Max Barry | Chefsache Martina Cole | Das Abbild Charlie Huston ...

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Ab S. 6. Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann. Schnörkellos und düster erzählt Erfolgsautor Charlie Huston in wunderbar lakonischen Dialogen, wie sein Held.
TOP five

Alle Meldungen sind zum kostenlosen Abdruck freigegeben. Zwei Belegexemplare werden erbeten.

Die

5 Taschenbuch-Highlights im November/Dezember

Max Barry | Chefsache Nach dem bitterbösen Globalisierungsthriller »Logoland« hat Max Barry erneut zugeschlagen: In »Chefsache« führt er brillant-sarkastisch die amerikanische Management- und Firmen(un)kultur ad absurdum. Ab S. 2

Martina Cole | Das Abbild Schuld und Sühne sind das Leitmotiv des neuen Romans der britischen Bestsellerqueen. Erschütternd realistisch und packend schildert sie die psychologische Verwüstung eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Ab S. 6

Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann Schnörkellos und düster erzählt Erfolgsautor Charlie Huston in wunderbar lakonischen Dialogen, wie sein Held Hank Thompson einen mörderischen Deal eingeht und dessen Konsequenzen teuer bezahlt. Ab S. 8

Christoph Marzi | Lumen Nach »Lycidas« und »Lilith« verwebt Marzi in der märchenhaften Geschichte um Emily und deren Gefährten die viktorianische Atmosphäre eines Charles Dickens mit dem Zauber von Harry Potter. Ab S. 12

Kitty Fitzgerald | Pigtopia »Pigtopia« ist die Geschichte der Liebe des behinderten schweinsköpfigen Jack zu der jungen Holly. Eine düstere Fabel, in der sich Horror, Fantasie und harter Realismus zu einer wunderbaren Einheit verbinden. Ab S. 14

Max Barry | Chefsache

Bereits erschienen:

Max Barry Chefsache Heyne Taschenbuch Deutsche Erstausgabe 400 Seiten ISBN 3-453-81064-3 € 12,00 (D) / € 12,40 (A) / sFr 21,90 Erscheint im November 2006

Zephyr Holdings ist ein typischer Großkonzern voller Intrigen, absurder Management-Entscheidungen, bizarrer Mitarbeiterrichtlinien und einer Firmenphilosophie, die keiner versteht. Stephen Jones, der neue Verkaufsassistent stellt ketzerische Fragen: Was macht Zephyr überhaupt und warum? Warum verdient die sexy Rezeptionistin doppelt so viel wie alle anderen und muss nichts arbeiten? Und: Warum sind die Stockwerke verkehrt herum nummeriert? Als er es schafft, sich in das Stockwerk des Firmenchefs zu schmuggeln, findet er sich auf dem Dach des Bürogebäudes wieder. Und im eigentlich nicht existenten 13. Stockwerk stösst er auf die Vorstandsetage. Er lernt, dass Zephyr ein riesiges Experiment ist: Die Angestellten sind Versuchskaninchen, an denen ständig neue Einsparungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen ausprobiert werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse vermarktet der Zephyr-Chef in Buchform als »Omega-Management-System«. Jones soll nun »undercover« arbeiten, um seine Kollegen auszuspionieren. Er willigt ein, doch als Massenentlassungen einsetzen, meldet sich sein schlechtes Gewissen: Er zettelt einen Aufstand der Angestellten an … Max Barry verbrachte die besten Jahre seines Lebens im Darmtrakt von Hewlett-Packard, wo er heimlich an den Recherchen für dieses Buch arbeitete. Es ist sein dritter Roman nach »Fukk« und dem Bestseller »Logoland«, der von der New York Times zu einem der besten Bücher des Jahres erkoren wurde. Max Barry lebt in Melbourne, Australien. Er ist ein Fulltime-Autor, hält sich aber an einen strikten Dresscode, achtet darauf, dass sein Schreibtisch stets aufgeräumt ist, und beschränkt persönliche Telefonate auf maximal zwei Minuten.

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Max Barry | Chefsache

»Barry entlarvt die wahren Geheimnisse und Lügen der Unternehmenskulturen mit messerscharfer Präzision« New York Times

aus: Chefsache Megan nimmt vor dem Schreibtisch Platz und überkreuzt die Beine. Jetzt kann sie Sydney sehen. Und auch die große Schreibtischfläche, die mit Papieren übersät ist und aussieht wie nach einem Schneegestöber. Wie immer registriert Megan schockiert das völlige Fehlen von Nippsachen. Sie findet, Sydney könnte gut ein paar Bären gebrauchen. »Okay.« Sydney schiebt scheinbar wahllos einige Papiere beiseite. Dann blickt sie auf. »Ich fürchte, was ich zu sagen habe, wird dir nicht gefallen.« »Ach. Warum denn nicht?« »Weil ich dich rauskomplimentiere.« »Wo raus?« Megan merkt sofort, wie dumm ihre Frage ist. »Aus dem Unternehmen.« Sydney sieht ihr in die Augen. »Du bist entlassen.« Megan ist so benommen, dass sie die Nachricht gar nicht richtig verarbeiten kann. »Aber … warum denn?« »Also, offen gesagt, es sind deine Leistungen. Ich musste dir die schlechteste mögliche Bewertung geben: ›Muss ihre Leistungen verbessern‹.« Ihr Blick schwirrt über Megans Gesicht. Doch Megan zeigt noch immer keine Reaktion. Sydney scheint das Interesse zu verlieren. Sie sammelt ein paar Papiere ein und sucht nach einem Hefter. »Nach den Richtlinien des Unternehmens wird jeder Angestellte gekündigt, der in diese Kategorie fällt. An diese Richtlinien habe ich mich zu halten.« »Wieso muss ich meine Leistungen verbessern?« Megan schnürt es die Kehle zu; nur dünne, angestrengte Laute dringen heraus. »Nun, für Leistungsbeurteilungen gibt es eben Kriterien … und nach denen habe ich dich bewertet.« Sydney entdeckt den Hefter. Sie stellt ihn auf die Papiere und lässt ihn zuschnappen. Sie begutachtet das Resultat. »Verdammt noch mal.« Von solchen Kriterien hat Megan noch nie gehört. »Letztes Mal hast du gesagt, wir müssen keine offizielle Beurteilung machen.« »Das Unternehmen duldet so was nicht mehr.« Sydney legt die Stirn in Falten, als hätte Megan sie in Schwierigkeiten gebracht. »Ich bin gehalten, richtige Beurteilungen durchzuführen. Und bei dir hakt es gleich in mehreren Schlüsselbereichen. Erstens: aufgeräumter Schreibtisch. Dein Schreibtisch ist immer voller Bären.« Megan fällt das Kinn herunter. »Was ist denn gegen Bären zu sagen?« »Auf Schreibtischen darf kein Durcheinander herrschen. Das steht in den Kriterien. Hier, überzeug dich selbst.« Sie reicht Megan die Papiere. Von der oberen linken Ecke hängt eine Heftklammer. »Du hast dich nie über meine Bären beschwert!« »Megan, ich kann nichts dafür, es sind die Kriterien. Hör mir doch zu. Zweitens zeigst du keinen Teamgeist.« »Aber ich arbeite doch allein! Ich meine, ich arbeite mit Leuten zusammen,wenn du willst! Ich würde gern mit anderen zusammenarbeiten! Ständig muss ich allein an meinem Platz sitzen!« Sydney legt die Hände sorgfältig nebeneinander auf den Schreibtisch. »Es hat keinen Zweck, sich jetzt noch zu beschweren.« »Aber dann … warum erzählst du mir das alles?« >> Fortsetzung nächste Seite

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Max Barry | Chefsache

aus: Chefsache (Fortsetzung) »Das gehört zum Feedbackverfahren. Ich weise dich darauf hin, in welchen Bereichen du dich verbessern musst.« »Und wenn ich mich verbessere …« »Nicht hier. Hier kannst du dich nicht mehr verbessern. Du bist entlassen, Megan. Ich halte mich nur an das Verfahren. Das ist alles nur zu deinem Besten. Du könntest ruhig ein wenig Dankbarkeit zeigen.« Um Megans Mund arbeitet es. Schließlich kommt etwas heraus: »Danke.« »Gern geschehen«, antwortet Sydney. »Jedenfalls, diese beiden Kategorien haben deine Beurteilung runtergezogen. Aber der entscheidende Punkt war letztlich, dass du keine Ziele erreicht hast.« »Was für Ziele?« »Na ja, du hast eben keine gehabt.« Sydney nimmt einen silbernen Stift und wedelt damit herum. Kleine Dolche aus gespiegeltem Sonnenlicht stechen Megan in die Augen. »Bei deiner letzten Bewertung hätten wir Ziele für dich vereinbaren sollen, aber das haben wir nicht gemacht. Daher musste ich unter dem Punkt ›Erreichte Ziele‹ ›keine‹ ankreuzen.« »Ich hätte Ziele erreicht, wenn du mir welche gesetzt hättest!« »Na ja, vielleicht. Schwer zu sagen.« »Wie kannst du mich für das Nichterreichen von Zielen rausschmeißen, die ich gar nicht hatte?« »Soll ich vielleicht sagen, dass du Ziele erreicht hast, obwohl das nicht stimmt?« »Aber das ist ungerecht!« Megans Schock klingt allmählich ab. Ihr Körper fängt an zu reagieren: Sie bricht in Tränen aus. »Ich mache gute Arbeit! Gute Arbeit!« Sie bedeckt das Gesicht mit den Händen. Sydney schweigt. Megan weint in ihre Hände, ihr Körper bebt. Sie schämt sich, dass sie so was im Büro ihrer Chefin macht, aber sie kann einfach nicht anders. Dann ergreift eine hässliche Idee von ihr Besitz: dass Sydney über sie lächelt, dass Megans Scham sie gar nicht verlegen macht, sondern nur belustigt. Dieser Gedanke ist so schrecklich, dass ihr Kopf nach oben zuckt. Sydney wird überrascht. Zu spät wischt sie das schadenfrohe Grinsen von ihrem Gesicht. Sie kneift die Lippen zusammen. »Es hat keinen Sinn zu streiten, bitte verschwende nicht meine Zeit. Die Entscheidung ist schon längst gefallen. Es liegt nicht mehr in meiner Hand.« Sie verschränkt die Arme. »Der Betriebsschutz wartet bereits auf dich.«

INTER VIEW

Max Barry

Wie definieren Sie echten Terror innerhalb einer Firma und warum? Na ja, das Großartige am Begriff »Terror« ist, dass er das bedeuten kann, was immer man will. Wenn wir anfangen, Terror zu bekämpfen, ohne zuerst mal zu definieren, worum es geht, dann sehe ich nicht ein, warum ich ihn bekämpfen sollte. Ich könnte beispielsweise sagen, dass Angestellte, die Kugelschreiber stehlen, eine Art Firmenterror ausüben, und kein Mensch könnte etwas dagegen sagen, weil wir keine Ahnung haben, was das Wort bedeutet. Wie definieren Sie den perfekten Vorstandsvorsitzenden und warum? Das ist ein Computer. Der Nachteil menschlicher Vorstandsvorsitzender liegt darin, dass sie noch immer etwas Mitgefühl haben. Nicht viel Mitgefühl, das ist klar, nur ganz, ganz minimal. Dennoch, es exisitert. Dadurch besteht die Chance, dass der Vorstandsvorsitzende, wenn er sich irgendwann etwa zwischen einer minimalen Kostensenkung und der Würde seiner Angestellten entscheiden müsste, sich für die Angestellten entscheidet – was natürlich schlecht für das Unternehmen ist. Künstliche Intelligenz würde niemals Gnade vor Effizienz ergehen lassen.

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Max Barry | Chefsache

Wie sehen Sie die Bedeutung von Mission Statements? Mission Statements sind vergebliche Versuche, Menschen davon zu überzeugen, dass ihre Firma eine edlere Daseinsberechtigung hat, als nur etwas zu verkaufen, wofür andere Leute bereit sind, Geld hinzulegen. Wofür steht die Donut-Affäre in Ihrem Roman? Sie basiert auf einer echten Geschichte bei Hewlett-Packard, wo ich im Vertriebsteam arbeitete. An DonutTagen kamen die Vertriebsleute rätselhafterweise immer fünf Minuten früher als üblich aus ihren Vertriebsterminen zurück. Wenn du da kein Donut abbekamst, dann war das ein enormer Prestigeverlust, denn es bedeutete, dass deine Kollegen dich nicht genug fürchteten. Warum bleibt immer derselbe reservierte Parkplatz leer? Vermutlich, weil die Leute, die verantwortlich für die Parkplatzzuteilung sind, diesen freien Platz am allerwenigsten brauchen. Sie haben nämlich schon längst ihren eigenen Stellplatz. Wenn Sie sich für die Gesellschaft von Samuel Beckett oder Albert Camus entscheiden müssten, wen würden Sie bevorzugen? Warum? Nun, da beide tot sind, wäre keiner von beiden ein interessanter Gesprächspartner. Wenn ich einen lebendig machen könnte, dann würde ich Albert Camus wählen. Auf diese Weise hätte er wenigstens etwas von der Ironie, die darin liegt bei einem Autounfall zu sterben, nachdem er gesagt hatte, wie absurd es wäre, bei einem Autounfall zu sterben. Wir würden zusammen sicher eine Menge lachen. Ihre Lieblingsfirma? Warum? Definitiv Hewlett-Packard, mein alter Arbeitgeber. Ohne HP hätte ich nie all den Stoff für einen Roman sammeln können. Und die schlimmsten Unternehmen? Die schlimmsten Unternehmen sind immer Industrieunternehmen, die mit anderen Firmen Geschäfte machen, nicht mit den Endverbrauchern, den Menschen. Apple und McDonald’s sind abhängig davon, was die Leute von ihnen halten, und das zwingt sie dazu, Geld für wohltätige Zwecke zu spenden und in ihrer Werbung lächelnde Gesichter zu zeigen. Konzerne wie Monsanto oder Halliburton aber können so schlimm sein, wie sie wollen: Es wird keine Auswirkung auf ihren Umsatz haben. Ja, die sind ziemlich schlimm. Definieren Sie Ironie, Sarkasmus und Zynismus! Der Zynismus entdeckt den Jungbrunnen, dreht sich um und geht, weil es sich vermutlich um einen Betrug handelt. Die Ironie fällt hinein und ertrinkt und der Sarkasmus denkt beim Ertrinken: »Na ja, schöne Vorstellung eigentlich.« Was haben die drei gemeinsam, was unterscheidet sie? Alle drei werden oft falsch angewendet. Wir sind zynisch über die falschen Dinge, sarkastisch zur falschen Zeit und kein Mensch hat einen Peil, was eigentlich Ironie ist. Und der Unterschied zwischen den dreien liegt natürlich ganz offensichtlich darin, dass ein sarkastisches Buch ziemlich langweilig wäre, wohingegen meine Bücher, die vor Ironie und Zynismus nur so strotzen, brillanter, spannender Lesestoff sind. Okay, das war jetzt sarkastisch. Halt mal, nein, ironisch. Oder doch zynisch?

Die Fragen stellte Bernd Degner, Heyne Verlag, Presseabteilung

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Martina Cole | Das Abbild Der neue Bestseller von Martina Cole

Martina Cole steht mit jedem neuen Roman (inzwischen sind es 11) auf Platz 1 der englischen Bestsellerliste – im Hardcover und im Taschenbuch!

Allein in England wurden bisher über 7 Millionen Bücher von Martina Cole verkauft.

Martina Cole Das Abbild Heyne Taschenbuch Deutsche Erstausgabe 448 Seiten ISBN 3-453-43169-3 € 8,95 (D) / € 9,20 (A) / sFr 16,50 Erscheint im November 2006

In ihrem neuesten Roman erzählt Martina Cole die Geschichte von Nick Leary, einem treusorgenden Vater, guten Freund und gewieften Geschäftsmann. Ausgangspunkt des Romans ist der Einbruch eines maskierten Einbrechers in Learys Landhaus, der von Leary gestellt und mit einem Baseballschläger brutal zusammengeschlagen wird. Der Einbrecher stirbt an den Folgen. Der Roman schildert Learys Reaktion auf diesen Tod und die Folgen für seine Familie und sein Geschäft. In ihrem einzigartigen Stil hält Martina Cole der britischen Gesellschaft den Spiegel vor, indem sie herbe und oft ekelerregende Charaktere schonungslos ehrlich, aber einfühlsam beschreibt. Ihre Held(inn)en besitzen Mitgefühl und Wärme. Es ist die Ehrlichkeit ihrer Bücher, die ein Millionenpublikum anspricht. Martina Cole ist Englands erfolgreichste Krimiautorin. Alle ihre Romane landeten sofort nach Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerlisten. Coles Bücher spielen in den Brennpunkten der Großstädte, sie sind kompromisslos und authentisch und haben immer starke Frauen im Mittelpunkt. Martina Cole hat einen Sohn und eine Tochter und lebt in Essex.

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Martina Cole | Das Abbild

»Kraftvoll und unglaublich spannend. Martina Coles Figuren sind unvergesslich« Mirror

aus: Das Abbild »Was willst du tun? Mir was anhängen? Meine Geschäfte stören?« Seine Stimme war gefährlich ruhig. Stevie beobachtete interessiert die Szene. Garys Flüstern wurde flehentlich. »Das würde ich nie tun, das weißt du …« »Also, was dann? Wovor warnst du mich?« Alle drei wussten, dass diese Warnung die letzte und größte Beleidigung war. Sie war der Punkt, an dem Nick eine Entscheidung traf. Sein gesamter Körper schien sich zu straffen, er richtete sich zur vollen Größe auf. »Du Wichser willst mir drohen? Nach allem, was ich für dich getan habe? Du baust Scheiße, und wenn du dafür deine verdiente Abreibung kriegst, drohst du damit, mir ins Geschäft zu pfuschen?« Er holte aus und trat Gary in den Mund. Sein Kopf flog zurück, Zähne flogen, dann warf Nick sich auf ihn. Nach fünf Minuten war Gary Proctor nur noch ein blutiger Klumpen Mensch. Stevie suchte nach dem Puls. »Er ist halb tot, Nick.« Nicks Grinsen wirkte diabolisch im Licht der Gaslampe. Er stand auf, suchte etwas in einer Ecke der Garage und kam mit einer Flasche Petroleum zurück, die er methodisch über Gary Proctor ausschüttete. Der scharfe Geruch schien das Opfer aufzuwecken. Er zitterte und versuchte sich umzudrehen. »Nick, das soll wohl ein Witz sein?«, sagte Stevie. In seiner Stimme lag blanker Schrecken. Nick schüttelte den Kopf. »Lass ich mich ficken? Nein! Das ist sein Lagerraum, hier kann er verbrennen, ist mir scheißegal. Ein Vergewaltiger ist schlimm genug, aber mir damit zu drohen, mein Geschäft zu versauen, mich zu verpfeifen, nach allem, was ich für ihn getan habe …« Er riss ein Streichholz an. »Niemand, hörst du, Stevie, niemand legt sich mit mir an. Gerade du solltest immer daran denken.« Dann ließ er das brennende Streichholz auf die zusammengekauerte Gestalt fallen. Schon nach Sekunden war der Gestank nach brennendem Fleisch schier unerträglich. Stevie musste sich von dem sich in den Flammen windenden und wimmernden Gary abwenden. »Komm, Stevie«, sagte Nick gut gelaunt, »gehen wir einen trinken, ich hab das Gefühl, du kannst jetzt einen gebrauchen.« Sie gingen hinaus und schlossen den Lagerraum hinter sich ab. Die schwere Stahltür war mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert.Von drinnen drangen schrille Schreie durch die kühle Nachtluft. Flammen leckten von innen an die schmierigen Fensterscheiben. Nick sah Stevie an und zuckte die Schultern. »Der vergewaltigt niemanden mehr.« Auf der Fahrt redete Nick über Gott und die Welt. Über das Ende seines ältesten Freundes verlor er kein Wort. Stevie hatte Nick schon immer einiges zugetraut. Wie bösartig er wirklich werden konnte, wenn man ihm in die Quere kam, hatte er nicht geahnt. In dieser Nacht hatte nicht nur Gary eine Lektion erhalten.

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Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann »Wer harte, schnelle, lakonisch geschriebene Krimis mag, kommt an Charlie Huston definitiv nicht vorbei.« Kester Schlenz, Stern

Bereits erschienen:

Charlie Huston Ein gefährlicher Mann Heyne Taschenbuch Deutsche Erstausgabe 368 Seiten ISBN 3-453-43205-3 € 8,95 (D) / € 9,20 (A) / sFr 16,50 Erscheint im Dezember 2006

Um seine Familie zu schützen und weil er die gestohlenen vier Millionen Dollar verloren hat, lässt sich Hank Thompson nach den Geschehnissen in »Der Gejagte« auf einen folgenschweren Deal ein: Er arbeitet in Las Vegas als Killer und Schläger für David Dolokhov, einen Gangsterboss aus New York. Eine Zeit lang gelingt es Hank, für David Menschen zu töten, doch bald verliert er jeglichen Lebensmut. David, der seinen Zustand bemerkt, gibt ihm einen neuen Auftrag: Er soll Miguel Arenas, einen aufstrebenden amerikanischen Baseballstar, der aufgrund seiner Spielsucht große Schulden bei David hat, durch Las Vegas begleiten. David will Miguel von sich abhängig machen, indem er Miguel weitere Schulden aufhäufen lässt. Miguel ist so beeindruckt von Hank, dass er ihn als seinen ständigen Bodyguard nach New York beordert. David ist damit einverstanden, verlangt jedoch noch einen letzten Dienst von Hank: Er soll Anna, die Frau seines verstorbenen Bruders, töten, die David mittlerweile schwer auf die Nerven geht. Und schon steckt Hank zwischen den Fronten, denn diese Anna ist gleichzeitig die Mutter von Mickey, jenem russischen Backpaper, der einst von Hank in Mexiko in den Tod gestoßen wurde. Und sie hat Rache geschworen und hetzt Hank ihre russischen Neffen auf den Hals. In New York schließt sich der Kreis und es kommt zum großen Showdown. »Ein gefährlicher Mann« ist der Abschluss der Trilogie um Hank Thompson. Charlie Huston ist Roman- und Drehbuchautor. »Der Prügelknabe« war der Auftakt einer Trilogie um den liebenswerten Verlierertypen Hank Thompson. Die Filmrechte wurden nach Hollywood verkauft. Der Autor lebt mit seiner Frau, der Schauspielerin Virginia Louise Smith, in Manhattan.

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Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann INTER VIEW

Charlie Huston

Wie kam es zur Publikation Ihres ersten Buchs? Purer Zufall. »Der Prügelknabe« habe ich als persönliche Übung geschrieben. Um mich zu beschäftigen und kreativ zu bleiben. Erst Jahre und viele zufällige Umstände später wurde es veröffentlicht. Im Großen und Ganzen war es einfach Glück. Was war die Inspiration zu »Ein gefährlicher Mann«? Als ich »Der Gejagte«, das zweite Buch der Trilogie, schrieb, wurde mir klar, dass die Story mit Hank in einem Dilemma enden würde, das Hank zwingen würde, entweder die Menschen, die er liebt, oder aber alles, an das er glaubt, zu opfern. Ich wollte, dass es im dritten Band um die Auseinandersetzung mit den Folgen dieser Wahl geht. Weil es ein Krimithriller ist, musste ich in das Buch natürlich eine gewisse Geschwindigkeit, ein paar Verfogungsjagden und so weiter einbauen, aber in der Hauptsache geht es mir darum, ob Hank es schafft, mit all der verdammten Scheiße, die er in den vorigen Büchern gebaut hat, fertig wird. »Ein gefährlicher Mann« ist düsterer und langsamer geschreiben als die ersten Bände. Warum? Naja, wenn du ein Buch über gewaltsame Erlösung schreibst, dann wird das eben ziemlich düster. Und dann ist es sowas wie der Schlussakkord der Geschichte. Das Ende ist unvermeidlich und ich wollte mir Zeit nehmen, dahin zu kommen und auf dem Weg dahin ein paar erzählerische Probleme lösen.

Hank Thompson ist ein interessanter und geheimnisvoller Typ. Wie haben Sie Hank erschaffen? Gab es irgendwelche Charakterzüge, die Sie bei ihm gezielt zu vermeiden versuchten? Zu Anfang dachte ich, dass Hank eher so was wie der harte Junge von nebenan ist. Ich stellte ihn mir als den Typ vor, zu dem die Leute aus dem Viertel kommen, wenn sie Probleme haben. Herausgekommen ist ein wesentlich normalerer Typ, der eben in Umstände geschlittert ist, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Im Wesentlichen versuchte ich zu vermeiden, ihn zu clever oder zu hart zu machen oder ihn mit einem zu kühlen Kopf auszustatten. Wenn ihm mal was gelang, dann wollte ich, dass das fast Zufall war. Hank erinnert an Charaktere aus dem Wilden Westen: der starke, geheimnisvolle Einzelgänger, der nie lang an einem Ort bleibt. Mögen Sie Western überhaupt? Ich liebe Western als Filme. Ganz ehrlich, die einzigen Western, die ich je gelesen habe, waren, glaube ich, die von Cormac McCarthy. Ich denke, der klassische Noirheld hat viel mit dem lakonischen Westernheld gemein. Der Mann, der auf sich allein gestellt ist und sich an so was wie eine Art Gerechtigkeitssinn klammert, auch wenn es kein Gesetz gibt. Ein amerikanisches Klischee, das aber in Romanen gut funktioniert. Haben Sie und Hank etwas gemeinsam? Und wenn ja, was ist es und warum? Wir sind beide große Fans der San Francisco Giants. Wir kommen beide aus Kalifornien, aus der San Francisco Bay Area. Wir haben beide als Barkeeper im East Village in Manhattan gearbeitet. Es gibt eine ganze Anzahl oberflächlicher Ähnlichkeiten. Ich glaube, dass das ziemlich typisch für die meisten ersten Romane ist. Es gibt da das Klischee, dass sie dazu neigen, halbe Autobiografien zu sein. In diesem Fall haben Hank und ich ein paar Details, was unseren Background betrifft, gemeinsam, aber die Einzelheiten der Story sind komplett erfunden. Wenn Sie mit einem neuen Roman beginnen, steht dann für Sie das Ende schon fest? Oder ist das eher ein organischer Prozess, entwickelt sich die Story beim Schreiben? Normalerweise habe ich eine ziemlich klare Vorstellung, wie die Geschichte ausgeht, und von ein paar Schlüsselpunkten und -szenen. Dann aber versuche ich, mich aus der Geschichte herauszuhalten und sie sukzessive abzuarbeiten. Was aber nicht heißt, dass die Story manchmal nicht auch ein Eigenleben entwickelt. Das kann gut oder schlecht sein, und ein paar Geschichten, von deren Ausgang ich ganz konkrete Vorstellungen hatte, haben sich während des Schreibens auch tatsächlich verändert und sind anders ausgegangen. TOP five | November/Dezember 2006

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Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann INTER VIEW

Fortsetzung

Was gefiel Ihnen an Ihrer Arbeit in Bars am besten? Der soziale Aspekt. Schreiben ist ein einsames Business. Das ist meistens auch okay, aber ich vermisse die Kameradschaft, die entsteht, wenn du mit anderen Menschen zusammenarbeitest. Es ist schon verdammt großartig, sich nach einer langen Schicht mit deinen Kollegen oder vielleicht ein paar deiner Lieblingsstammgäste einfach zusammenzusetzen und ein paar Bier zu köpfen. Ihr Lieblingsdrink? Eigentlich mag ich alles, am liebsten aber ist mir ein ganz ordinäres Bier. Mit einem Bud oder einem Miller High Life bin ich schon total happy. Und ein Glas Wild Turkey tut auch nicht gerade weh. An was schreiben Sie gerade? Ich schreibe gerade am dritten Buch meiner Joe-Pitt-Serie, einer Horror-Noir-Story um einen Vampirkommissar im heutigen Manhattan. In der Stadt existiert eine Art Underground-Halbwelt der Untoten, und Joe ist der Mann vor Ort, der in dieser Welt die Dinge regelt. Ich hab es absichtlich in Chandlereskem Stil geschrieben. Jede Menge harte Gespräche und Saufereien, Ladys und dunkle Schatten – nur mit Vampiren und Zombies. Macht viel Spaß das zu schreiben. Die Fragen stellte Bernd Degner, Heyne Verlag, Presseabteilung

aus: Ein gefährlicher Mann – Sie haben meinen Sohn getötet. Ihre Worte sind diesmal nicht an mich gerichtet, sondern an den Fußboden, als ob sie versucht, ihre Gedanken zu ordnen, irgendeinen Sinn darin zu erkennen, warum ausgerechnet ich ihren Sohn getötet habe. Sie blickt auf. Ihre braunen lockigen Haare sind grau gesträhnt, die Augen blutunterlaufen und dunkel umrandet. Anspannung und Müdigkeit zerren an ihren Mundwinkeln. – Wie …? Sie bringt nur dieses eine Wort heraus. Ich warte auf mehr, aber wenn da noch was war, kriegt sie es nicht über die Lippen. Ich frag mich, ob sie wirklich wissen will, wie ich Mickey getötet habe. Dass ich ihn von einem alten Mayatempel stieß, dabei zusah, wie er die Steinstufen runterstürzte und sein Blut verspritzte. Nein, ich schätze, das weiß sie bereits. Irgendwann wird sie sicher in Erfahrung gebracht haben, wie ihr eigener Sohn gestorben ist. Ich halte die Klappe. – Wie konnten Sie … Sie atmet schwer. – … das nur tun? Sie keucht, ihr Brustkorb hebt und senkt sich, sie hyperventiliert. Ich hab keine Ahnung, was ich darauf sagen soll. Ich suche nach einer Antwort, die mich möglichst lang am Leben hält, mir genug Zeit verschafft, meinen Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen. Ich versuche nachzudenken. Ich denke an die Oberseite meines Schädels, die dröhnt und juckt, ganz als ob der Totschläger die Kopfhaut hat platzen lassen und sich auf der Wunde bereits wieder Schorf bildet. Ich denk an meine rechte Schulter, die wahrscheinlich nicht allzu schwer lädiert ist, aber trotzdem höllisch schmerzt. An die Kabelbinder um meine Handgelenke, die das Blut in meinen Händen stauen. Und ich denke an mein Gesicht, das sich anfühlt, als hätte jemand eine Ladung Nägel reingedroschen. Ich brauch dringend was, das die Schmerzen betäubt. – Wie …? Offensichtlich will sie noch mehr sagen, aber wegen der vielen Luft, die sie durch ihre Lungen pumpt, bekommt sie es nicht heraus. Dafür fällt mir endlich was ein, was ich gern sagen würde. Ich hab Probleme mit dem Sprechen. Es tut weh. Ich versuch es trotzdem. – Ich will nicht sterben.

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Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann Was immer sie als Nächstes loswerden wollte, bleibt ungesagt. Ich wiederhole den Satz. – Ich will nicht sterben. Sie schüttelt den Kopf. – Halten … Diesmal ist es kaum noch ein Wort, mehr ein tonloses Luftschnappen. Atem in Form eines Wortes, aber ohne das Gewicht gesprochener Sprache. – … Sie den Mund. Aber das tu ich nicht. – Ich will nicht sterben. Sie erhebt sich. Ihre muskulösen Ballerinenbeine beben dabei vor Wut. – Halten Sie den Mund. Aber ich kann nicht. – Ich will nicht sterben. Sie macht einen Schritt auf mich zu. Die Hände zu Fäusten geballt, mit zitternden Armen. Heiße Tränen schießen ihr aus den Augen. – Sie sollen den Mund halten. Aber es ist wahr. Ich meine wirklich, was ich sage. – Ich will nicht sterben. Sie baut sich vor mir auf, und ihre Faust kracht gegen die Seite meines Schädels. Die Nägel werden tiefer in mein Gesicht getrieben. Aber ich kann meinen Mund nicht halten. – Bitte. Ihre andere Faust schlägt in meinen Nacken. – Halten Sie den Mund. Nein. – Ich will nicht sterben. Ihre Arme holen aus, dreschen auf mich ein, hämmern gegen meinen Rücken, die Schultern, den Kopf und den Nacken. Sie schluchzt. – Halten Sie den Mund. Sofort. Mund halten. Sie sollen … Sie … niemals. Halten Sie endlich den Mund. – Bitte. Lassen Sie mich leben. Ich will nicht. Ich kann noch nicht sterben. Ich will nicht. Noch nicht. Flüsternd flehen wir einander an. Sie sinkt auf die Knie, keuchend, ihre Schläge werden immer kraftloser. – Halten Sie endlich den Mund. Mund halten. Bitte den Mund halten. Sie kauert neben der Couch, ihr Gesicht nur eine halbe Armlänge neben meinem, ihre ineinander verkrampften Hände trommeln auf meinen Rücken. – Bitte, seien Sie still. Stachelhaar sagt irgendwas auf Russisch. Sie hört auf, mich zu traktieren, und antwortet ihm. Er tritt zu ihr und reicht ihr etwas. Immer noch auf Knien, nimmt sie es entgegen. Ich kann sehen, was es ist. – Bitte. Ich will nicht sterben. Sie schiebt mir die Pistole unters Kinn und presst sie gegen meine Kehle. – Halten Sie den Mund. Mein Mund klappt auf. Der Widerhall eines jahrzehntealten Schluchzers quillt heraus. – Bitte. Sie rammt mir den Lauf ins Fleisch. – Halten Sie den Mund. Bitte, bitte. Es ist nur noch ein Flüstern. Eine fast unhörbare Beschwörung. Ich halte den Mund.

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Christoph Marzi | Lumen »An Christoph Marzi kommt keiner vorbei, der erstklassige Fantasy-Romane liebt« Bild am Sonntag

Bereits erschienen:

»Lydid as« wu rde beim Deutsc hen Ph a n t astik P 2005 m reis it Platz 1 der besten Roman debüts ausgez eichne t

Christoph Marzi Lumen Heyne Taschenbuch Originalausgabe 800 Seiten ISBN 3-453-81081-3 € 14,00 (D) / € 14,40 (A) / sFr 25,30 Erscheint im November 2006

Mysteriöse Gestalten huschen durch die Winternacht, Menschen verschwinden vom Angesicht der Erde und fremde Nebel suchen die Stadt der Schornsteine heim. Erneut muss das Waisenmädchen Emily, begleitet von ihrem Mentor, dem mürrischen Alchemisten Wittgenstein, in die geheimnisvolle Welt unterhalb Londons hinabsteigen und der Spur eines dunklen Rätsels folgen. Alle Zeichen deuten nach Prag, der düsteren Stadt mit dem Tor zur Hölle ... Doch bevor Emily ihre Geschichte beenden kann, trifft der gefallene Engel Lycidas eine schicksalhafte Entscheidung, glaubt Emilys Freundin Aurora, Tote zu sehen, und muss Emily selbst einen gefährlichen Weg gehen, um die zu retten, die sie liebt ... Nach »Lycidas« und »Lilith« findet die märchenhafte Geschichte um Emily und ihre Gefährten in »Lumen« ihren atemberaubenden Höhepunkt – einmal mehr verwebt der Autor die viktorianische Atmosphäre eines Charles Dickens mit dem Zauber von Harry Potter.

Christoph Marzi, 1970 in Mayen in der Eifel geboren, studierte Wirtschaftspädagogik in Mainz. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer an einem Wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium in Saarbrücken schreibt er seit vielen Jahren fantastische Erzählungen. Der Autor lebt mit seiner Familie im Saarland.

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© Jens S. Achtert

TOP five | November/Dezember 2006

Christoph Marzi | Lumen

aus: Lumen »El-Khamsin!« »Zu Euren Diensten, Liliza.« »Du kannst uns tragen, wie damals.« Der Wüstenwind fegte durch die große Halle, und seine wispernden Finger griffen nach den Teppichen, die orientalisch bunt den Boden bedeckten. Er prüfte den Stoff und ließ sie wehen und entschied sich am Ende für einen riesigen Teppich, der als Gefährt dienen würde. »Wir werden den Mala’ak ha-Mawet davonfliegen, Liliza.« Der Teppich schwebte einige Zentimeter über der Erde, und es sah aus, als wehe ein windiger Hauch unter ihm. Als wäre da etwas Lebendiges. »Steigt auf, und wir werden in die Wüstenei hinausfliegen.« Eliza tat wie geheißen. Sie reichte Aurora und Neil die Hand. »Auf einem Teppich«, bemerkte Sariel, »bin ich noch niemals geflogen.« Er lächelte sein Engelslächeln, und mit einem Mal war es ein wenig heller in der Halle. »So will ich es versuchen. Wenn Ihr erlaubt, El-Khamsin.« Und als der Wüstenwind mit einer kleinen Böe lächelte, da setzte auch der Urielit seinen Fuß auf den Teppich. »Setzt euch und haltet euch fest.« Emily schaute die Gefährten auf dem Teppich an. Dann trat sie vor und streckte beide Hände aus. Aurora ergriff die eine, Neil die andere. »Passt auf euch auf«, bat Emily die beiden, und so viele Momente, die sie geteilt hatten, waren auf einmal wieder da. Besuche am dunklen Fluss, die Cutty Sark, Regen und Schnee und Herbstlaub in Hampstead Heath, Rotherhithe, die U-Bahn, Leicester Square um 15:08 Uhr, die Northern Line. Ganz fest drückte Aurora ihre Hand. »Was da auch kommen mag.« Das leise Versprechen, das wie eine Verschwörungsformel im Verborgenen lebte und schon immer da gewesen war. Und Neil, der kein Freund großer Worte war, sah einfach nur ernst aus. »Bis bald«, sagte er, und Emily, die wusste, wie er es meinte, nickte stumm, weil ihr ein Kloß im Hals steckte. »Sie kommen!« Es war Sariel, der zur Wüstenei hinausdeutete, wo die dunklen Gabrielskrieger nahten. Emily spürte mit einem Mal eine Kälte in ihrem Herzen, die sie zu lähmen schien. Eliza, die den Gesichtsausdruck des Mädchens bemerkt hatte, sagte: »Das ist es, was sie tun. Man fühlt, als sei man innerlich bereits gestorben. Es ist an der Zeit, Emily. Wir dürfen nicht länger warten.« Sie schnippte mit den Fingern, und die Ringe daran klimperten leise. »El-Khamsin, bring uns fort.« Der Teppich hob sich. »Euch allen Licht und Leben. Und Glück, denn das werdet ihr brauchen.« Die Fegefeuer kamen über uns, und in der flammenden Wärme, die uns umgab, sahen wir, wie El-Khamsin den Teppich hinforttrug, wie schwarze Engel sich näherten, uralte Wesen, in deren Augen Kälte brannte wie in der Urieliten Augen das Feuer des Lichts. Emily sah durch eine fiebrig und doch eisig kalt flimmernde Hitze, wie Tristan Marlowes loderndes Fegefeuer aufflammte und dann verschwunden war. Mr. Fox und Mr. Wolf, das wusste sie, würden nicht mit nach Prag kommen. Nach London zurückzukehren, hatte Eliza ihnen aufgetragen. Auch ihre Fegefeuer verschwanden, und das Letzte, dessen Emily wie benommen gewahr wurde, waren die kalten Raubvogelaugen der Mala’ak ha-Mawet, die Pandaemonium erreicht hatten. Dann waren auch die dunklen Engel verschwunden und das Gefühl der Kälte mit ihnen. Da war eine Melodie, die ganz plötzlich zum Leben erwachte. Ein Lied, eine Stimme. Your’re a big girl now. Da war ein Ort, Piccadilly Circus, und eine Erinnerung, so schön. Emily Laing, die im Schutz des Fegefeuers erneut auf Reisen war, schloss die Augen und konnte einfach nicht anders, als einen schönen Gedanken zu denken. Einen Gedanken, der sie mehr wärmte, als es ein Fegefeuer jemals zu tun vermocht hätte.

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Kitty Fitzgerald | Pigtopia »Ein emotionaler Rundumschlag – mitfühlend, düster, bewegend, voll schwarzen Humors. Schlichtweg großartig!« Val McDermid

beim Platz 2 ble s & No »Barne reat New er G Discov Awards« Writers

Kitty Fitzgerald Pigtopia Heyne Taschenbuch Deutsche Erstausgabe 304 Seiten ISBN 3-453-67524-X € 8,95 (D) / € 9,20 (A) / sFr 16,50 Erscheint im November 2006 Jack Plum lebt seit seiner Geburt von der Außenwelt isoliert zusammen mit seiner behinderten Mutter, die ihn hasst. Jack wurde mit einem deformierten Kopf geboren, der an den eines Schweins erinnert. Und Schweine sind auch seine einzigen Freunde. Bevor sein Vater, ein Metzger, die Familie verließ, baute er mit Jack einen Schweinestall im Keller unter dem Haus, der für Jack und seine geliebten Tiere die einzige Zuflucht ist – sein »Pigtopia«. Doch dann begegnet Jack der jungen Holly Lock. Eine Freundschaft entsteht. Aber je mehr sich Jack für die Außenwelt öffnet, umso gefährlicher wird es für ihn und seine kleine Idylle. »Pigtopia« ist eine düstere Fabel, in der sich Horror, Fantasie und harter Realismus zu einer wunderbaren Einheit verbinden. Kitty Fitzgeralds erzählerisches Talent und ihre Sprachmagie brauchen sich hinter Klassikern wie »Der Glöckner von Notre Dame« oder »Farm der Tiere« nicht zu verstecken.

Kitty Fitzgerald arbeitete unter anderem in einer großen Molkerei, wo sie ihre Liebe zu Schweinen entdeckte, als sie eines der Tiere großzog. Heute ist sie eine renommierte Dichterin, Theater- und Romanautorin. Inzwischen werden ihre Stücke überall auf der Welt aufgeführt. Kitty Fitzgerald wurde in Irland geboren und lebt jetzt mit einem Wildschwein namens Millie in Newcastle.

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Kitty Fitzgerald | Pigtopia

aus: Pigtopia »Ich weiß, dass du irgendwo da drin bist, Holly Lock!«, ruft Samantha jetzt. »Soll ich deiner Mam erzählen, dass du im Dunkeln aus dem Haus schleichst? Soll ich ihr erzählen, dass du manchmal von der Schule abhaust?« Die Stimme von Samantha ist voll Wütigkeit, und ich merke, wie die Haare an meinem Schweinkopfnacken eisig kalt werden. Holly schaut mich mit arger Furcht an, und ich denke, sie muss gleich schreien wegen all dem Graus. Ich halte meinen blutigen Finger an die Lippen, sie soll still sein. Ausweg weiß ich jetzt keinen. Da ist zu viel zum Denken im Schweinhirn, wo schon randvoll mit Schlachten und Tod ist. Holly stellt sich hinter meinen Schweinrücken, so als täte sie sich verstecken vor dem, wo uns bedroht, und sie stößt paar Riesenseufzer aus. Ihr Winzkörper neben meinem ist ganz am Zittern, als Samantha noch einmal ruft. »Ich behalte dich im Auge, Holly!« Ich, Holly und der Schweinstamm warten drunten. Unser Keuchatem geht viele Male, aber von Samantha kommt nichts mehr. Wegen dem Schrecken sinke ich zusammen wie ein Sack, wo voller Nassheit ist, aber dann kapier ich, wie Holly ihr Atmen anhält. Ihre Lippen sind ganz blau. Ich hebe sie auf die Schultern und laufe geschwindiglich nach droben, und am Spülbecken kriegt sie das Würgen und kotzt Spucke und Schleim. Als ich sie loslasse zum das Becken wässern, sinkt sie auf den Boden. Ihre Augen sind ganz still und ohne Leben, so als täte sie irgendwohin in ein Fernland treiben, fort von Tod und Graus. Ihre Winzhände sind extremhaft kalt, und ich streichle und puste mein warmes Atmen drauf, bis sie ein schnelles Hundkeuchen anfängt, wo sagt, dass sie langsam an den Hierort zurückkommt. Die Samanthastimme hat auch mich ganz in die Hierzeit geholt, weg vom immerzu Hacken und Singen und so tun, als ob wir bei Schlachter Blandish lernen täten. Jetzt sehe ich die Schleimflecken auf Holly, auf Gesicht und Armen drauf, blutig und fettlich, und darunter ihre Haut, wo ausgebleicht ist wie ein Laken. Ich hebe sie sanft hoch und trage sie runter zum Trost von Schweinen. Ihr Kopf kullert von Seite auf Seite wie der von einem frisch gebärten Schwein, und ich sehe perlige Schweißtropfen auf ihren Lippen drauf. Als sie auf dem Heu liegt, schart der Stamm um sie herum, er schnaubt leise Lieder und stupst sie voll Liebe an. Da weiß ich scharf wie ein Messerstoß, ich werde alles tun, was nötig ist zum sie behüten. Als in ihre Augen Licht reinkommt, spreche ich leise zu ihr. »Du musst jetzt fortgehen, Holly«, sage ich. »Geh dich droben umziehen und waschen, und leg die Mülleimerbeutel da hin. Ich tu enden, was nötig ist, und mach alles sauber.« »Nein, Jack, ich hab gesagt, ich helfe dir, und das hab ich auch so gemeint.« In ihre Stimme kommt ein hämmriges Geräusch, wo ich bisher noch nie gehört hab. Ein kaltes Fürchten schießt mir den Rücken hoch. »Hör zu, Holly. Du hast extremhaft Mut, aber ich hätte nicht zulassen sollen, dass dieser Graus über dich kommt. Ich sag dir ganz argen Dank, weil ich dich gebraucht hab zum nicht erdrückt werden, aber das hab ich jetzt besiegt und du musst gehen, bitte, und ganz viel aufpassen wegen Samanthas Schleicherei.« Erleichterung strömt in sie rein, und ich lausche ganz still, wie sie sich droben wäscht und umzieht, aber halb hört mein Schweinohr auf die Draußenwelt, ob nicht Samantha wiederkommt. Bevor Holly geht, spähe ich viele Minuten raus, und an der Tür merke ich, wie sie noch immer leicht am Schwanken ist. Ich warte, bis sie nahbei von ihrem Garten ist, bevor ich wieder nach drunten gehe. Dort sitzen ich und der Schweinstamm manche Weile gemeinsam da, damit ich wieder Kraft sammeln kann, und dann gehe ich rauf zum das grausvolle Schlachten von Mams Körper enden. Viel später isst der Schweinstamm draußen vor der Waldtür alles, wo er kann, derweil in meinem Schädel drin ein Klagen rumpelt, wo fast Verzweiflung ist. Wie alle Schweine wieder im Palast sind, knicken meine Beine ein, und ich sinke ins Heu, so als täte ich selbst dazu werden. Es ist, wie wenn der Schweinkörper sich auflöst und zu Boden und Sägmehl und Heu wird, alles vermischt zu einem Ding, nicht getrennt, sondern zusammengeschmelzt. Ich bleibe in diesem Raum und denke an das, wo in allen Dingen drin ist, so wie Luft, aber nicht nur das, auch wie Sonnenkraft und manch anderes, wo ich keine Wörter für hab und wo man nicht sieht, aber wo immer in allen Dingen wummert und pocht. Und jetzt ist Mams Körper in den Wutzen, und sie ist Sau geworden, wie sie Dad genannt hat: Schwein.

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REZENSIONSEXEMPLARE Einfach per Fax bestellen: +49/(0)89 / 4136-35 07

November/Dezember 2006: Bitte schicken Sie mir folgende Rezensionsexemplare: Max Barry | Chefsache

ISBN 3-453-81064-3

Martina Cole | Das Abbild

ISBN 3-453-43169-3

Charlie Huston | Ein gefährlicher Mann

ISBN 3-453-43205-3

Christoph Marzi | Lumen

ISBN 3-453-81081-3

Kitty Fitzgerald | Pigtopia

ISBN 3-453-67524-X

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