalen Druckerhöhung mit ungünstiger Prognose (Moser et al.1990).

Grundlagen

Im Gefolge eines embolischen Lungenarterienverschlusses (größer 50 % des Lungenarterienquerschnittes) entsteht das akute Cor pulmonale der Lungenembolie mit rechtsventrikulärer Druckbelastung (systolischer Druck > 30 mm Hg). Seltenere Ursachen des akuten Cor pulmonale sind eine schwere Hypoxie, ein Lungenödem, der Spontanpneumothorax oder ein akuter Asthma-bronchiale-Anfall (Strauer et al. 1983).

23.1.1 Lungenembolie Die akute Lungenembolie manifestiert sich klinisch als plötzlicher Herztod (postmortal gesichert), akutes Cor pulmonale oder akut einsetzende Dyspnoe ohne signifikante hämodynamische Veränderung (⊡ Tabelle 23-1; Dalen et al. 1977). Als Embolien kommen Thromben (in 80–90 % der Fälle), Fettgewebs- und Knochenmarkspartikel, Amnionflüssigkeit, Gewebs- und Tumorzellen, Bakterien und Parasiten sowie Luft oder Fremdkörper in Betracht (⊡ Übersicht 23-1).

Übersicht 23-1 Nosologie des Embolus bei akuter Lungenembolie  Thromboembolie – Thrombophlebitis (untere Extremitäten und Beckenvenen: 80–90 %.V.cava inferior und obere Extremitäten: 10–20 %) – Herzerkrankung (chronische) Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern, Kardiomyopathie,Endokarditis – disseminierte intravasale Gerinnung (z. B.Verbrauchskoagulopathie) – iatrogen (V.-cava-Katheter,V.-femoralisPunktionen) – prädisponierende Faktoren: Medikamente (Diuretika,Glucocorticoide,Antikonzeptiva u.a.), Malignome (Pankreaskarzinom u.a.)

 Fettgewebs- und Knochenmarkspartikel (10–15 µm) – Knochenfraktur,Verbrennung,Crush-Syndrom, Weichteilverletzung,äußere Herzmassage,Herzoperationen mit extrakorporaler Zirkulation, Lymphographie,Schlangenbiss

 Luft – Venentraumatisierung,chirurgische und geburtshilflich-gynäkologische Eingriffe,Abort,Herzkatheteruntersuchungen, i. v.-Injektionen und Infusionen, Retropneumoperitoneum

 Gewebe- und Tumorzellen – Trauma, Organpunktionen, operative Eingriffe, Chorionepitheliom, Nierenkarzinom, primäres Leberkarzinom, Magenkarzinom

 Bakterien und Parasiten – Schistosomiasis,Ankylostomiasis

 Amnionflüssigkeit – intrauteriner Fruchttod,Riesenbaby,vorzeitige Plazentalösung

 Fremdkörper – abgebrochene Injektionsnadeln,Venenkatheter

403

23 Lungenembolie und Lungeninfarkt

⊡ Tabelle 23-1. Lungenembolie: Kriterien der Klassifikation und der Schweregradeinteilung.(Nach Goldhaber et al.1986)

I. Akut,chronisch-rezidivierend II. Ausmaß der pulmonal-arteriellen Querschnittseinengung: klein (< 25 %)

submassiv (25–50 %)

massiv (> 50 %)

fulminant (> 66 %)

akute,kurzfristige Symptome

akute Dyspnoe Tachykardie

schwere,akute Dyspnoe, Kollaps

Schock

pO2 normal

< 80–90 mm Hg

< 60 mm Hg

< 40 mm Hg

III. Hämodynamischer Schweregrad [I–IV] IV. Lokalisation der Embolie (zentral,intermediär,disseminiert)

Chronisch rezidivierende Lungenembolien führen bei

unvollständiger endogener Spontanlyse zur chronischen pulmonalen Druckerhöhung. Bei Anstieg des mittleren pulmonal-arteriellen Druckes auf > 30 mm Hg nimmt die Lebenserwartung deutlich ab.

23.1.2 Lungeninfarkt Lungeninfarkte entstehen bei einem Drittel der klinisch manifesten Lungenembolien und führen in der Hälfte dieser Fälle zur Infarktpneumonie. Begünstigt wird das Auftreten des Lungeninfarktes durch die Verengung der distalen Lungenarterien bei gleichzeitiger Erhöhung des Druckes in den Lungenvenen. Dadurch wird die häufige Lokalisation der Lungeninfarkte in den unteren Lungenabschnitten und die erhöhte Inzidenz der Lungeninfarkte bei kardialen Grunderkrankungen und erhöhtem linksatrialen und -ventrikulären Füllungsdruck erklärt. Die Rückbildung eines Lungeninfarktes ist bei Patienten mit kardialer Grunderkrankung deutlich verzögert. Bei verzögerter Abheilung sind Kavernenbildung (aseptische Nekrose oder Abszessbildung) mit nachfolgender Gefahr der Ausdehnung oder Komplikation (Ruptur, Blutung, Pleuraempyem) möglich (Dalen et al. 1977).

Epidemiologie. Die akute Lungenembolie ist die dritthäufigste Todesursache überhaupt und die häufigste letale Lungenerkrankung. Autoptisch sind in bis zu 25 % aller Todesfälle Lungenembolien nachweisbar, von denen nur etwa ein Drittel klinisch erkannt war. Die jährliche Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose und Lungenembolie in der Bevölkerung der westlichen Welt wird auf 0,5–1 ‰ geschätzt (Torbicki et al. 2000). Die Lungenemboliehäufigkeit ist altersabhängig, deutlich mehr als die Hälfte aller Patienten sind älter als 60 Jahre. In etwa zwei Drittel der Fälle liegt gleichzeitig eine Herzerkrankung vor (Vitium cordis, Kardiomyopathie, Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörung).

! Das Risiko einer Thromboembolie ist bei Schwangeren etwa 5-mal höher als bei Nichtschwangeren, zwei Drittel der Lungenembolien treten postpartal auf. Differenzialdiagnose. Die Differenzialdiagnose (⊡ Über-

sicht 23-2) ist für eine rationale Therapie von grundlegender klinischer Bedeutung. In Abhängigkeit vom Schweregrad der Lungenembolie muss die diagnostische Klärung sehr schnell erfolgen und dann eine dem Schweregrad der Erkrankung angepasste Therapie unmittelbar begonnen werden. Eine zielgerichtete und sichere Diagnostik sowie eine schnelle, der

Übersicht 23-2 Differenzialdiagnose der Lungenembolie  akute Luftnot – – – – – – – –

Pneumothorax Lungenödem Pneumonie Asthma bronchiale Pleuritis Perikarditis Aktelektasen (Bronchusstenose) Pleura- und Lungentumoren

 akuter Thoraxschmerz – – – – – – – –

Angina pectoris,Myokardinfarkt Pleuritis Perikarditis Aortenaneurysma (dissezierend) Interkostalneuralgie akutes Abdomen Milzinfarkt Gallenkoliken, Pankreatitis

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 Unklarer Schock – – – – – – – –

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Myokardinfarkt Perikardtamponade Herzrhythmusstörungen (brady-/ tachykard) Aortenaneurysma (dissezierend) septischer,anaphylaktischer Schock Myokarditis Vorhofmyxom Endocarditis lenta

 Synkopen

– – – – –

zerebrale Embolien (Endokarditis u.a.) Intoxikationen Karotissinussyndrom Hysterie vagovasale Synkopen

 Tachykardie – – – –

Herzrhythmusstörungen Hochdruckkrisen (Phäochromozytom) schwere orthostatische Dysregulation vagovasale Synkopen

– zerebrales Krampfleiden – Hypoglykämien

Situation angepasste Therapie kann die hohe Letalität der schwerwiegenden Lungenembolie senken.

23.2

Allgemeine Therapieprinzipien

Eine Therapie ist wegen der hohen Mortalitätsrate (20–30 %) eines jeden akuten embolischen Ereignisses möglichst rasch und bereits bei klinischem Embolieverdacht einzuleiten. Ziel ist die Normalisierung der hämodynamischen Auswirkungen der Lungenembolie sowie die symptomatische Beschwerdebesserung und wirksame Rezidivprophylaxe. Die Therapie der Lungenembolie richtet sich nach Schwere und Stadium der Erkrankung (massive oder nichtmassive Lungenembolie, rezidivierende Lungenembolie, Lungeninfarkt) und nach den Möglichkeiten von Diagnosesicherung und Therapie. Demzufolge werden die ambulante Notfalltherapie (Verdachtsdiagnose), die stationäre Erstversorgung (wahrscheinliche Diagnose) und die klinische Therapie (gesicherte Diagnose) unterschieden (⊡ Übersicht 23-3).

– ggf.positiv inotrop wirksame Pharmaka – ggf.Schockbehandlung

 Gesicherte Diagnose (klinische Therapie) – – – – –

Allgemeinmaßnahmen, ggf.Schockbehandlung Thrombolyse ( Tabelle 23-1) ggf.begleitend bzw.postthrombolytisch Heparin Katheterfragmentation des Embolus chirurgische Embolektomie

23.2.1 Soforttherapie

Übersicht 23-3 Differenzialtherapie der Lungenembolie

Diagnostik und Therapie von Patienten mit Verdacht auf eine relevante Lungenembolie sollten unter Überwachungsbedingungen erfolgen. In der Akutphase ist neben den allgemein zu empfehlenden Basistherapiemaßnahmen ( unten), die kausaltherapeutische Rekanalisation der Lungenstrombahn vordringlich,darüber hinaus muss die Grunderkrankung adäquat behandelt werden. Zu den erforderlichen Basismaßnahmen gehören die Sedierung und Analgesie, die Insufflation von Sauerstoff (auch ggf. mechanische Ventilation), die Mobilisierung und die Hochlagerung des Oberkörpers und ggf. kreislaufunterstützende Maßnahmen (Katecholamine).

 Verdachtsdiagnose (z. B.ambulante Notfallver-

! Cave

sorgung) – Allgemeinmaßnahmen (Ruhigstellung, Analgesie,O2-Zufuhr u. a.) – ggf.positiv inotrop wirksame Pharmaka – ggf.Schockbehandlung

 Wahrscheinliche Diagnose (z. B.klinische Erstversorgung) – Allgemeinmaßnahmen (wie oben) – Antikoagulation (Heparin)

Bei hämodynamisch bedeutsamer Lungenembolie ist eine ungezielte Volumentherapie oder die Applikation von Nitraten aufgrund der möglichen Verschlechterung der Hämodynamik kontraindiziert.

In der chronischen Phase ist v. a. die Rezidivprophylaxe von entscheidender Bedeutung. Bettruhe. Durch sofortige Bettruhe, ggf. unterstützt durch Kompressionstherapie der als Thrombusquelle in Frage

kommenden unteren Extremität (80–90 % der Fälle) und

405

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durch die Heparintherapie wird einer weiteren Ablösung von Thromben aus den tiefliegenden Venen vorgebeugt und das appositionelle Thrombenwachstum verhindert.

Pumpversagen bei Patienten mit massiver Lungenembolie weiter verschlechtert. Daher sollten – wenn möglich – die Beatmungsdrucke niedrig gehalten werden.

Sedierung und Analgesie. Sedierung (z. B. Diazepam 5–10 mg i. v.) und Analgesie (z. B.Morphin 5–10 mg i. v.tragen zur Verbesserung der Ventilation bei.

Sauerstoffgabe. Die Sauerstoffzufuhr wirkt sich günstig auf die häufig bestehende Hypoxie, begleitende Herzrhythmusstörungen und die subjektiven Beschwerden aus (Dyspnoe, Tachypnoe, Schmerz). Unter Kontrolle der Blutgasanalyse wird Sauerstoff über eine Nasensonde oder Maske mit 2–10 l/min appliziert. Wenn eine mechanische Beatmung notwendig ist, müssen die Nebeneffekte der Beatmung beachtet werden.

Heparin und niedermolekulares Heparin. Liegen keine Kontraindikationen gegen eine Antikoagulation vor, so ist bereits beim Verdacht auf eine Lungenembolie die effektive Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin (UFH) oder niedermolekularem Heparin (NMH) indiziert. UFH wird mit einem i.v.-Bolus von 10.000 IE begonnen und dann mit einer kontinuierlichen Infusion von 400–500 IE/kgKG und Tag fortgeführt. Besonders in der Frühphase der Therapie sind engmaschige Kontrollen der PTT und eine sofortige Dosisanpassung (ggf bei Unterdosierung additive Bolusgabe von jeweils 5000 IE i.v.) erforderlich (Ziel: PTT auf das 2- bis 3fache der Norm verlängern). Die Therapie mit NMH erfolgt in gewichtsadaptierter therapeutischer Dosierung, z. B. Enoxaparin 2-mal täglich 1 mg/kgKG s.c. (Kakkar et al. 1977; Merli et al.2001).

! Cave

! Cave

! Cave Dabei ist jedoch die Gefahr der Atemdepression zu beachten.

Bei Patienten mit Niereninsuffizienz muss die Heparintherapie entsprechend angepasst werden und engmaschiger kontrolliert werden.

Durch positiven intrathorakalen Druck bei mechanischer Ventilation wird der venöse Rückstrom weiter vermindert und das bereits eingetretene rechtsventrikuläre

Verdacht auf Lungenembolie unfraktioniertes Heparin 10.000 IE i. v., anschließend 400–500 IE/kgKG/24 h i. v.und PTT-Kontrolle oder

niedermolekulares Heparin in therapeutischer Dosierung (z. B.Enoxaparin 2-mal täglich 1 mg/kgKG s. c.) und

O2-Zufuhr ggf. Morphin (10 mg s. c.) Diagnostik: Lungenembolie sicher oder sehr wahrscheinlich

kreislaufstabil

Zeichen des Schocks

Echokardiographie normale RV-Größe + Funktion RV-Dysfunktion

Mehrzeilen-CT oder Angiograpie

Indikation überdenken

periphere Embolie

zentrale Embolie Indikation prüfen

Fortsetzung der Antikoagulation Kausaltherapie

Thrombolyse

⊡ Abb. 23-1. Therapie bei Verdacht auf Lungenembolie in Ab-

hängigkeit vom klinischen Bild (kreislaufstabil oder Zeichen

erfolglos

Embolektomie

Indikation prüfen

des Schocks) und zusätzlichen technischen Befunden (Echokardiographie,Mehrzeilen-CT,Angiographie)

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Die Antikoagulation senkt die Letalität von Patienten mit Lungenembolien hochsignifikant, verringert die Ausbildung neuer und appositioneller Thromben, erlaubt die körpereigene endogene Thrombolyse und reduziert die Rate von Rezidiven. Meist ist bei UFH eine hohe Initialdosis erforderlich, die im weiteren Verlauf reduziert werden kann.

! Cave Die Therapie mit UFH birgt in 0,5–5 % der Fälle die Gefahr der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT II), sodass entsprechende regelmäßige Kontrollen des Blutbildes erforderlich sind (Thrombozytenbestimmung vor Beginn der Therapie, nach 4–5 Tagen Heparintherapie und anschließend alle 2 Tage).

Unter der Therapie mit NMH ist die Inzidenz der HIT Typ II erheblich niedriger, sodass wegen der günstigeren Pharmakokinetik mit vorhersehbarer Effektivität der Antikoagulation und einfacherer Applikation diese Therapie häufig vorgezogen wird (Warkentin et al. 1995).

23.2.2 Spezielle Therapie Differenzialtherapie entsprechend des Schweregrades Die Abwägung von Nutzen, Risiko und Kosten gebieten eine Differenzialtherapie entsprechend des klinischen Schweregrades der Lungenembolie. Bei kleinen und submassiven Embolien (klinischer Schweregrad I und II) ist die Ausweitung der Therapie über den allgemeinen oben genannten Behandlungsplan nicht sinnvoll, da prognostisch keine Verbesserung resultiert. Bei massiver (klinischer Schweregrad III) und fulminanter Lungenembolie (klinischer Schweregrad IV) entscheiden Schwere und Dauer der akut einsetzenden Druckbelastung des rechtsventrikulären Myokards über den Krankheitsausgang, sodass in jedem Einzelfall die Indikation zum Einsatz spezieller Therapiemaßnahmen (Thrombolyse, ggf. mit mechanischer Fragmentierung, chirurgische Embolektomie) zu prüfen ist.

Thrombolyse ! Bei Nachweis einer HIT Typ II ist eine sofortige Beendigung der Heparintherapie notwendig. Die Antikoagulation wird mit Hirudin fortgeführt.

Weitere Maßnahmen Positiv inotrop wirksame Maßnahmen sind bei hämo-

dynamisch wirksamer Lungenembolie indiziert. Wegen der gesteigerten Heterotopieneigung des Myokards (Hypoxie) sind bei Verwendung von Digitalisglucosiden wiederholte Injektionen kleiner Digitalisdosen vorzuziehen. Bei Kreislaufdepression sind in Abhängigkeit von der hämodynamischen Beeinträchtigung Katecholamine indiziert (Dopamin, Dobutamin, Norepinephrin;  Kap. 4). Vasodilatatoren sind bezüglich ihrer klinischen Indikation bei Patienten mit akuter Lungenembolie nicht gesichert, weil sie neben der gewünschten pulmonalvaskulären Dilatation auch zur systemischen Hypotension führen und dadurch gerade bei Patienten im Schock von geringem Nutzen sind. Möglicherweise kann die Inhalation von NO die Hämodynamik und den Gasaustausch bei Patienten mit massiver Lungenembolie verbessern. Bei heftigem Hustenreiz sind Antitussiva angezeigt, bei Fieber (Thrombophlebitis, Lungeninfarkt) Antibiotika ( Kap. 21), ggf. nach vorheriger Sputumkultur und Resistenzbestimmung. Hinsichtlich der Schockbehandlung  Kap. 4.

Die thrombolytische Behandlung der akuten Lungenembolie mit Streptokinase, Urokinase oder t-PA ist weitgehend auf Patienten im Schock oder Präschock begrenzt. Nach Resultaten des MAPPET(Management Strategy and Prognosis of Pulmonary Embolism Trial)-Registers profitieren aber auch Patienten mit hämodynamisch stabiler großer Lungenembolie und echokardiographischen Zeichen der Rechtsherzbelastung von einer Thrombolyse (Konstantinides et al. 1997). Im Vergleich zur alleinigen Heparintherapie führt die Thrombolyse schneller zu einer signifikanten Reduktion des mittleren pulmonal-arteriellen Druckes, zu einem deutlichen Anstieg des Cardiac-Index und zu einer Verkleinerung des rechten Ventrikels. Richtlinien für die Dosierung der Thrombolytika sind in ⊡ Tabelle 23-2 zusammengefasst. Hinsichtlich der Kontraindikation einer Thrombolysetherapie  Kap. 76.

! Cave Die Blutungskomplikationen unter Thrombolysetherapie sind etwa doppelt so häufig wie bei alleiniger Heparinbehandlung.

In der überwiegenden Zahl der Studien ist nach einem Therapiezeitraum von 5–7 Tagen kein Unterschied mehr zwischen Heparin- und Thrombolysetherapie festzustellen. Der wissenschaftlich eindeutige, in einer ausreichend großen randomisierten Studie geführte Beweis eines tatsächlichen Überlebensvorteils durch Thrombolyse ist bislang nicht erfolgt.

Mechanische Fragmentierung plus Thrombolyse Als Alternative zur chirurgischen Intervention steht die Kombination einer mechanischen Fragmentierung des

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⊡ Tabelle 23-2. Therapie der akuten Lungenembolie mit Thrombolytika

Thrombolytikum

Dosierung

Streptokinase

initial 250.000 IU i.v.als Bolus über 5 min (vorher Allergieprophylaxe beachten), dann 100.000 IU/h (24–72 h) i. v.oder Kurzzeitlyse mit 1,5 Mio.IU i. v.in 30 min, nach der Lyse Heparin

Urokinase

initial 300.000–500-000 IU (5 min.) i. v., dann 100.000–200.000 IU/h i. v. über 24–72 h oder Kurzzeitlyse mit 2 Mio.IU über 60 min, begleitende Heparintherapie

Gewebsplasminogenaktivator (rt-PA)

15 mg als Bolus über 5 min i. v., dann 50 mg über 30 min i. v., dann 35 mg über 60 min i. v., oder Gabe von 5-mg-Boli bis zur hämodynamischen Stabilisierung; Heparin begleitend

die zentrale Lungenstrombahn verlegenden Thrombus mittels Katheter in Kombination mit einer lokalen Thrombolysetherapie zur Verfügung (Horstkotte et al. 1990). Die Fragmentierung führt zu einer erheblichen Vergrößerung der Thrombenoberfläche und in Kombination mit der Thrombolyse zu einer schnelleren Rekanalisation der Lungenstrombahn. Mit diesem Verfahren konnte bei Patienten mit Lungenembolie und kardiogenem Schock die Rate die Hospitalentlassungen von 28 auf 71% verbessert werden. Dies Verfahren ist nur in der Hand eines geübten invasiven Spezialisten erfolgversprechend.

Chirurgische Embolektomie Indikation. Die chirurgische Embolektomie ist indiziert bei angiographisch gesicherter akuter, zentraler massiver oder fulminanter Lungenembolie, bei Patienten mit großer Lungenembolie und Kontraindikationen für eine Thrombolyse und bei Patienten mit massiver Lungenembolie, zentralen Thromben und fehlgeschlagener Thrombolyse, wenn entsprechende operative Erfahrungen erreichbar sind (Bell u. Simon 1982; Torbiki 2000). Bei klinisch symptomatischer pulmonaler Druckerhöhung und Nachweis zentraler Gefäßverlegung auf dem Boden einer chronisch rezidivierenden Lungenembolie kann die operative pulmonale Thrombendarteriektomie (Moser et al. 1990) indiziert sein. In sehr seltenen Fällen muss aufgrund der sonst infausten Prognose die Lungen bzw. Herz-Lungen-Transplantation überdacht werden.

! Prognose. Die hohe Operationsletalität (20–50 %) bei der Akutoperation ist zum einen auf den lebensbedrohlichen Allgemeinzustand der Patienten zurückzuführen,anderseits auf die Gefahr der akuten rechtsventrikulären Dilatation bei der zum Anschluss der Herz-Lungen-Maschine erforderlichen Perikarderöffnung sowie auch auf fehlindizierte Operationen (Schock anderer Genese).

Nach operativer Thrombendarteriektomie von Patienten mit chronisch rezidivierender Lungenembolie und pulmonaler Druckerhöhung liegt die perioperative Letalität in den wenigen sehr erfahrenen Zentren bei etwa 10 %.

Lungenembolie während der Schwangerschaft

Praxistipp Für die medikamentöse Behandlung der akuten Lungenembolie während der Schwangerschaft ist Heparin (UFH zunächst i. v., dann ggf.s. c.) das Mittel der Wahl, da eine transplazentare Passage nicht auftritt und Heparin auch postpartal nicht in die Muttermilch übertritt.

Nach der Geburt kann auf eine Therapie mit oralen Antikoagulanzien für 3 Monate umgestellt werden.

! Cave Im ersten Trimenon der Schwangerschaft und während der letzten 6 Wochen der Schwangerschaft sind orale Antikoagulanzien (Marcumar, Coumadin) kontraindiziert.

Als Rezidivprophylaxe kann die Unterbindung der V. cava inferior notwendig werden. Eine Störung des Schwangerschaftsverlaufes sowie Komplikationen bei zukünftigen Schwangerschaften sind selten. In Anbetracht der medikamentösen und chirurgischen Möglichkeiten ist eine Unterbrechung der Schwangerschaft nicht erforderlich.

Luftembolie Bei Luftembolie (tödliche Dosis 0,5–1,5 ml/kgKG) empfiehlt sich therapeutisch die Beseitigung der Lufteintrittspforte, O2-Zufuhr, ggf. Intubation und maschinelle Ventilation. Bei großen Luftmengen mit Luftansammlung im rechten Herzen (auskultatorisch rumpelndes systolisch/

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⊡ Tabelle 23-3. Rezidivprophylaxe und Nachsorge der Lungenembolie

B

Prophylaxe

Nachsorgemaßnahmen

Allgemein

Behandlung des Grundleidens Vermeidung thromboembolischer Komplikationen Krankengymnastik Bandagen, Gummistrümpfe Frühmobilisierung

Medikamentös

Fortsetzung der Antikoagulanzienbehandlung, ggf.Digitalisierung

Operativ

Varizenbehandlung,Venenligatur, V.-cava-Filter

diastolisches Geräusch präkordial) kann die Luft in Linksseitenlage aus dem rechten Vorhof durch Punktion oder mittels eines intravasalen Katheters abgesaugt werden.

23.2.3 Rezidivprophylaxe und Nachsorge Eine wirksame Rezidivprophylaxe (⊡ Tabelle 23-3) beinhaltet allgemeine und physikalische Maßnahmen, die Fortführung der Antikoagulanzienbehandlung sowie operative Eingriffe.

Physikalische Maßnahmen Die allgemeinen und physikalischen Maßnahmen zielen darauf ab, prädisponierende Faktoren der Thromboseentstehung zu behandeln bzw. zu vermeiden ( Übersicht 23-1).

Praxistipp Durch frühzeitige Mobilisation, isometrisches Muskeltraining,Anlage von Kompressionsstrümpfen sowie die effektive Behandlung prädisponierender Erkrankung (z.B.kardiovaskuläre Erkrankung) kann die Rezidivrate der tiefen Venenthrombose mit Lungenembolie gesenkt werden.

Antikoagulanzien Bereits ab dem 2. Tag nach dem Embolieereignis kann mit der überlappenden Behandlung mit oralen Antikoagulanzien (Marcumar®, Coumadin®) begonnen werden, um die Verweildauer im Krankenhaus so kurz wie möglich zu halten. Wenn der Ziel-INR(International Normalized Ratio)-Wert von 2,5 (Bereich 2–3) erreicht ist,wird die Heparintherapie sukzessiv nach einer mindestens 5-tägigen gemeinsamen Therapie abgesetzt. Die orale Antikoagulation ist so lange fortzusetzen, wie die Risikofaktoren der Thromboseentstehung existent sind. Die Dauer der Therapie variiert somit zwischen

3–6 Monaten (z. B. nach Frakturen mit Thromboembolie) und lebenslanger Therapie (z. B. hereditärer Gerinnungsdefekt mit rezidivierenden Embolien,Herzklappenvitium mit Thromboembolie). Bei hoher Rezidivgefahr oder bereits mehrfach eingetretenen Rezidivembolien kann durch operative Sanierung des Quellgebietes ein erneutes Rezidiv verhindert werden.

Operative Therapie und Sperrmaßnahmen Durch chirurgische Unterbindung thrombosegefährdeter Venenabschnitte kann die Embolieneigung langfristig gesenkt werden.Dies schließt nicht aus,dass der operative Eingriff selbst zu einem erhöhten postoperativen Risiko führt und mit thromboembolischen Komplikationen einhergeht, insbesondere bei Patienten mit Herzinsuffizienz (bis zu 50 % der Fälle). Die Indikation zum operativen Vorgehen ist daher auf Risikopatienten begrenzt (⊡ Übersicht 23-4).

Übersicht 23-4 Indikationen zur Ligatur der V.femoralis oder der V.cava inferior     

rezidivierende Thromboembolie Thromboembolie unter laufender Antikoagulation Kontraindikationen für Antikoagulanzien Zustand nach massiver Lungenembolie mit Schock septische Embolie

Die Ligatur der V. femoralis beidseits ist ein relativ risikoarmer Eingriff, durch den Embolierezidive in etwa 90 % der Fälle erfolgreich behandelt werden können. Subjektive, durch venöse Blutabflussbehinderung hervorgerufene Missempfindungen an den unteren Extremitäten treten postoperativ auf und schränken die breite Anwendung dieser Verfahren erheblich ein. Als wichtigste chirurgische Maßnahme ist die iliofemorale Thrombektomie, ggf. mit Anlage einer AV-Fistel anzusehen.

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Perkutan implantierbare Cavafilter senken in der Frühphase nach Implantation die Inzidenz der Lungenembolie, führen aber zu zahlreichen Komplikationen (Thrombosierung, Filterwanderung, Embolisation und Perforation). Langfristig ist die erhöhte Rate von Rezidiven der tiefen Beinvenenthrombose evident, sodass der initiale positive Effekt aufgehoben wird.Die Filterimplantation hat keinen Effekt auf die akute und langfristige Letalität der Patienten mit Lungenembolie. Insgesamt ist daher diese Therapie praktisch verlassen (Decousus et al. 1998). Der Stellenwert passagerer Filtermaßnahmen ist bislang nicht sicher geklärt.

Evidenz der Therapieempfehlungen Evidenzgrad Unfraktionierte Heparine Niedermolekulare Heparine Fibrinolyse im Schock Fibrinolyse ohne Schock Orale Langzeitantikoagulation

IA IA IIA IIB IA

Leitlinien – Adressen – Tipps Relevante Leitlinien: Torbicki A, Beek EJR, Charbonnier B et al. (2000) Guidelines on Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism Task Force of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 21: 1301–1336 MAPPET (Management Strategy and Prognosis of Pulmonary Embolism Trial): Konstantinides S, Geibel A, Olschewski M et al. (1997) Association between thrombolytic therapy and the prognosis of hemodynamically stable patients with major pulmonary embolism. Circulation 96: 882–888 ICOPER: Goldhaber SZ,Visani L, De Rosa M (1999) Acute pulmonary embolism: clinical outcomes in the International Cooperative Pulmonary Embolism Registry (ICOPER). Lancet 353: 1386–1389

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http://www.springer.com/978-3-540-23750-1