Ein Sprachrohr der Menschen im Süden - AGEH

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in der Regel pro Jahr fünf Monate vor Ort im Süden den Partnern mit Rat und Tat ... schon praktiziert habe, sondern vielmehr, ob ich mir der 3.000 Jahre Kultur ...
Ein Sprachrohr der Menschen im Süden Informations- und Beratungsarbeit muss glaubwürdig und authentisch sein Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich den politischen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts stellen und noch viel offener als bisher auf die Spender im Norden zugehen. Dazu können Berater auf Zeit, die einen nicht unerheblichen Teil des Jahres im Süden verbringen, viel beitragen. Die Brücke zwischen Nord und Süd muss verbreitert werden. Entwicklungshelfern kann hier eine wichtige Funktion zukommen. Aus dieser Einsicht heraus wurde bereits vor 20 Jahren das Programm BAZ (Berater auf Zeit) ins Leben gerufen. Ein neuer und innovativer Ansatz: Berater auf Zeit sind Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt zwar in Deutschland haben, aber in der Regel pro Jahr fünf Monate vor Ort im Süden den Partnern mit Rat und Tat zur Seite stehen und in der übrigen Zeit „ihrem“ Hilfswerk in Deutschland ein Sprachrohr dieser Menschen sind. Beratungsarbeit im Süden ist nur ein Bereich, die die Berater auf Zeit leisten. Es geht auch darum, die Partner im Norden (Spender, Ehrenamtliche und Politiker) authentisch über die Arbeit der Hilfswerke und die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Begleitung von Veränderungsprozessen in wirtschaftlich armen Ländern zu informieren. Glaubwürdigkeit durch Nähe Policypapiere und Arbeits-Leitlinien per Post an diesen Personenkreis zu verschicken reicht nicht mehr aus, um die Spender langfristig dafür zu interessieren und über Jahre hinweg zu binden. Auch ist das „Katholisch-sein“ keine Garantie mehr dafür, dass sich Personen ihr Leben lang an MISEREOR, an die AGEH oder an andere katholische Hilfswerke gebunden fühlen. Die Informations- und Beratungsarbeit muss daher auch durch Personen geleistet werden, die durch ihre persönlichen Erfahrungen „Glaubwürdigkeit“ einbringen. Menschen fühlen sich von authentischen und überzeugenden Personen, die „nah dran“ sind, einfach viel eher angesprochen, als von noch so guten Programmen, obwohl ein Festangestellter natürlich per se nicht weniger glaubwürdig ist. Besonders die Spender wollen aber häufig nicht durch „Apparatschiks“ (so werden wir leider immer wieder in der Öffentlichkeit gesehen) informiert werden, sondern „ihre Kontaktperson“ vor Ort kennen. „Der weiß, wovon er spricht“ höre ich immer wieder, wenn ich durch die Lande ziehe. Personen sind nicht austauschbar Vor 20, 30 ja bald 50 Jahren, als die katholischen Hilfswerke in Deutschland gegründet wurden, gab es wenig persönliche Kontakte in Drittweltländer. Heute jedoch hat fast jede Diözese, fast jede Gemeinde, fast jede Eine-Welt-Gruppe Direktkontakte in Länder des Südens und glaubt daher, auf den „Umweg Hilfswerk“ mit all seiner Bürokratie verzichten zu können. Aber was geht dabei verloren? Ganz sicher u.a. die kontinuierliche und fachliche Prozessbegleitung der Partner des Südens und die Nachhaltigkeit. Und genau hier sind Berater auf Zeit, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland behalten, aber jedes Jahr mehrere Monate bei den Partnern im Süden verbringen, von unschätzbarem Wert. Wenn diese Berater den lokalen Gruppen hier in Deutschland als neue Mittler angeboten werden, dann sind diese Gruppen langfristig auch (wieder) bereit, ihre finanzielle Hilfe über MISEREOR oder andere glaubwürdige Hilfswerke weiterzuleiten. Ich kann aus meiner persönlichen Arbeit der letzten Jahre verschiedene Beispiele nennen, etwa die Indienkinderhilfe Oberschwaben. Es reichen nicht nur gute Programme und irgendwelche Entwicklungshelfer vor Ort, sondern es geht in jedem Fall um das konkrete Individuum, das die Arbeit leistet. Dass die Personen austauschbar sind, ist eine Denkweise, die ein katholisches Hilfswerk nicht unterstützen kann und will! Jeder Bearater kann und sollte individuelle Besonderheiten und die eigene Persönlichkeit einbringen. Nachhaltigkeit in der Beratung

So war ich beispielsweise in den 80er und 90er Jahren im Bundestag als wissenschaftlicher Mitarbeiter insgesamt sechs Jahre tätig und kann die damals entstandenen persönlichen Kontakte heute gut für die Lobbyarbeit für Kinderrechte nutzen. Leider sind es oft nicht allein die guten, richtigen und innovativen Ansätze, die zu einem Gespräch mit Spitzenpolitikern, zu deren Umdenken und letztendlich zu einer Änderung der bestehenden Politik führen. Oft hören die Menschen eben nur das, was sie hören wollen, oder das, was ihnen eine vertraute Person mitteilt. Diese Erkenntnis beinhaltet eine „Einmaligkeit der Beratung“, die nicht einfach durch andere Personen weitergeführt werden kann. So wurde und werde ich z.B. von Politikern in Indien nicht nur als Berater der AGEH oder Misereormitarbeiter eingeladen, sondern es spielt auch eine Rolle, dass ich mit Petra Kelly eng zusammengearbeitet und ein Buch über Mahatma Gandhi herausgegeben habe. Dies öffnet mir Türen bis hin zum Verteidigungsminister Indiens oder zum Ministerpräsident Bihars (indischer Bundesstaat, 87 Millionen Einwohner), mit dem ich die Einrichtung einer unabhängigen Kinderkommission skizzierte. Nachhaltigkeit in der Beratung kann nur dadurch gewährleistet werden, dass dieselbe, dem politischen Partner bekannte und vertraute Person die Prozessberatung über Jahre hinweg fortsetzt. Emotionale Bindung Ebenfalls nicht erlernbar ist eine Liebe zum Land. Diese ist weder messbar, noch einklagbar, aber meiner Ansicht nach zumindest für die Arbeit in Indien unbedingt notwendig. Kein Partner hat mich jemals gefragt, ob ich auch wirklich alle Beratungsmethoden kenne und schon praktiziert habe, sondern vielmehr, ob ich mir der 3.000 Jahre Kultur bewusst bin, auf die jeder Inder stolz ist und sich dadurch uns Deutschen weit überlegen fühlt. Hier ist das Gebot der Stunde, erst einmal zu staunen und nachzufragen. Wenig hilfreich sind die bekannten Beratungsmethoden auch in anderer Hinsicht: Kulturell bedingt wollen wir Westler gerne „der Sache auf den Grund gehen“, Dinge Stück für Stück aufdecken. Aber wie weit kommt man damit, wenn man sich nicht immer wieder bewusst ist, dass in Indien die Wahrheit philosophisch betrachtet in der Verallgemeinerung liegt. Nicht die Spaltung des Atoms bringt Wissensgewinn, sondern das Riechen und sich Freuen an einer schönen Blumenwiese bringt Zufriedenheit. Auch nach 55 Indienreisen passiert es mir immer wieder, dass es genau an diesem Punkt klemmt und es erst zu einer Lösung kommt, wenn über diesen Punkt eine Metakommunikation geführt werden kann. So bin ich in meiner Arbeit im Laufe der Jahre bei der AGEH / MISEREOR zum einzigen Kinderarbeitsexperten Europas geworden. Es gibt jede Menge Experten für Kinderrechte, die sich auch ständig auf Konferenzen treffen und gegenseitig bekunden, wie wichtig sie sind, aber diese Rechtskenntnis mit der Empathie für die Menschen vor Ort zu verknüpfen, scheinen andere Hilfswerke nicht für notwendig zu erachten. Neue Arbeitsgesetze mögen die Lebenswirklichkeit von Menschen in Deutschland verändern, in Indien und anderen Ländern des Südens verändern sie herzlich wenig. Aber darum geht es doch: die Lebensbedingungen von Kindern zu verändern. Sie im Schutze der fundamentalen Menschenrechte aufwachsen zu sehen und ihnen die Chance auf Bildung zuteil werden zu lassen. Hier mitwirken zu dürfen, erfüllt mich immer wieder mit Dankbarkeit und Glücksgefühlen. Messbarkeit ist kontraproduktiv Hier schließt sich der Kreis und ich komme wieder auf die Glaubwürdigkeit zurück, die so elementar für eine Beratung von Partnern im Süden und im Norden ist. Man mag mir vorwerfen, dass mir die „professionelle Distanz“ fehlt, wenn ich selber an Befreiungsaktionen von Kindersklaven teilnehme und mich damit eventuell in Lebensgefahr begebe. Aber was ist die Alternative? Nur über etwas zu berichten, was ich vom Hörensagen her kenne? Damit überzeugt heute niemand mehr! Gerade auch meine eigenen Erfahrungen aus sozialen Aktionsgruppen in Deutschland mit einzubringen, macht den Unterschied. Und auch dieser ist nicht messbar. Und so dürfte durch meine kurzen Ausführungen deutlich geworden sein, wie ich über die derzeitige Diskussion um Messbarkeit, Effektivität, Qualitätsmanagement und Kontrollierbarkeit denke. Für mich sind solche Begriffe kontraproduktiv und Versuche der Entmenschlichung von Entwicklung. Benjamin Pütter Benjamin Pütter ist seit 1995 Berater auf Zeit bei der AGEH. Bei Misereor arbeitet er als

Kinderarbeitsexperte in der Abteilung Projektpartnerschaften.