Research Notes - DIW Berlin

22 downloads 0 Views 329KB Size Report
Dobson, P. und Inderst, R. (2007): Differential buyer power and the waterbed effect: Do strong buyers benefit or harm consumers? European Competition Law ...
Research Notes

25 Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht Korrigierte Fassung

Roman Inderst Christian Wey Berlin, Oktober 2007

IMPRESSUM DIW Berlin, 2007 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Mohrenstr. 58 10117 Berlin Tel. +49 (30) 897 89-0 Fax +49 (30) 897 89-200 www.diw.de ISSN 1860-2185

Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des DIW Berlin ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

Research Notes 25

Roman Inderst* Christian Wey**

Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht Korrigierte Fassung

Berlin, Oktober 2007

*

Universität Frankfurt, Lehrstuhl für Finanzen und Ökonomie (IMFS), [email protected]

**

DIW Berlin, Abteilung Informationsgesellschaft und Wettbewerb, [email protected]

Research Notes 25 Zusammenfassung/Abstract

Zusammenfassung Anhand neuerer Beiträge der wettbewerbstheoretischen Forschung – insbesondere der Verhandlungstheorie – werden wichtige Aspekte der Erfassung von Ursachen und Wirkungen von Nachfragemacht analysiert. Nachfragemacht bedeutet hierbei in der Regel Verhandlungsmacht in bilateralen Handelsbeziehungen. Dagegen ist die häufig praktizierte Anwendung des Monopson-Modells, das Nachfragemacht spiegelbildlich zu Marktmacht auf Endkundenmärkten darstellt, oft nicht angemessen. Wir diskutieren auch die Wahl geeigneter Messgrößen für Nachfragemacht sowie die Abschätzung möglicher Auswirkungen auf Wettbewerb und Endverbraucher.

Abstract Based on recent developments in competition theory, we analyze key aspects of buyer power. The main perspective that we take is one where buyer power is treated as bilateral bargaining power. This represents a key difference to the more standard approach that views buyer power through the lenses of the monopsony model. We also discuss different ways to measure buyer power and analyze in detail its impact on the competitive process and consumers.

II

Research Notes 25 Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis 1 Nachfragemacht und Wettbewerbspolitik ........................................................................ 1 2 Ökonomische Grundlagen .................................................................................................. 5 2.1 Die Wahl des richtigen Analyserahmens ....................................................................... 5 2.2 Verhandlungen............................................................................................................... 7 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht ....................................................................... 8 3.1 Zur Messung von Nachfragemacht................................................................................ 9 3.2 Aussagekraft von Schwellenwerten............................................................................. 13 4 Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht ...................................................... 14 4.1 Kurzfristige Auswirkungen auf die Endverbraucherpreise.......................................... 14 4.2 Langfristige Auswirkungen auf die Lieferanten .......................................................... 17 5 Möglichkeiten der Wettbewerbspolitik ........................................................................... 18 6 Abschließende Bemerkungen ........................................................................................... 21 Literatur.................................................................................................................................. 22

III

Research Notes 25 1 Nachfragemacht und Wettbewerbspolitik

1

Nachfragemacht und Wettbewerbspolitik

Nur selten verkaufen Hersteller ihre Produkte direkt an den Endkunden, auch wenn der Internethandel in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen hat. Stattdessen erreichen Güter den Endkunden oft erst über eine Vielzahl von Zwischenstufen. Auf jeder Stufe dieser Wertschöpfungskette kommen Angebot und Nachfrage zusammen. Die Preise sowie die Qualität und Vielfalt der Güter, die letztendlich für den Endverbraucher erhältlich sind, bestimmen sich somit aus der Intensität des Wettbewerbs sowohl auf der Stufe der Endverbraucher als auch auf allen vorgelagerten Märkten. Die Wertschöpfungskette wird in der gängigen ökonomischen Theorie im Allgemeinen stark vereinfacht dargestellt, wobei die besondere Rolle des Einzelhandels kaum Berücksichtigung findet. In den industrieökonomischen Standardmodellen konkurrieren Hersteller in der Regel direkt um die Gunst der Endkunden oder sie verkaufen ihre Güter über eine Handelsstufe, die aufgrund der Annahme von vollständiger Konkurrenz keiner weiteren Modellierung mehr bedarf. 1 Andererseits spielte die Nachfragemacht auf Beschaffungsmärkten eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung des Wettbewerbsrecht. So führen Sexton et al. (2002) aus, dass die Verabschiedung des Sherman Act 1890 (des weltweit ersten Kartellgesetzes) im Wesentlichen durch die zunehmende Nachfragemacht großer Verarbeitungsbetriebe in der Fleischindustrie motiviert war. Ähnlich verhält es sich mit dem Robinson-Patman Act von 1936, durch den Preisdiskriminierung und nichtkostendeckende Rabatte auf Beschaffungsmärkten bekämpft werden sollten. Dieser ist maßgeblich durch die zunehmende Nachfragemacht großer Handelsketten beeinflusst worden. Betrachten wir das „Standardwerkzeug“ der modernen Wettbewerbstheorie, dann bietet es sich zunächst an, die dem Einzelhandel vorgelagerten Wirtschaftsstufen ebenfalls als Märkte abzubilden, auf denen Tausch zu einheitlichen Preisen erfolgt. Dieser Ansatz ist in der Tat in der ökonomischen Literatur verfolgt worden. Die vertikalen Beziehungen zwischen Zulieferern und Abnehmern werden dabei vereinfachend im Stile von Großhandelsmärkten model-

1 Diese Feststellungen treffen insbesondere auf die Standardmodelle des Bertrand- and Cournot-Wettbewerbs zu.

1

Research Notes 25 1 Nachfragemacht und Wettbewerbspolitik

liert. 2 Wir werden zeigen, dass dieser Analyserahmen oft wenig geeignet ist, um die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen von Nachfragemacht in vertikalen Beziehungen angemessen abzubilden. Stattdessen muss vielmehr ein Analyserahmen gewählt werden, der von bilateralen Handelsbeziehungen und Verhandlungen ausgeht. 3 Nachfragemacht bedeutet demnach in der Regel Verhandlungsmacht in bilateralen Beziehungen. Der erste Schritt in diesem Aufsatz ist deshalb zwangsläufig die Einführung der entsprechenden (theoretischen) Konzepte, mit deren Hilfe Verhandlungssituationen angemessen abgebildet werden können. Mithilfe dieses Instrumentariums können im Anschluss Ursachen und Wettbewerbswirkungen von Nachfragemacht analysiert werden. Die korrekte Erfassung und Einschätzung von Nachfragemacht gewinnt in der wettbewerbspolitischen Praxis zunehmend an Bedeutung, was eng mit der fortschreitenden Konzentration im Einzelhandel zusammenhängt. Insbesondere im europäischen Lebensmitteleinzelhandel hat sich in den letzten Jahren die Konzentration erheblich erhöht. Hierzu haben sowohl das Wachstum von Supermarkt- und Discounterketten und die Entstehung von Hypermärkten als auch Großfusionen über nationale Grenzen hinweg beigetragen. Bei der wettbewerbspolitischen Bewertung von Zusammenschlüssen im Einzelhandel spielte die Feststellung von Nachfragemacht auf Beschaffungsmärkten oft eine zentrale Rolle und führte, wie noch auszuführen sein wird, zu Untersagungen sowie zur Anwendung spezieller Auflagen. Im europäischen Vergleich haben sich mit Sicherheit die britischen Kartellbehörden am tiefgreifendsten mit dem Lebensmitteleinzelhandel und dem Thema Nachfragemacht befasst. Ein Hauptgrund dafür ist die fortgeschrittene Konzentration, die wiederum zum Teil auf die kon-

2 Formal wird dabei eine „abgeleitete” Nachfragefunktion der jeweils nachgelagerten Absatzstufe ermittelt, die sich ihrerseits aus dem Wettbewerb auf dieser Stufe ergibt. Eine Anwendung dieses Konzepts auf Probleme der Marktdefinition und der Einschätzung von Marktmacht auf vorgelagerten Absatzsstufen findet sich in Inderst und Valletti (2007). 3

Im Grunde stehen sich bei der formalen Abbildung der neoklassische Ansatz und der Coasianische Ansatz gegenüber. Ersterer fokussiert auf den anonymen Tausch zu einheitlichen Preisen, wobei ein Walrasianischer Tâtonnementprozess ein Konkurrenzgleichgewicht herstellt, während letzterer auf bilaterale Tausch- und Vertragsverhältnisse abstellt. Zur formalen Implementierung des Konkurrenzgleichgewichts siehe Walras (1954). Coase (1988) beschreibt den vertragsorientierten Ansatz wie folgt: „In order to carry out a market transaction it is necessary to discover who it is that one wishes to deal with, to inform people that one wishes to deal and on what terms, to conduct negotiations leading up to a bargain, to draw up the contract, to undertake the inspection needed to make sure that the terms of the contract are being observed and so on“.

2

Research Notes 25 1 Nachfragemacht und Wettbewerbspolitik

sequente Liberalisierungspolitik, die bereits unter Thatcher einsetzte, zurückzuführen ist.4 Im Zuge der weiter fortschreitenden Konzentration unterzieht die Competition Commission nun bereits zum zweiten Mal nach 2000 den Lebensmitteleinzelhandel einer umfassenden Wettbewerbsanalyse (market inquiry). 5 Die erste Marktuntersuchung veranlasste die Wettbewerbsbehörde, einen „Verhaltenskodex“ (code of best practice) zu verabschieden, der einem möglichen Ausbeutungsmissbrauch mächtiger Handelsketten entgegenwirken sollte. 6 Im aktuellen Verfahren steht die zunehmende Nachfragemacht neben Problemen des (horizontalen) Wettbewerbs wieder im Vordergrund. Zudem gab es 2003 ein umfassendes Fusionskontrollverfahren im Zusammenhang mit der Übernahme der Handelskette Safeway, die damals noch zu den fünf größten in Großbritannien zählte. 7 In diesem Verfahren war die Feststellung von Nachfragemacht entscheidend dafür, den anderen großen, landesweit agierenden Ketten die Übernahme zu untersagen. In der Europäischen Union hat Nachfragemacht eine entscheidende Rolle in der Beurteilung der folgenden beabsichtigten Zusammenschlüsse von Einzelhandelsketten gespielt: Rewe und Meinl 8 , Kesko und Tuko 9 und Carrefour und Promodés 10 . Im Falle des Zusammenschlusses von Rewe und Meinl in Österreich hat die Europäische Kommission explizit eine komplette Übernahme von Meinl mit der zunehmenden Konzentration auf dem Beschaffungsmarkt abgelehnt. Rewe konnte daher nur einen Teil des gesamten Filialnetzes von Meinl übernehmen. Durch den Erhalt alternativer Absatzmöglichkeiten sollte die Abhängigkeit der Lieferanten verringert werden. Im Falle von Kesko und Tuko wurde der Zusammenschluss zweier führender finnischer Ketten untersagt. Hierbei spielte die Feststellung, dass Kesko bereits eine so genannte TürsteherFunktion (gatekeeper role) gegenüber den Lieferanten innehatte, eine entscheidende Rolle. Es 4

Ein Vergleich der Liberalisierungsentwicklungen des Einzelhandels im europäischen Kontext findet sich in Faini et al. (2006). Zum aktuellen Stand der Liberalisierung des Einzelhandels in Deutschland siehe von Schlippenbach und Wey (2006).

5

Die Competition Commission hat ihre zweite Marktanalyse im Mai 2006 begonnen, und es wird ein endgültiges Urteil im Mai 2008 erwartet. Siehe hierzu auch die umfassend kommentierte offizielle Webseite der Competition Commission: www.competition-commission.org.uk/inquiries/ref2006/grocery/.

6

Competition Commission (2000).

7

Competition Commission (2003). Eine Besonderheit im Einzelhandel ist, dass hier unilaterale Effekte einer Fusion oft geringer ins Gewicht fallen, da diesen durch das gezielte Abstoßen einzelner Filialen einfach entgegengewirkt werden kann.

8

Case no IV/M.1221

9

Case no IV/M.784

10

Case no IV/M.1684

3

Research Notes 25 1 Nachfragemacht und Wettbewerbspolitik

wurde argumentiert, dass es insbesondere für landesweit agierende Markenhersteller, die auf einen hohen Penetrationsgrad auf Endkundenebene angewiesen sind, keine alternativen Absatzkanäle gäbe. Die Gefahr eines verstärkten Ausbeutungsmissbrauchs wurde in diesem Fall als zu hoch angesehen. Die Gefahr eines Ausbeutungsmissbrauchs stand auch im Vordergrund bei der Bestimmung der Auflagen, unter denen der Zusammenschluss der beiden Ketten Carrefour und Promodes bewilligt wurde. Wie weiter unten noch ausgeführt wird, wurde in diesem Verfahren ein Indikator für das jeweils vorherrschende Abhängigkeitsverhältnis ermittelt. Für die damit identifizierte Gruppe von abhängigen Lieferanten kamen dann zusätzliche Schutzbestimmungen zur Anwendung. Auch in der aktuellen Debatte um die geplante Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Deutschland spielt das Thema der Nachfragemacht im Einzelhandel eine Rolle. Konkret soll das bereits bestehende Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis im Lebensmitteleinzelhandel verschärft werden. Es wird in diesem Zusammenhang oft argumentiert, dass starke Handelsketten mit Untereinstandspreisverkäufen nicht nur ihre schwächeren Konkurrenten, sondern auch ihre Lieferanten unter Druck setzen. 11 Der vorliegende Aufsatz gliedert sich wie folgt. Zunächst wird der Analyserahmen entwickelt. Darauf aufbauend werden mögliche Ursachen von Nachfragemacht sowie die sich daraus ergebenden, messbaren Indikatoren diskutiert. Daran schließt sich eine Analyse der möglichen Auswirkungen von Nachfragemacht auf Wettbewerb und Endkunden an. 12 Abschließend soll auf einige konkrete Maßnahmen, die insbesondere auf eine Beschränkung des Ausbeutungsmissbrauchs bei Nachfragemacht abzielen, eingegangen werden. Der vorliegende Aufsatz nimmt nicht für sich in Anspruch, das Thema Nachfragemacht aus wettbewerbsrechtlicher Sicht umfassend darzustellen. Vor allem angesichts der Besonderheiten der jeweiligen Rechtsnormen kann die wettbewerbsrechtliche Seite im Rahmen einer allgemeinen ökonomischen Betrachtung nicht hinreichend Beachtung finden. Ausgehend von neueren Beiträgen der ökonomischen Forschung soll allerdings eine in sich geschlossene Betrachtung von Nachfragemacht entwickelt werden, die durch eine klare Verknüpfung von

11

Siehe hierzu kommentierend Ritter und Lücke (2007).

12

In diesem Aufsatz wird die ökonomische Literatur nicht vollständig abgehandelt. Für einen weit detaillierteren Überblick über die ökonomische Literatur zu den Ursachen und Auswirkungen von Nachfragemacht siehe Inderst und Mazzarotto (2006).

4

Research Notes 25 2 Ökonomische Grundlagen

Ursachen und möglichen Wirkungen eine Grundlage auch für die wettbewerbsrechtliche Behandlung von Nachfragemacht liefert. Aus diesem Grunde richtet sich der vorliegende Aufsatz gerade auch an Praktiker des Wettbewerbsrechtes. 13

2

Ökonomische Grundlagen

2.1

Die Wahl des richtigen Analyserahmens

Die wettbewerbsrechtliche Praxis stützt sich gemeinhin auf eine Konzeption von Nachfragemacht, die diese spiegelbildlich zur Ausübung von angebotsseitiger Marktmacht betrachtet: Den Monopson- oder auch Oligopson-Ansatz. 14 Hier wird in der Regel auf der Angebotsseite Preisnehmerverhalten angenommen. Ferner bleibt der Tausch dahingehend anonym, dass keine bilateralen Vertragsanpassungen (wie etwa Rabatte) möglich sind. Gleiche Güter werden damit von allen zum gleichen Preis bezogen. Analog zum Monopol sowie zum Oligopol – nur mit umgekehrten Vorzeichen – wird ein marktstarker Nachfrager dann versuchen, seine Nachfrage strategisch einzuschränken, um damit den vorherrschenden Einkaufspreis zu senken. Dadurch stellt sich ein Gleichgewicht auf einem niedrigeren Mengen- sowie Preisniveau ein. Die Ausübung von Nachfragemacht würde damit zu einer größeren allokativen Ineffizienz führen. Interessanterweise profitieren vom strategischen Verhalten des marktstarken Käufers damit auch alle anderen Käufer, da sie zum gleichen Einstandspreis ihre Ware beziehen können. Die Annahmen, die dieser Betrachtung zugrunde liegen, scheinen insbesondere für Märkte, auf denen standardisierte Produkte (commodities) gehandelt werden, zuzutreffen. Großhandelsmärkte für Frischware könnten hier ein Beispiel sein. Großhandelsmärkte unterscheiden sich jedoch grundlegend von den Handelsbeziehungen, die oft in Wettbewerbsfällen anzutreffen sind. In diesen Fällen haben wir es typischerweise mit (oft längerfristigen) nicht anonymen Beziehungen zwischen Käufern und Lieferanten zu tun. In derart strukturierten Märkten kann es zu substanziellen Unterschieden in den bilateral aus-

13

Eine wichtige Einschränkung ist hierbei allerdings, dass wir im Folgenden insbesondere die Rolle von Nachfragemacht bei angebotsseitigen Fusionen ausklammern. Im Sinne einer solchen Countervailing Power würde Nachfragemacht hierbei die den Wettbewerb beeinträchtigenden Wirkungen, die von einer angebotsseitigen Marktbeherrschung ausgehen, verringern. Die Details, die bei der Behandlung solcher Countervailing Power in der Fusionskontrolle auftreten, sind in Inderst und Shaffer (2005) behandelt. 14

Eine klassische Referenz hierzu ist Blair und Harrison (1993).

5

Research Notes 25 2 Ökonomische Grundlagen

gehandelten Verträgen kommen. 15 Nachfragemacht manifestiert sich dann in den individuell ausgehandelten Rabatten und sonstigen Vorzugsbehandlungen. Diese Sonderkonditionen (wie Zahlungsaufschübe, Rücknahmeverpflichtungen, Vorratshaltungen oder Sonderanfertigungen) gelten auch nur für das entsprechende Unternehmen mit Nachfragemacht und kommen damit nicht den anderen Käufern zugute. (Inwieweit sich durch die Ausübung von Nachfragemacht auch die Konditionen anderer Käufer ändern können, wird Gegenstand der folgenden Analyse sein.) Ferner dürfte, wie auch noch weiter ausgeführt wird, die Erlangung besserer Konditionen nicht zu einer Reduktion der nachgefragten Menge, sondern möglicherweise sogar zu einer Erhöhung führen. Somit könnte die Ausübung von Nachfragemacht nun sogar zu einer Verbesserung der allokativen Effizienz führen. Wir halten die bisherigen Aussagen wie folgt fest. Kernpunkt 1: In vielen Beschaffungsmärkten und insbesondere dann, wenn relativ wenige Käufer und Verkäufer interagieren, sollte zur Erfassung von Nachfragemacht nicht das Monopson- oder Oligopsonmodell verwendet werden. In diesem Modell führt die Ausübung von Nachfragemacht zu einer Verringerung der nachgefragten Menge, zu einer geringeren allokativen Effizienz sowie zu geringeren Einstandspreisen für alle Käufer. Stattdessen sollte sich Nachfragemacht in der Regel in bilateral ausgehandelten und käuferspezifischen Vorzugskonditionen manifestieren. Im Folgenden wird Nachfragemacht ausschließlich im Sinne bilateraler Verhandlungsmacht weiterentwickelt. Bevor wir dafür den verhandlungstheoretischen Rahmen skizzieren, sei darauf hingewiesen, dass individuelle Rabatte an sich noch kein Beleg für das Vorhandensein von Nachfragemacht sind. So können individuelle Mengenrabatte auch für monopolistische Verkäufer, die zudem über die gesamte Verhandlungsmacht verfügen, profitabel sein. Eine solche Preisdiskriminierungsstrategie kann insbesondere dann optimal sein, wenn der Hersteller entweder die Endverbraucherpreise nicht direkt kontrollieren kann oder aber die jeweiligen Abnehmer private Information über ihre (lokale) Nachfrage besitzen. 16

15

Diese Unterschiede in den Vertragskonditionen offenbaren sich zum Beispiel nach einer Käuferfusion. Die gemeinsame Einkaufsleitung des fusionierten Unternehmens kann dann feststellen, ob ein Anbieter einem der vormals unabhängigen Unternehmen erhebliche Preisnachlässe gewährt hat, dem anderen jedoch nicht. Die Metro-Gruppe forderte nach der Übernahme von Allkauf von den entsprechenden Lieferanten sogar eine rückwirkende Verbesserung der Einstandspreise, was jedoch kartellrechtlich untersagt wurde. 16

Zur Rolle privater Information siehe Maskin und Riley (1984). Für den Fall der Preisdiskriminierung durch einen preissetzenden (monopsonistischen) Anbieter siehe die Diskussion sowie die alternative Formalisierung in Inderst und Valletti (2006b).

6

Research Notes 25 2 Ökonomische Grundlagen

2.2

Verhandlungen

Im Folgenden skizzieren wir die Grundelemente der ökonomischen Analyse von Verhandlungen. Wir unterstellen zunächst, dass die Verhandlungspartner gut über die relevanten Marktdaten informiert sind und relativ komplexe Verträge abschließen können, so dass die konkrete Ausgestaltung des Vertrags den gemeinsamen Gewinn maximiert. Den Gewinn, den zwei verhandelnde Parteien, A und B, durch einen Vertragsabschluss maximal erzielen können, bezeichnen wir mit z (Euro). Die Kernfrage der Verhandlungstheorie richtet sich nun auf die Determinanten der Aufteilung des gemeinsamen Tauschgewinns z. Grundsätzlich und analog zum gängigen Opportunitätskostenkonzept leitet sich die Aufteilung des gemeinsamen Gewinns aus den besten alternativen Möglichkeiten der beiden Vertragsparteien ab. Die beste Alternative des Einzelhändlers könnte zum Beispiel ein Lieferantenwechsel und eine Sortimentsumstellung sein. Für den Hersteller könnte die beste Alternative aus dem Absatz der veranschlagten Liefermenge bei anderen Händlern (möglicherweise mit einem leichten Preisabschlag) bestehen oder aber aus einer Reduktion der ausgebrachten Menge. In der ökonomischen Verhandlungstheorie werden die Gewinne, die die jeweiligen Parteien beim Scheitern der Verhandlungen und beim Zurückgreifen auf ihre besten Alternativen erzielen können, auch als Abbruchoptionen („outside options“) oder Drohpunkte bezeichnet. Wir bezeichnen die entsprechenden Gewinne der Parteien A und B mit vA und vB. 17 Die Berücksichtigung der besten Alternativen der Parteien erlaubt es uns, von einer reinen Bruttogewinnbetrachtung eines erfolgreichen Verhandlungsabschlusses in Höhe von z zu einer Nettogewinnbetrachtung überzugehen. Letztendlich ist es der Nettogewinn, den die Vertragsparteien – nach Berücksichtigung ihrer besten Alternativen – untereinander aufteilen können. Dieser Nettogewinn ergibt sich aus dem maximal gemeinsam erzielbaren Gewinn abzüglich der Werte der besten Alternativen der Vertragsparteien, also aus z-vA-vB. 18 Wir

17 Damit ein sinnvolles Verhandlungsproblem zwischen A und B vorliegt, müssen wir unterstellen, dass der Gesamtwert der besten Alternativen der Parteien kleiner ist als der gemeinsam erzielbare Gewinn. 18 Ein Teil der Theorie der Verhandlungen beschäftigt sich damit, nach welcher Gewichtung der Nettogewinn z-vA-vB voraussichtlich aufgeteilt wird. Spieltheoretische Ansätze gehen oft von einem alternierenden Verhandlungsprozess aus, in dem die Parteien abwechselnd Angebote unterbreiten. Es ist intuitiv, dass in diesen Ansätzen die „Geduld“ der Parteien eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Anteile am gemeinsamen Gewinn darstellt. Geduld leitet sich hierbei aus den Kosten einer weiteren Verzögerung eines Vertragsabschlusses ab, die im einfachsten Fall auf schlichtem Diskontieren zukünftiger Profite beruhen, allerdings auch durch Liquiditätsengpässe und Finanzierungsprobleme erhöht werden können. B

7

Research Notes 25 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

unterstellen, dass der Nettogewinn hälftig zwischen den beiden Parteien aufgeteilt wird. 19 Insgesamt erhält damit Partei A als Ergebnis der Verhandlungen einen (Brutto-)Gewinn, der gleich der Summe von vA und der Hälfte von z-vA-vB ist. Entsprechend erhält Partei B einen (Brutto-)Gewinn gleich der Summe von vB und wiederum der Hälfte des gemeinsam erzielbaren Nettogewinns z-vA-vB. 20 Im Folgenden wollen wir Verhandlungs- und damit Nachfragemacht aus der Attraktivität der jeweiligen besten Alternative der beiden Verhandlungspartner ableiten. Wir fassen diese einfachen verhandlungstheoretischen Zusammenhänge in dem folgenden Kernpunkt zusammen: Kernpunkt 2: Zur Erfassung von Verhandlungs- und damit Nachfragemacht ist die Ermittlung der besten Alternativen (Abbruchsoptionen) zentral, die die jeweiligen Parteien besitzen. Zieht man den Wert dieser Alternativen vom maximal gemeinsam erzielbaren Gewinn ab, so ergibt sich als Verhandlungsmasse ein Nettogewinn, der gewichtet nach der jeweiligen Attraktivität der Abbruchsoptionen aufgeteilt wird. Im Folgenden werden zunächst anhand der Abbruchoptionen verschiedene Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht analysiert. Dabei abstrahieren wir bewusst von anderen möglichen Determinanten von Verhandlungsmacht, die allerdings eher nur situationsspezifisch eine Rolle spielen. Das betrifft beispielsweise die Rolle von (privater) Information. So kann ein großer Einzelhändler mit einem umfangreichen Sortiment an Eigenmarken aufgrund der damit einhergehenden Geschäftskenntnisse aggressiver mit unabhängigen Anbietern ähnlicher Produkte verhandeln als ein kleinerer Konkurrent ohne starke Eigenmarken.

3

Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

In der wettbewerbsrechtlichen Praxis wird gewöhnlich ein zweistufiges Verfahren angewendet, wobei in der ersten Stufe der relevante Markt abgegrenzt und im zweiten Schritt die eigentliche Wettbewerbsanalyse erfolgt. Die Marktabgrenzung erlaubt es, Marktanteile zu berechnen, die eine erste wichtige Vermutung für die An- bzw. Abwesenheit von Marktmacht

19 Wie leicht nachzuvollziehen ist, wird damit der Gewinn z so aufgeteilt, dass nun Partei A den Anteil sA=1/2+(vA-vB)/(2·z) und Partei B den Anteil sB=1/2+(vB-vA)/(2·z) realisiert. Aus den Anteilen erkennt man sofort, dass die Partei, die über eine relativ bessere Alternative verfügt, auch einen größeren Anteil am gemeinsam erzielbaren Gewinn erhält. 20

In der Verhandlungstheorie wird diese Aufteilung als symmetrische Nash-Verhandlungslösung bezeichnet (Nash (1950)).

8

Research Notes 25 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

darstellen. Die theoretische Begründung für die Annahme, dass ein Unternehmen mit einem großen Marktanteil über Marktmacht verfügt, liefert das Cournot-Modell (für Wettbewerb mit homogenen Gütern), das es erlaubt, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Markmacht (gemessen am Lerner-Index) auf der einen Seite sowie Marktanteilen bzw. Konzentrationsgrad (gemessen am Herfindahl-Hirschmann-Index) auf der anderen Seite abzuleiten. Die beiden folgenden Unterabschnitte beschäftigen sich mit den Problemen, die ein solches Vorgehen bei der Bewertung von Nachfragemacht auf Beschaffungsmärkten mit sich bringt.

3.1

Zur Messung von Nachfragemacht

Die entscheidende Messgröße zur Feststellung von Marktmacht in der wettbewerbsrechtlichen Praxis ist der Anteil eines Unternehmens am Gesamtumsatz aller im Markt befindlichen Firmen. Dies könnte bei Gültigkeit des Monopson-Ansatzes ohne Weiteres auf Nachfragemacht übertragen werden. Auf Beschaffungsmärkten ist ein solcher Ansatz jedoch wenig aussagekräftig. Tatsächlich sind die Mechanismen, die Unternehmensgröße ursächlich für Nachfragemacht werden lassen, sehr verschieden von denen, die in herkömmlichen Monopolbzw. Oligopolmodellen zum Tragen kommen. Größe kann unter bestimmten Umständen Nachfragemacht generieren, weil sich dadurch der Wert von Abbruchoptionen verschiebt. Allerdings muss dies nicht zwangsläufig so sein. Insbesondere können auch relativ kleine Akteure auf Beschaffungsmärkten über Verhandlungsmacht verfügen. Die jüngere Forschung hat eine Reihe von Bedingungen herausgearbeitet, unter denen große Käufer in der Tat günstigere Einstandspreise und bessere Lieferkonditionen realisieren sollten. Ein wichtiger Vorteil, der sich unmittelbar aus der Gesamtgröße eines Käufers ableitet, ergibt sich aus der Tatsache, dass ein Wechsel zu alternativen Beschaffungsmöglichkeiten typischerweise mit spezifischen Fixkosten verbunden ist. 21 In manchen Fällen verfügen möglicherweise nur sehr große Käufer über eine profitable alternative Beschaffungsmöglichkeit. Auch wenn sich die Suche nach alternativen Lieferanten oder sogar der Aufbau einer eigenen Produktion (bzw. die Schaffung von Eigenmarken) für kleinere Käufer lohnt, so kann ein

21

Vor allem aus wettbewerbsrechtlicher Sicht ist es geboten, hier nur auf Vorteile abzustellen, die nicht auf unterschiedliche Kosten bei der Belieferung beruhen. In der wettbewerbsrechtlichen Praxis werden solche „kostenbasierten“ Preisvorteile (etwa in Form von speziellen Rabatten) zunächst herausgerechnet.

9

Research Notes 25 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

größerer Käufer die damit verbundenen Fixkosten doch über eine größere Absatzmenge umlegen. 22 Die Größe des Käufers kann auch erhebliche Auswirkungen auf die beste Alternative (daher den Wert der Abbruchsoption) des Lieferanten haben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn beispielsweise ein Einzelhändler einen sehr großen Marktanteil in einem bestimmten Absatzgebiet besitzt und es hierzu wenig Alternativen gibt. In diesem Fall hat der betreffende Einzelhändler die oben anhand des Kesko/Tuko Fusionsvorhabens angesprochene „TürsteherFunktion“ inne. Wird der Lieferant aus dem Sortiment „delisted“, so kann er möglicherweise die entsprechende Menge gar nicht mehr oder nur mit großen Preisnachlässen bei anderen Händlern und in anderen lokalen Märkten absetzen. Größe ist allerdings nicht zwingend notwendig dafür, dass ein Käufer solche „TürsteherMacht“ besitzt. Auch eine relativ kleine Handelskette, die beispielsweise in einem ländlichen Absatzgebiet mit nur geringer Konkurrenz operiert, kann über solche „Türsteher-Macht“ verfügen, während andererseits eine viel größere Handelskette, die vornehmlich in Ballungszentren mit vielen Wettbewerbern operiert, nicht über eine vergleichbare, quasi-exklusive Stellung verfügt. Wir haben bislang auf zwei verschiedene Indikatoren von Größe abgestellt, die ihrerseits Indiz für Verhandlungs- und damit Nachfragemacht sein können: Das Einkaufsvolumen eines Käufers, unabhängig etwa von der gesamten Marktgröße, und den Anteil, den ein Käufer an einem bestimmten (lokalen) Absatzmarkt besitzt. Wir fügen dem nun noch eine dritte Messgröße für Verhandlungsmacht hinzu: Den Anteil am gesamten Absatzvolumen eines bestimmten Verkäufers, für den wiederum ein bestimmter Käufer aufkommt. Bemerkenswerterweise spielen gerade in der wettbewerbsrechtlichen Praxis solche anteiligen Kennzahlen eine wichtige Rolle bei der Bestimmung von Nachfragemacht. Zentral ist hierbei die Vorstellung, dass sich ab einem bestimmten Schwellenwert ein Abhängigkeitsverhältnis einstellt. So wurde in den Vereinigten Staaten im Fusionsfall von Aetna und Prudential (im Bereich Krankenversicherungen) argumentiert, dass ein Arzt wohl den Wegfall einer geringen Zahl von Patienten ohne große Verluste verkraften kann, dass aber ab einem Schwellewert die entstehenden Gewinneinbußen überproportional mit der Anzahl ausbleibender Patienten an-

22

Fixkosten einer Rückwärtsintegration bzw. eines Lieferantenwechsels sind zuerst formal analysiert worden in Katz (1987). Für eine Weiterentwicklung siehe Inderst und Wey (2007a).

10

Research Notes 25 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

steigt. Ab einem solchen Schwellenwert, der in diesem Fall bei 30% angesetzt wurde, sind dann die Ausweichoptionen für den betroffenen Arzt, z.B. durch die kurzfristige Abwicklung von Büroarbeiten oder die bereitwilligere Aufnahme neuer Patienten, ausgeschöpft. 23 Im Fusionsfall von Carrefour und Promodes, der bereits oben angesprochen wurde, argumentierte die Europäische Kommission, dass ein Lieferant als ökonomisch abhängig zu betrachten sei, wenn das Geschäftsvolumen mit den beiden Handelskonzernen zumindest 22 % seines gesamten Umsatzes ausmache. Dieser Schwellenwert wurde durch Unternehmensbefragungen ermittelt. Die Kommission fragte hierbei, ab welchem Absatzausfall ein Lieferant in Zahlungsschwierigkeiten gerate. 24 Solche anteilige Messgrößen von Nachfragemacht können durchaus hilfreich sein um Abhängigkeitsverhältnisse zu identifizieren. Wirklich aussagekräftig sind sie unseres Erachtens allerdings nur dann, wenn relativ geringe Anteile mit sehr hohen Anteilen jenseits eines Schwellenwertes verglichen werden. Für eine Einschätzung, ob bereits eine graduelle Zunahme des anteiligen Absatzes beispielsweise im Zuge einer Fusion zu mehr Nachfragemacht führt, sind sie möglicherweise sogar irreführend. Hierzu bedarf es grundsätzlich einer Erfassung von Nachfragemacht, die direkt an den Ursachen und damit insbesondere an den Bestimmungsgrößen der Abbruchoption ansetzt. Da es diesbezüglich oft zu Missverständnissen kommt, soll dieser Punkt noch genauer ausgeführt werden. Ausgangspunkt sei hierbei die vielbeachtete Definition von Nachfragemacht der OECD (OECD 1998): „[...] a retailer is defined to have buyer power if, in relation to at least one supplier, it can credibly threaten to impose a long term opportunity cost (i.e., harmful or withheld benefit) which, were the threat carried out, would be significantly disproportionate to any resulting long term opportunity cost to itself. By disproportionate, we intend a difference in relative rather than absolute opportunity cost, e.g. Retailer A has buyer power over Supplier B if a decision to delist B’s product could cause A’s profit to decline by 0.1 per cent and B’s to decline by 10 percent.“ (Hervorhebungen IW)

23

United States, et al. v. Aetna, Inc., et al., No. 3-99CV1398-H. Siehe hierzu auch Schwartz (1999).

24

Aus den Dokumenten des Wettbewerbsverfahrens ist nicht ersichtlich, was die genaueren Gründe für die unterstellten Zahlungsschwierigkeiten waren. Konnten die Lieferanten ihre Kostenstruktur nicht flexibel anpassen oder standen kurzfristige Kredite nicht ausreichend zur Verfügung? Eine genauere Analyse der zugrunde liegenden Friktionen in der Finanzierung, die für die mögliche Illiquidität eines ansonsten profitablen Lieferanten verantwortlich sein könnten, wäre mehr als ratsam.

11

Research Notes 25 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

Im Lebensmitteleinzelhandel ist es oft so, dass ein Lieferant nur für einen Bruchteil des Gesamtumsatzes einer großen Kette verantwortlich ist. Die Definition von Nachfragemacht durch die OECD legt nahe, dass damit ein Lieferant zwangsläufig in einer schlechten Verhandlungsposition sei. Dies ist allerdings keineswegs der Fall. Mit Sicherheit führt eine Handelskette in der Regel neben den Produkten des jeweiligen Lieferanten noch mehrere Tausend andere Produkte im Sortiment. Für die Verteilung der Verhandlungsmacht sollte dies zunächst allerdings nicht ausschlaggebend sein. Wichtiger ist vielmehr, ob die Produkte des Lieferanten auch ohne große Umsatzeinbußen leicht zu ersetzen sind bzw. ob der Lieferant auch andere Absatzwege hat. Wie zuvor im Verhandlungsmodell erläutert, ist dabei zunächst die absolute Höhe der Gewinneinbußen und nicht der relative Anteil am Gesamtumsatz entscheidend. Hersteller, deren Produkte sogenannte „must-stock-products“ (also: unabdingbar) sind oder die über eine treue Klientel verfügen, können damit durchaus eine starke Verhandlungsposition auch gegenüber einer großen Kette besitzen. Neben den verschiedenen Maßen der Größe des Käufers müssen fallspezifisch auch noch andere Determinanten von Verhandlungsmacht berücksichtigt werden. So können Eigenmarken die Nachfragemacht stärken, wenn dadurch für den Käufer die Kosten eines Verhandlungsabbruchs verringert werden. Falls die nachgelagerte Stufe ein verarbeitendes Gewerbe darstellt (und nicht eine reine Handelsstufen), so kann ein Käufer auch dadurch eine bessere Verhandlungsposition erzielen, dass die bestellten Produkte unter Lizenz produziert werden oder aber sich ein Teil der nötigen Patente im Besitz des Käufers befindet. Dies erleichtert den Wechsel zu einem alternativen Lieferanten und erhöht damit den Wert der Abbruchsoption für den Käufer. 25 Kernpunkt 3: Die Größe eines Käufers, sowohl absolut als auch anteilig am Gesamtumsatz des Verkäufers gemessen, kann aber muss nicht zwangsläufig ein gutes Maß für die Bestimmung von Nachfragemacht darstellen. Insbesondere kann ein einfacher Vergleich der jeweiligen Anteile am Umsatz des Käufers und Verkäufers irreführend sein. Für die Feststellung von Nachfragemacht ist es daher nötig, einen fallbezogenen, kausalen Zusammenhang zwischen Größe und Verhandlungsmacht herzustellen, wofür wiederum der Bezug zu den jeweiligen Abbruchsoptionen für Käufer und Verkäufer zentral ist.

25 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch von „buyer sophistication“ gesprochen; vgl. Nordemann (1995) oder Steptoe (1993).

12

Research Notes 25 3 Bestimmungsgrößen von Nachfragemacht

3.2

Aussagekraft von Schwellenwerten

Das in der wettbewerbsrechtlichen Praxis praktizierte zweistufige Verfahren, wonach zuerst der Markt abgegrenzt wird und dann die Wettbewerbsanalyse erfolgt, verwendet Schwellenwerte (in Form von kritischen Marktanteilen), die als Aufgreifkriterien für die Feststellung von Marktbeherrschung dienen. In der Praxis sind diese Schwellenwerte von großer Bedeutung, da mit ihnen eine Marktbeherrschungsvermutung verbunden ist. In der Praxis mag es zweckdienlicher sein, das Vorhandensein von Nachfragemacht festzustellen, ohne in diesem Verfahrensschritt bereits auf die daraus resultierenden Wettbewerbsbeschränkungen einzugehen. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Marktabgrenzung und damit die Feststellung von Marktmacht eine Einheit mit der Wettbewerbsanalyse bilden. Im Falle eines Zusammenschlusses zweier Firmen, die auf dem Absatzmarkt konkurrieren, orientieren sich die gängigen Schwellenwerte schließlich direkt an der Vermutung, dass durch die induzierte Preiserhöhung eine Verringerung der Konsumentenrente zu erwarten sei. Dieser Vermutung liegt insbesondere ein formal begründeter Zusammenhang zwischen den entsprechenden Konzentrationsmaßen (wie etwa dem Herfindhal-HirschmanIndex) und der erzielten Konsumentenrente zugrunde. Auch im Falle der Nachfragemacht sollte sich daher die Wahl einer geeigneten Metrik sowie die Ermittlung eines kritischen Schwellenwertes zumindest mittelbar an den zu erwartenden wettbewerbsbeschränkenden Effekten (competitive harm) orientieren. Dies erweist sich allerdings als weitaus schwieriger als im Standardfall der Bestimmung von Marktmacht im Oligopol. Wir sehen hierbei die folgenden konfliktären Argumente. Wie noch im folgenden Kapitel detailliert ausgeführt wird, sind die Wettbewerbswirkungen von Nachfragemacht sehr verschieden von denen, die durch Marktmacht im Oligopol zu erwarten sind. Im Gegensatz zur Marktmacht, die Anbieter gegenüber Konsumenten ausüben, darf bei der Ausübung von Nachfragemacht nicht davon ausgegangen werden, dass dies zu höheren Preisen, geringerer Konsumentenrente und geringerer Wohlfahrt führt. Diese Überlegungen würden möglichst hohe Schwellenwerte bei der Feststellung von Nachfragemacht nahe legen, sofern bei Überschreitung der Schwellenwerte auch ein Verdacht auf Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Andererseits kann Nachfragemacht bereits bei Schwellenwerten vorliegen, die weit unterhalb derer liegen, die im Standardfall des Oligopols verwendet werden. Dies hängt natürlich zu13

Research Notes 25 4 Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht

nächst einmal von der verwendeten Metrik ab. Wie bereits oben ausgeführt, kann beispielsweise auch ein relativ kleiner Händler mit lokaler Monopolmacht (gatekeeper) auf dem Absatzmarkt eine starke Verhandlungsposition gegenüber Herstellern besitzen, die ihrerseits auf eine hohe Marktpenetration angewiesen sind, z. B. um eine nationale Werbekampagne rentabel zu machen. Auch kann, zumindest bei finanziell schwachen Herstellern, eine Abhängigkeit von einem bestimmten Käufer schon bei geringen Umsatzanteilen vorliegen. Sollten gemäß diesen Überlegungen besonders niedrige Schwellenwerte für die Feststellung von Nachfragemacht verwendet werden, so darf dies allerdings in keiner Weise bereits ein Urteil über deren (negativen) Effekt beinhalten. Kernpunkt 4: Bei der Bestimmung eines kritischen Schwellenwertes zur Feststellung von Nachfragemacht darf im Gegensatz zum Standardfall des Oligopols nicht davon ausgegangen werden, dass hinreichend hohe Nachfrage quasi automatisch zu höheren Preisen, geringerer Konsumentenrente sowie geringerer Wohlfahrt führt. Andererseits kann Nachfragemacht im Gegensatz zur Marktmacht von Anbietern gegenüber Endkonsumenten bereits bei geringeren Schwellenwerten vorliegen, ohne dass dies allerdings bestimmte (negative) Effekte präjudizieren sollte.

4

Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht

4.1

Kurzfristige Auswirkungen auf die Endverbraucherpreise

In diesem Abschnitt sollen die Wettbewerbswirkungen von Nachfragemacht ausschließlich hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Konsumentenrente betrachtet werden. 26 Im Rahmen dieses Aufsatzes ist es nicht möglich, insbesondere auf Aspekte der Kontrahierungs- und Handlungsfreiheit abhängiger Lieferanten und damit auch auf Fragen der Abwägung von Institutionen- und Individualschutz einzugehen. Zumindest seit Galbraiths einflussreicher Arbeit zum Konzept der Countervailing Power als Substitut für Wettbewerbspolitik werden große Handelsketten nicht selten als „Agenten“ der Endverbraucher gesehen. Allgemeiner gilt in vertikalen Beziehungen, die durch sukzessive Margen gekennzeichnet sind, dass jede Reduktion der Marge auf einer vorgelagerten Stufe sich in einem niedrigeren Endpreis niederschlagen wird, zumindest unter Wettbewerbsbedin26 Zur Anwendung verschiedener Standards bei der Behandlung von Nachfragemacht siehe die Diskussionen in: Schwartz (2004) und in Inderst und Shaffer (2005).

14

Research Notes 25 4 Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht

gungen. Allerdings hängt das Ausmaß der zu erwartenden Preissenkungen von einer Reihe von Faktoren ab. Insbesondere wirken sich zusätzliche Konzessionen, die starke Handelsketten aushandeln, umso stärker auf die Endverbraucherpreise aus, je mehr sie den marginalen Einstandspreis betreffen. So dürften sich erhöhte Regalmieten weniger stark auf die Endpreise niederschlagen als zusätzliche Rabatte, die die marginalen Einkaufskosten des Händlers verringern. Die Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht auf die Endverbraucherpreise hängen ferner stark davon ab, ob alle Käufer gleichsam über eine starke Verhandlungsposition verfügen oder ob dies nur für wenige zutrifft. Sollten nur einige Käufer, z. B. nur die größten Handelsketten und nicht aber kleinere Einzelhändler, einen Zuwachs an Nachfragemacht verzeichnen, dann kann es kurz- und langfristig zu gegenläufigen Effekten kommen, die sogar eine preistreibende Wirkung haben. Dies sei im Folgenden näher erläutert. Langfristig können kleinere Firmen möglicherweise dem zusätzlichen Wettbewerbsdruck, der von großen Händlern im Zuge der Weitergabe besserer Einkaufskonditionen an den Endverbraucher ausgeht, nicht mehr standhalten. Sofern der Marktaustritt kleinerer Firmen nicht durch neuen Marktzutritt kompensiert wird, würde der Wettbewerb darunter langfristig leiden, da folglich große Händler die Preise wieder anheben könnten und insbesondere ihre Rabatte nicht mehr im gleichen Umfang an die Verbraucher weitergeben müssten. Obwohl diese Argumentation in der Praxis oft eingesetzt wird (z. B. durch die Europäische Kommission im oben geschilderten Rewe und Meinl Fall 27 ), läuft sie doch Gefahr, nicht den Wettbewerb und damit auch das Wohl der Verbraucher zu schützen, sondern zuvorderst ineffiziente Konkurrenten im Markt zu halten. Auch wenn kleinere Konkurrenten sich trotz ungünstigerer Konditionen am Markt behaupten können, kann die Ausübung von Nachfragemacht durch wenige, große Käufer eine preistreibende Wirkung haben. Dies kann durch einen sogenannten „Wasserbetteffekt“ geschehen. Dadurch führen niedrigere Einstandspreise für große Käufer zu höheren Einstandspreisen für kleinere Käufer. Falls dieser Effekt stark genug ist, führt dies zu einer Erhöhung des Endprei-

27

Die Europäische Kommission stellte hierzu fest: „In the short term, final consumers may benefit from the process, as there may be a period of intense (predatory) competition in the distribution market during which the powerful buyer/trader is forced to pass on his savings to consumers. But this will last only until such time as a structure (as in this case, an individual dominant position) is arrived at in the distribution market which leads to a clear reduction in competitive intensity“. Commission Decision relating to proceedings under Council Regulation (EEC) No 4064/89 (Case No IV/M.1221 – Rewe/Meinl), Paragraph 55.

15

Research Notes 25 4 Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht

ses bei kleineren Händlern, was wiederum zu einem insgesamt höheren Durchschnittspreis und somit zu einer Verringerung der Konsumentenrente führen kann. Interessanterweise hatten zum Beispiel die Wettbewerbsbehörden in Großbritannien bislang die Möglichkeit eines solchen „Wasserbetteffektes“ mit der Begründung verneint, dass es dafür keine in sich konsistente (sprich formale) ökonomische Fundierung gäbe. In der Tat entbehrt das oftmals vorgebrachte Argument, dass Lieferanten die Marge, die sie bei starken Käufern verloren haben, bei schwächeren Käufern wieder „reinholen müssten“, einer ökonomischen Logik. Sofern ein Lieferant über die nötige Verhandlungsmacht verfügt, wird er den Verkaufspreis stets so hoch wählen, wie es für ihn gerade optimal ist. Es ist daher zunächst nicht einsichtig, warum eine Erhöhung erst dann optimal sein sollte, wenn sie mit einer (erzwungenen) Preisreduktion für andere Käufer einhergeht. Allerdings kann ein „Wasserbetteffekt“ dadurch entstehen, dass eine noch weitere Verringerung des Marktanteils und damit in der Regel auch des Volumens kleinerer Käufer auch deren Verhandlungsmacht weiter untergräbt. Kleinere Käufer werden damit auf zweierlei Weise geschädigt: Durch die kompetitiveren Konditionen, die ihre größeren Rivalen aushandeln, sowie durch die weitere Verschlechterung ihrer eigenen Konditionen. Die Forschung zeigt, dass eine Erhöhung des Durchschnittspreises durch den „Wasserbetteffekt“ wahrscheinlicher ist, sofern kleinere Käufer bereits stark Marktanteile verloren haben. 28 Kernpunkt 5: Die Ausübung von Nachfragemacht in bilateralen Verhandlungen kann zu niedrigeren Einstandspreisen sowie niedrigeren Preisen für die Endkunden führen. Allerdings muss dies nicht immer der Fall sein. Insbesondere hängt die Weitergabe von zusätzlichen Rabatten an die Endverbraucher von der Intensität des Wettbewerbs ab sowie davon, ob diese sich vornehmlich in geringeren Stückkosten (statt beispielsweise in höheren Regalmieten) niederschlagen. Des Weiteren kann es zu einem „Wasserbetteffekt“ kommen, durch den sich die Einstandspreise und möglicherweise auch die Endpreise kleinerer Konkurrenten erhöhen.

28 Eine formale Analyse findet sich in Inderst und Valletti (2006a) sowie Inderst (2007). Siehe auch für eine ausführlichere verbale Darstellung Dobson und Inderst (2007).

16

Research Notes 25 4 Auswirkungen der Ausübung von Nachfragemacht

4.2

Langfristige Auswirkungen auf die Lieferanten

Es wird oft behauptet, dass die Reduktion der Lieferantengewinne, die mit der Ausübung von Nachfragemacht einhergeht, deren Investitions- und Innovationsanreize untergräbt. 29 Die neuere Forschung zeigt auch hier ein differenzierteres Bild. Dem Argument, wonach Investitionsanreize durch Nachfragemacht sinken, liegt die Vorstellung eines klassischen „Hold-up“ Problems zugrunde. Demnach tragen die Hersteller alle Investitionskosten bevor sie dann versuchen diese beispielsweise über eine Anhebung der Verkaufspreise wieder reinzuholen. Legt man diese Sichtweise zugrunde, so sollte allerdings auch die Gefahr eines solchen „Hold-up“ Problems selbst geringer sein, falls der Hersteller nur wenige, große Käufer beliefert. In diesem Fall sollten Koordinations- und Trittbrettfahrerprobleme zwischen den Abnehmern einer verbesserten Ware geringer sein, was es dem Hersteller möglicherweise sogar erlauben könnte, hohe Anlaufkosten bereits frühzeitig auf die Käufer abzuwälzen. Ferner mag die Höhe der Profite eines Herstellers nicht immer informativ hinsichtlich seiner Anreize zu Investition und Innovation sein. 30 Während dies bei „nicht-inkrementellen“ Entscheidungen, die insbesondere den Marktzutritt und – austritt betreffen, eher der Fall ist, sollte andererseits die Höhe des Gesamtprofits nicht notwendigerweise „inkrementelle“ Investitionsentscheidungen beeinflussen. Eine solch inkrementelle Verbesserung im Produkt- oder Prozessbereich lohnt sich für den Hersteller dann, falls er von den daraus insgesamt erzielten Mehrerlösen einen hinreichend hohen Anteil behält. Wie die Forschung zeigt, ist es nicht zulässig anzunehmen, dass größere Käufer selbst einen höheren Anteil an diesen Mehrerlösen einfordern und damit den Anteil des Herstellers schmälern. Darüber hinaus mag auch erst die Präsenz solcher starker Käufer für die nötigen Anreize sorgen. Falls ein Hersteller mit nur wenigen, aber großen Käufern konfrontiert ist, so wird es für ihn in der Regel schwierig sein, nach Wegfall eines Käufers noch genügend attraktive alternative Absatzmöglichkeiten zu finden, es sei denn, er verfügt über ein superiores „must stock“ Gut. Im Gegensatz dazu kann er im Falle erfolgloser Verhandlungen mit einem kleine29 Siehe etwa FTC (2000). Dort wird argumentiert, dass bei Präsenz von starken Käufern folgender Effekt auftritt: „Suppliers respond by under-investing in innovation or production.“ Das Argument, dass Hersteller durch Nachfragemacht ihre Investitionen verringern, findet sich auch in European Commission (1999). 30

Wir klammern hierbei die Möglichkeit aus, dass der Hersteller selbst nur beschränkt Zugang zu Außenfinanzierung hat und deshalb für die Finanzierung auf den eigenen cash flow angewiesen ist.

17

Research Notes 25 5 Möglichkeiten der Wettbewerbspolitik

ren Käufer die entsprechende Menge wohl auch andernorts ohne große Preisabschläge absetzen, selbst wenn er nicht über ein „must-stock“ Gut verfügt. Zusammengenommen hat ein Hersteller damit möglicherweise mehr Anreize zur Investition in ein „must-stock“ Gut, falls dies nötig ist, um sich auch gegenüber großen Käufern zu behaupten. 31 Kernpunkt 6: Auch wenn sich durch die Ausübung von Nachfragemacht die Gewinne eines Herstellers verringern, so hat dies nicht notwendigerweise negative Auswirkungen auf seine Anreize, Investitionen zu tätigen. Die Gegenwart von Käufern mit Nachfragemacht kann vielmehr für Innovationen auf vorgelagerten Stufen förderlich sein.

5

Möglichkeiten der Wettbewerbspolitik

Einige Wettbewerbsbehörden sind dazu übergangen, in Märkten, in denen bereits Nachfragemacht aufgebaut wurde und es gute Gründe für die Vermutung gibt, dass es dadurch zu wesentlichen Behinderungen des Wettbewerbs kommt, direkt in die Ausgestaltung der individuellen Verträge einzugreifen. Der Verhaltenskodex (code of practice), der seit einigen Jahren für die größten Handelsketten in Großbritannien gilt, ist hierfür ein Beispiel. Die darin verankerten Einschränkungen und Vorgaben zielen darauf ab, einen befürchteten Ausbeutungsmissbrauch gegenüber kleineren und ökonomisch abhängigen Herstellern einzuschränken. Insbesondere führt der Verhaltenskodex eine Reihe von Vertragspraktiken und Verhaltensweisen auf, die generell als Missbrauch von Nachfragemacht gewertet werden. Dies bezieht sich beispielsweise auf Verträge, die möglicherweise bewusst sehr ungenau gehalten werden, um einer starken Handelskette die Möglichkeit einzuräumen, die betreffenden Konditionen nachträglich nach eigenem Gutdünken zu spezifizieren. Generell gilt die Missbrauchsvermutung auch für nachträgliche Forderungen nach Einstandspreissenkungen für bereits gelieferte oder gar verkaufte Ware oder aber für regelmäßig verspätete Zahlungen, ohne dass dafür übliche Strafzinsen gezahlt oder ansonsten gewährte Skonti hinfällig würden. 32 Obwohl die ökonomische Theorie unseres Wissens nach bislang sehr wenig zu den Wirkungen solcher direkter Eingriffe in die bilaterale Vertraggestaltung zu sagen hat, lassen sich dennoch einige allgemeinere Erkenntnisse anwenden. Restriktionen und Vorschriften, die sich direkt auf die Vertragsgestaltung zwischen Käufern und Verkäufern beziehen, können in der 31

Eine Formalisierung dieser Argumente findet sich in Inderst und Wey (2007).

32

Eine detaillierte Abhandlung findet sich in Dobson (2006).

18

Research Notes 25 5 Möglichkeiten der Wettbewerbspolitik

Lage sein, zielgerichtet und wirksam die Verteilung von Verhandlungsmacht zu ändern. Dies soll an einem Beispiel illustriert werden. Im Anschluss daran wird allerdings auf die vielfältigen Problematiken, die mit Eingriffen in die bilaterale Vertragsgestaltung verbunden sind, hingewiesen. Ziel eines Eingriffs kann sein, die Verhandlungsposition bestehender Lieferanten zumindest temporär zu stärken. Beispielsweise kann eine solche Strategie angesichts einer Käuferfusion opportun erscheinen. Unabhängig von den bestehenden Lieferverträgen kann einem ökonomisch abhängigen Lieferanten ein Kündigungsschutz über eine bestimmte Zeit nach der Fusion eingeräumt werden. Darüber hinaus können für abhängige Lieferanten bestimmte Mindestkündigungsfristen gefordert werden. Insgesamt wird den Lieferanten damit mehr Zeit verschafft, um sich nach alternativen Absatzmöglichkeiten umzusehen, insbesondere dann, falls der starke Käufer damit droht, den weiteren Bezug der Ware einzustellen sofern nicht zusätzliche Preisabschläge (z.B. als „Hochzeitsgeschenk“ für eine Fusion) gewährt werden. Restriktionen und Vorschriften, die in die Vertragsgestaltung eingreifen, sind allerdings oft wenig geeignet, strukturell die Verhandlungsmacht zu verschieben, und dürften stattdessen wohl eher negative Auswirkungen haben, da sie die effiziente Ausgestaltung von Verträgen behindern. Generell sollte nämlich zunächst davon ausgegangen werden, dass die beiden Vertragsparteien ein Interesse daran haben, den gemeinsamen Gewinn zu maximieren, der dann gemäß ihrer jeweiligen Verhandlungsmacht aufgeteilt wird. Zumindest aus der Perspektive der beiden Vertragsparteien (aber nicht notwendigerweise der Konsumenten) sollten damit die ausgehandelten Konditionen effizient sein. Falls es beispielsweise wiederholt toleriert wird, dass der Händler erst mit Verspätung zahlt oder einseitig bestimmt, wann eine Lieferung nicht die geeignete Qualität aufweist, so ist zunächst zu vermuten, dass dies aus Effizienzgesichtspunkten geschieht. Interessanterweise hat sich auch die angelsächsische Literatur zur ökonomischen Analyse des Rechts (law and economics) ausführlich mit den Effizienzvorteilen von „unvollständigen Verträgen“ beschäftigt, bei denen die nicht konkretisierten Klauseln später durch eine Vertragspartei einseitig komplettiert werden können, auch ohne Zustimmung der Vertragsgegenseite (sogenannte self-completion). 33 Die Gegenseite ist damit in der Regel aus einer ex-post

33

Siehe Masten (1999).

19

Research Notes 25 5 Möglichkeiten der Wettbewerbspolitik

Betrachtungsweise im Nachteil. Allerdings dürften die dadurch erzielten Effizienzgewinne hoch genug sein, um diese Partei dafür adäquat zu kompensieren. So kann es durchaus effizient sein, dass der Käufer mit der Zahlung so lange wartet, bis er sich vollständig von der Qualität der gelieferten Ware überzeugt hat. Sofern der Käufer durch seine Reputation dazu angehalten ist, sich dabei nicht opportunistisch zu verhalten, können Transaktionskosten verringert werden, wenn der Käufer auch eigenständig (in Abhängigkeit von der Qualität der erhaltenen Ware) Preisanpassungen vornehmen kann. Gerade dann, wenn der Hersteller ein wenig bekanntes Unternehmen ist, mag es eher möglich sein, dass ein großer Käufer mit seiner Reputation als zuverlässiger Vertragspartner bürgt, anstatt sich auf Reputationseffekte aufseiten des Herstellers zu verlassen. Der Käufer würde dann bei der Qualitätskontrolle eine quasi-judicial Funktion übernehmen. 34 Kernpunkt 7: Geschäftspraktiken, die augenscheinlich auf einen Ausbeutungsmissbrauch durch einen Käufer hinweisen, können oft aus Effizienzgesichtspunkten freiwillig und bewusst gewählt worden sein. Ein wettbewerbspolitischer Eingriff in die Vertragsfreiheit kann in solchen Fällen die Effizienz der Wertschöpfung und damit Konsumenten und Wohlfahrt schädigen. Wettbewerbspolitische Eingriffe, die auf die strukturelle Verschiebung von Verhandlungsmacht zielen, sollten zudem direkt an den Abbruchoptionen ansetzen, weil es andernfalls zu einer ähnlichen Rentenaufteilung kommt, die dann allerdings auf weniger effiziente Weise realisiert wird. Die bislang geschilderten wettbewerbspolitischen Eingriffe, die direkt an der Vertragsgestaltung ansetzten, dienen dazu einen Ausbeutungsmissbrauch in der vertikalen Beziehung zu unterbinden. Wie allerdings bereits ausgeführt wurde, kann die Ausübung von asymmetrischer Nachfragemacht (differential buyer power) auch zulasten der Konkurrenten eines verhandlungsstarken Käufers gehen. Zum Schutz solcher schwächerer Konkurrenten und damit möglicherweise eines langfristig robusten Wettbewerbs wird manchmal ein generelles Verbot von diskriminierenden (also: nicht kostenbasierten) Rabatten oder anderer Vorzugskonditionen gefordert. Diese Debatte hat speziell in den USA mit Bezug auf den Robinson-Patman Act eine lange Geschichte. 35 34

Siehe Arruñada (2005). Anhand von spanischen Daten wird dort auch argumentiert, dass realisierte Zahlungsfristen in der Tat länger seien bei Gütern, deren Qualität schwieriger zu kontrollieren ist.

35

Die Debatte ist gerade wieder aktuell geworden, nachdem das Antitrust Modernization Committee im April 2007 für die vollständige Abschaffung des Robinson-Patman Act plädierte. Eine aktuelle Abhandlung zu den Wirkungen eines Verbotes von Preisdiskriminierung findet sich in Inderst und Valletti (2006b).

20

Research Notes 25 6 Abschließende Bemerkungen

Ein weiteres mögliches wettbewerbspolitisches Instrument besteht darin, Lieferanten dazu zu verpflichten, dass sie Sonderrabatte und Vorzugskonditionen, die an individuelle Käufer gegeben werden, öffentlich bekannt machen. Auch im Rahmen der aktuellen Diskussion zur Novellierung des GWB wurden Vorschläge in diesem Sinne gemacht. Es ist allerdings fraglich, wie dies ohne weitere strukturelle Eingriffe in die Verhandlungssituation auch schwächeren Käufern zu ähnlichen Rabatten verhelfen sollte. Stattdessen könnte eine solche Maßnahme eine preistreibende Wirkung entfalten, weil Verkäufer sich damit untereinander besser in ihrer Preisgestaltung koordinieren können.

6

Abschließende Bemerkungen

Das Thema Nachfragemacht spielt – insbesondere im Einzelhandel – in aktuellen wettbewerbsrechtlichen Debatten und Verfahren eine wichtige Rolle. Unsere konzeptionellen Überlegungen haben zunächst gezeigt, dass die Auswahl eines geeigneten Rahmens zur Erfassung und Analyse von Nachfragemacht zentral ist. Die (Standard) Monopol- und Oligopolmodelle der Wettbewerbspolitik, die für die Analyse von Marktmacht gegenüber Endkunden wichtige Einsichten liefern, sind hierbei oft nicht auf die Analyse von Nachfragemacht anwendbar. Insbesondere kann eine naive, spiegelbildliche Anwendung des Monopson-Ansatzes nicht den Verhandlungscharakter von Nachfragemacht fassen, was letztendlich zu fälschlichen Implikationen auch hinsichtlich der Auswirkung auf Konsumenten und Wohlfahrt führt. Geht man von einem verhandlungstheoretischen Analyserahmen aus, so ist Nachfragemacht zunächst an den besten Alternativen (Abbruchoptionen) festzumachen. Eine konsequente Verfolgung dieses Ansatzes vermeidet es ferner, Nachfragemacht mechanisch an Messgrößen wie dem Marktanteil eines Käufers oder dem Anteil am Gesamtumsatz des Verkäufers festzumachen. Solche Messgrößen von Nachfragemacht sind zwar oft hilfreich, können aber auch, wie näher ausgeführt wurde, zu Fehlschlüssen verleiten. Wie beispielsweise unsere Darstellung des „Wasserbetteffektes“ oder die Diskussion der Anreizeffekte von Nachfragemacht auf die Investition der Hersteller gezeigt hat, ist eine hinreichend präzise Spezifizierung eines geeigneten Analyserahmens unabdingbar, will man sichergehen, dass die gesamte Bandbreite der Implikationen von Nachfragemacht erfasst wird.

21

Research Notes 25 Literatur

Literatur Arruñada, B. (2005): The quasi-judicial role of large retailers: An efficiency hypothesis of their relation with suppliers. Economics and Business Working Papers Series 445. Blair, R.D. and Harrison, J.L. (1993): Monopsony: Antitrust Law and Economics. Princeton University Press. Coase, R.H. (1988): The firm, the market, and the law. Chicago. Competition Commission (2000): Supermarkets: A report on the supply of groceries from multiple stores in the United Kingdom. Cm 4842. Competition Commission (2003): Safeway Plc and ASDA Group Limited (owned by Wal-Mart Stores Inc); Wm Morrison Supermarkets Plc; J. Sainsbury Plc; and Tesco Plc: A report on the mergers in contemplation. Cm 5950. Dobson, P. (2006): Buyer-led vertical restraints. Chapter prepared for the ABA Antitrust Section Handbook, Issues in Competition Law and Policy (Collins, W.D., ed., in preparation). Dobson, P. und Inderst, R. (2007): Differential buyer power and the waterbed effect: Do strong buyers benefit or harm consumers? European Competition Law Review 28, 393–400. European Commission (1999): Buyer power and its impact on competition in the food retail distribution sector of the European Union. Faini, R., Haskel, J., Navaretti, G.B., Scarpa, C. und Wey, C. (2006): Contrasting Europe’s decline: Do product market reforms help? In: Boeri, T., Castanheira, M., Faini, R. und Galasso, V., eds., Structural reforms without prejudices. Oxford University Press: Oxford, S. 15–134. FTC (2000): Entering the 21st century: Competition policy in the world of B2B electronic marketplaces. A Report by the Federal Trade Commission Staff. Inderst, R. (2007): Leveraging buyer power. Erscheint in: International Journal of Industrial Organization. Inderst, R. und Mazzarotto, N. (2006): Buyer power in distribution. Chapter prepared for the ABA Antitrust Section Handbook, Issues in Competition Law and Policy (erscheint in Collins, W.D., ed.). Inderst, R. und Shaffer, G. (2005): The role of buyer power in merger control. Chapter prepared for the ABA Antitrust Section Handbook, Issues in Competition Law and Policy (Collins, W.D., ed.). Inderst, R. und Valletti, T. (2006a): Buyer power and the waterbed effect. Mimeo. Inderst, R. und Valletti, T. (2006b): Price discrimination in intermediary markets. Mimeo. Inderst, R. und Valletti, T. (2007): A tale of two constraints: Assessing market power in wholesale markets. European Competition Law Review 28, 84–91. Inderst, R. und Wey, C. (2007a): Countervailing power and dynamic efficiency. Mimeo. Inderst, R. und Wey, C. (2007b): Buyer power and supplier incentives. European Economic Review 51, 647-667. Katz, M.L. (1987): The welfare effects of third degree price discrimination in intermediate goods markets. American Economic Review 77, 154–167. Maskin, E. und Riley, J. (1984): Monopoly with incomplete information. Rand Journal of Economics 15, 171–196. 22

Research Notes 25 Literatur

Masten, S.E. (1999): Contractual choice. In: Boukaert, B. und De Geest, G., eds., Encyclopedia of Law & Economics. Cheltenham and Northampton: Edward Elgar. Nash, J.F. (1950): The bargaining problem. Econometrica 18, 155–162. Nordemann, J. (1995): Buying power and sophisticated buyers in merger control law: The need for a more sophisticated approach. European Competition Law Review 5, 270–281. OECD (1998): Buyer power of large scale multiproduct retailers. Background paper by the Secretariat, Roundtable on Buying Power, paragraph 20. Ritter, J.-S. und Lücke, A. (2007): Die Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels – geplante Änderung des GWB. Wirtschaft und Wettbewerb 57, 7/8, 698–712. Schlippenbach, V. v. und Wey, C. (2006): Liberalisierungspotenziale im deutschen Einzelhandel konsequent nutzen. Wochenbericht des DIW Berlin, 73. Jg., Nr. 49, S. 705–708. Schwartz, M. (1999): Buyer power concerns and the Aetna-Prudential merger. Paper presented at the 5th Annual Health Care Antitrust Forum. Northwestern University School of Law. Schwartz, M. (2004): Should antitrust assess buyer market power differently than seller market power? Presentation at the DOJ/FTC Workshop on Merger Enforcement, Washington D.C. Sexton, R.J., Richards, T.J. und Patterson, P.M. (2002): Retail consolidation and produce buying practices: A summary of the evidence and potential industry and policy responses. Giannini Foundation of Agricultural Economics, Monograph No. 45. Steptoe, M. (1993): The power-buyer defense in merger cases. Antitrust Law Journal 61, 493–505. Walras, L. (1954): Elements of pure economic theory. London.

23