Nackte Helden und andere Geschichten von Frauen - Die Onleihe

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25. Nov. 2013 ... Herz haben muss. Cornelia fragte sich, wo nur die Polizei so lange blieb. Noch nicht einmal Sirenen waren zu hören. Lediglich ein aus allen.
Herz haben muss. Cornelia fragte sich, wo nur die Polizei so lange blieb. Noch nicht einmal Sirenen waren zu hören. Lediglich ein aus allen Richtungen dröhnender Baulärm lag über der Stadt und zeugte von Abriss und Aufbau, jener urbanen Sinfonie vorsätzlichen Werdens und Vergehens, die in ihrer Selbstverständlichkeit leider keinesfalls beruhigend wirkte. Während sie noch die Hand des Bankräubers auf dem Armaturenbrett im Auge hatte, eine unberingte, schwielige Hand, kam Cornelia in den Sinn, dass diese Hand auch einmal den Griff eines Presslufthammers umklammert haben könnte. Denn was sie sah, war ohne Zweifel eine Arbeiterhand, die womöglich zitterte, wenn sie eine

Unterschrift aufs Papier zu setzen hatte. Konnte gut sein, dass für den Mann neben ihr im Vergleich zu den sonstigen Plagen des Überlebenskampfes ein Banküberfall ein geradezu mühelos unbürokratischer Akt war. Man kennt die Zweitmotive ja nie so genau, man glaubt immer nur, dass es Geld ist, überlegte Cornelia, die sehr wohl um ihre Neigung wusste, sich mit den im Leben zu kurz Gekommenen zu solidarisieren, nur um sich selbst in solidarischer Verbundenheit zu wägen. Aber es gab hier nicht den geringsten Grund für Solidarität. Wie die Sache auch immer ausgehen mochte, gemäß der statistischen Wahrscheinlichkeit hatte er ihr zumindest die Chance vermasselt, dem Mann ihres Lebens doch eines Tages noch zu begegnen. Und das

war ihm nun wirklich übel zu nehmen. Ein kleiner Schrecken durchfuhr sie, als die Hand des Bankräubers tatsächlich in ihre Manteltasche langte und die Packung Papiertaschentücher hervorholte. Ein Schrecken wie er vielleicht auch nicht größer hätte sein können, wenn ihm unmittelbar der Tod folgte. Die Menschen, die in Filmen erschossen wurden, schauten in der letzten Sekunde ihres Lebens immer bloß erstaunt. Manchmal schob sich in das Erstaunen noch ein Rest Bewunderung. „Was? Du? Du hast es tatsächlich gemacht? Du hast die Tat tatsächlich begangen? Alle Achtung!“ Nein, sie würde ihm nicht noch im letzten Moment Bewunderung schenken oder dieses Tausendstel Begriffsstutzigkeit, das die Tat des

Mörders vielleicht noch legitimierte, weil die Dummen meistens ohnedies selbst schuld an allem Unheil sind, das ihnen zustößt. Ich will nicht die Dumme sein, dachte Cornelia, ich will weder dumm noch tot sein. Ich will hier raus. Wo, um Himmels Willen, bleiben die nur so lange! „Nicht träumen!“, fuhr der Mann sie an, während er sich mit einem Taschentuch über die Augen wischte, als hätte er geweint. Cornelia legte schnell den Gang ein und brachte den Wagen hüpfend und stotternd einige Meter nach vorn, bis knapp an die Stoßstange des vorderen Fahrzeugs. Jetzt erst merkte sie, dass ihr Fuß am Pedal zitterte, wie eingespannt in eines dieser Massagegeräte, die man zum Wegmassieren ungewollter

Fettpölsterchen benützt. „Entschuldigung“, sagte sie, „ich bin auch ein bisschen nervös.“ Und als sie es gleich darauf wiederholte, schrie sie es fast: „Ich bin auch nervös, verdammt noch mal!“ Worauf er die Waffe, die schon ein wenig nachlässig auf den Sitzpolster gezeigt hatte, erneut in Stellung brachte und in gebrochenem Deutsch sagte: „Machen Sie bitte keine Sorgen!“ Cornelia machte sich seufzend auf einen Haufen Missverständnisse gefasst, auf irritierende, beleidigende, verletzende, in letzter Konsequenz tödliche und im Übrigen völlig absurde, unnötige Missverständnisse. Da war es ja noch besser, allein vor dem Fernseher zu sitzen und sich nach Abenteuer und romantischer Zweisamkeit zu sehnen.