Werber, Werber, Sprachverderber

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AUSGABE 44. Sommer 2011. 12. Jahrgang – 2. ISSN1439-8834. (Ausgabe für Deutschland). Werber, Werber, Sprachverderber. Deutsch wird mißachtet und ...
AUSGABE 44 Sommer 2011 12. Jahrgang – 2

ISSN1439-8834 (Ausgabe für Deutschland)

Kostenloser Aufkleber Bestellen Sie auf Seite 5!

Verrat

Wolfgang Hildebrandt schreibt über die Hintergründe der Sprachverdrängung. Seite 3

Verstoß

Michael Olbrich weist auf ein rechtliches Druckmittel gegen Aktiengesellschaften hin. Seite 5

Verein

Franz Neugebauer und Harald Süß stellen den Bund für deutsche Schrift und Sprache vor. Seite 7

Verlust

Margund Hinz warnt vor der drohenden Abschaffung der Schreibschrift. Seite 10

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Rede zur Sprache

Am 10. September 2011 hält der deutsch- und tschechischsprachige Schriftsteller Ota Filip die diesjährige Rede zur deutschen Sprache. Die Festveranstaltung zum Tag der deutschen Sprache beginnt bereits um 15 Uhr im Veranstaltungszentrum des Köthener Schlosses.

Werber, Werber, Sprachverderber Deutsch wird mißachtet und mißhandelt – nicht immer, aber immer öfter Von Thomas Paulwitz

D

er Befund ist eindeutig: „Zuvor deutschsprachige Slogans werden zunehmend durch neu eingeführte englischsprachige Markenaussagen ersetzt, um Marken internationaler auszurichten und global einheitlich zu positionieren.“ Das stellen die Betreiber der Netzdatenbank „Slogans.de“ in ihrer neuen Untersuchung „Slogan-Trends 2011“ fest. So schickte der Paketdienst DHL sein „Einfach. Immer. Überall“ weg und holte sich dafür das simple „Excellence. Simply delivered“. Das Unternehmen Henkel hat „Qualität und Verantwortung“ abgegeben und rühmt sich nun: „Excellence is our passion“. Der bekannte Mundwasserhersteller hat sein letztes „Küß mit“ gehaucht. Statt dessen buhlt er mit dem lieblosen Spruch „Love Odol“. – Nach über einhundert Jahren ist das der erste englische Spruch in der Unternehmensgeschichte. Gerade dies hinterläßt einen besonders bitteren Nachgeschmack.

Der Anteil englischsprachiger Werbesprüche in deutschen Medien steigt dramatisch an. Laut „Slogans.de“ waren 2009 noch 18,8 Prozent der neueingeführten Sprüche englisch. Dieser Wert stieg im Jahr 2010 auf 21,6 Prozent und lag im 1. Halbjahr 2011 bereits bei 25,0 Prozent. Damit hat sich die Flucht aus der deutschen Sprache stark beschleunigt. Schon vor eineinhalb Jahren war uns diese verstärkte Entwicklung aufgefallen (DSW 38, Seite 1). Damals hatte sich gerade SAT.1 von seinem deutschen Spruch „Augen auf! Sat.1 zeigt‘s allen“ verabschiedet. Seitdem wirbt der Farb-Fernsehsender lautstark mit den Worten „Colour your life“. Mit der Hinwendung zum Englischen begeht die Werbung eine riesige Dummheit. Denn die englischen Sprüche mögen zwar international klingen,

Fehler und Unsicherheit in unsere Schreibweise einschleichen, ohne daß wir es merken.“ Der Einfluß bewußt angewandter Rechtschreibfehler auf unsere Sprache ist also nicht zu unterschätzen. So nimmt sicherlich die Zahl derer zu, die glauben, „Da werden Sie geholfen“ sei richtiges Deutsch.

Karikatur von Bernd Zeller

sie bleiben jedoch oberflächlich und erreichen nicht das Innerste des Kunden. So nimmt es nicht wunder, daß der Adidas-Spruch „impossible is nothing“ weitgehend unbekannt ist, während Toyota mit „Nichts ist unmöglich“ in aller Munde ist. Weitere Beispiele für eingängige Sprüche auf deutsch fallen einem schnell ein: „Quadratisch, praktisch, gut.“ – „Nicht immer – aber immer öfter“ – „Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt.“

wird, handelt es sich nicht mehr um eine geistreiche Spielerei, sondern um ein lästiges Ärgernis. In Österreich lernen die Schüler zum Beispiel: „Volksbank. Mit V wie Flügel“ (nicht etwa mit F wie völlig verrückt). Die Brauerei Veltins lallt besoffene Sprüche wie „Da Vunkt’s“, „Natürlich Vrisch“ und „Veiern ohne Ende“. Bei der ichbezogenen Postbank sind die Zinsen „riesich“, die Kredite „günstich“ und die Gewinne „großartich“ – scheußlich!

Eine zweite bedenkliche Entwicklung hat das Bibliographische Institut ausgemacht: die überhandnehmenden Verstöße gegen die Sprachnorm bei deutschen Sprüchen. Wenn der bewußt eingesetzte Sprachfehler zur Mode

Das Bibliographische Institut warnt: „Tatsächlich kann diese Aufweichung der Sprachregeln aber durchaus dazu beitragen, daß sich gerade wegen des hohen Aufmerksamkeitswertes der Werbung beim Schreiben immer mehr

Marke

bisher

jetzt

Afri-Cola Chio DHL Kärcher Kinder Country Shell VW Touareg

Schwarz. Schön. Stark. Willkommen im Club. Einfach. Immer. Überall. Sauberer wird‘s nicht. Der Schoko-Genuß mit Cerealien-Plus. Das Maximum aus jedem Tropfen. Gebaut für die Extreme.

Are you Afri? Welcome to the club. Excellence. Simply delivered. Makes a difference. I love my country. Let‘s go Rocking the hybrid.

Quelle: Slogans.de

Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT Sprachstraße:

E-Petition:

Sprachwahrer des Jahres:

Arbeitsgemeinschaft gegründet

Unterstützer gesammelt

Verkehrsminister geehrt

Abgesandte mehrerer Orte aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen gründeten am 30. März im Köthener Rathaus die Arbeitsgemeinschaft (AG) „Straße der deutschen Sprache“. Am 4. Mai kam die AG zu ihrem ersten Arbeitstreffen zusammen. Dabei wählten die Teilnehmer den Schriftleiter der DEUTSCHEN SPRACHWELT, Thomas Paulwitz, zu ihrem Sprecher. Die AG hat die Aufgabe, den Weg zu der geplanten Ferienstraße zu ebnen. Siehe Seite 4.

Das Bundesarbeitsministerium hatte einen Forschungsbericht nur auf englisch veröffentlicht. Ein empörter Bürger richtete daraufhin eine Eingabe für deutschsprachige Regierungsberichte an den Deutschen Bundestag. Die DEUTSCHE SPRACHWELT rief am 16. Juni zur Unterstützung der E-Petition auf. Das brachte das Ministerium in Erklärungsnöte. Bereits über 1.000 Bürger unterstützen die E-Petition. Unterzeichnen auch Sie! Siehe Seite 2.

Für seinen Kampf gegen Denglisch hatten die Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer zum „Sprachwahrer des Jahres 2010“ gewählt. Am 16. März überreichte eine Abordnung der DEUTSCHEN SPRACHWELT dem Minister in Berlin eine Urkunde und ein ganz besonderes Ortsausgangsschild. Ramsauer kündigte bei dieser Gelegenheit an, daß der Abbau von Anglizismen bei der Deutschen Bahn weitergeht. Siehe Seite 12.

Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Die gebetsmühlenartige Wiederholung solcher Werbesprüche gewöhnt uns an etwas, was wir im Grunde gar nicht wollen: den schleichenden Verlust unserer Sprache. In einer Form von Gehirnwäsche stellt sich unser Unterbewußtsein darauf ein, daß unsere Muttersprache fehlerhaft und minderwertig ist. Am allerschlimmsten ist es, wenn ein Unternehmen plattes Englisch mit schlechtem Deutsch vermischt. Das jüngste Beispiel hierfür bietet die Drogeriekette „Schlecker“. Deren neuer Spruch „For You. Vor Ort“ führte das Unternehmen mit Pauken und Trompeten in unsere „Sprachsünder-Ecke“ (siehe Seite 10). Wie viele andere Sprachpanscher begründet auch der Vermarktungsleiter von „Schlecker“ die Wahl seines mißlungenen Werbespruches mit Ergebnissen aus der Marktforschung: „Wir haben verschiedene Claims getestet, und dieser hat mit Abstand am besten abgeschnitten.“ Der Geschäftsführer der Markenagentur Endmark, Bernd M. Samland, erklärte mir nach seinem Vortrag am 26. März in Köthen, daß derartige Untersuchungen meist wenig repräsentativ und aussagekräftig sind. Auch bei Samland ist der neue Schlecker-Spruch durchgefallen: „Das schleckert nicht“, schreibt er. Es gebe außerdem bereits 285 „Four you“-Marken, dazu kommen 82mal das noch blödere „4U“ und 56 „Vor Ort“-Marken – sehr geistreich! Samland weiß, wovon er spricht. Vor kurzem hat er ein neues Buch herausgebracht, das den Titel trägt: „Übersetzt du noch oder verstehst du schon?“ Die regelmäßigen Umfragen seiner Agentur über die Verständlichkeit von Werbesprüchen haben schon so manches Unternehmen zur Besinnung gebracht. Ein immer noch vielzitierter Brüller ist der Douglas-Spruch „Come in and find out“, den viele Kunden als „Komm rein und finde wieder raus“ verstanden. Die Parfümerie entschied sich dann bald für einen deutschen Spruch: „Douglas macht das Leben schöner“. Was sollen wir also dagegen tun, wenn unsere Sprache immer öfter als zweitklassig hingestellt wird? Wir können weiter Widerstand leisten, aufklären, für die deutsche Sprache werben. Glauben, lieben, hoffen: Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Was meinen Sie?

Leserbriefe

Seite 2

Briefe an uns und unsere Leser

Jelernt, nich jeworden Zum Beitrag „Die Sprache der Jebornen und Jewordnen“ von Horst Meyer in DSW 43, Seite 5

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hre Ausgabe 43 habe ich mit Vergnügen gelesen. Sie enthält sehr viele wichtige Beiträge, darunter auch den lustigen „berlinischen“, für den ich zwar dankbar bin, dem Autor aber zum Teil widersprechen möchte. Man „berlinert“ nicht, man „balinat“, was ich als „echter Berliner“ – der wie ich traditionell aus Schlesien stammen mußte, jedenfalls bis vor dem Krieg – steif und fest behaupten möchte. Und seinerzeit machte

man in Berlin auch zwei wesentliche Unterschiede. Es gab nämlich keine „jewordenen“ Berliner, sondern „jeborene“ – „die waren selten und standen unter Denkmalschutz“ – und „jelernte“, was ich stets als nette Form eines leicht überheblichen Berliner Selbstbewußtseins empfunden habe. Det könnse ma globen, wenn ick det behaupte … Wolfgang A. Lauterbach, Kronberg/Taunus

Mit Englisch wird öfter geschwiegen

Liebe Leser!

Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir besser machen können? Worauf sollten wir stärker eingehen? Schreiben Sie uns, wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch wenn wir nicht jeden Brief beantworten und veröffentlichen können, so werten wir doch alle Zuschriften sorgfältig aus. Bei einer Veröffentlichung behält sich die Redaktion das Recht vor, sinnwahrend zu kürzen. Auf diese Weise wollen wir möglichst viele Leser zu Wort kommen lassen. Schreiben Sie bitte an: DEUTSCHE SPRACHWELT Leserbriefe Postfach 1449, D-91004 Erlangen [email protected]

H

Englisch als Firmensprache eingeführt haben, bei internen Beratungen mangels ausreichender Kenntnis der Fachterminologie zum falschen Zeitpunkt öfter mal geschwiegen wird, um sich nicht zu blamieren. Daß dies für das Unternehmen nachteilig ist, liegt auf der Hand. Eine Rolle beim Erlernen von Fremdsprachen spielen natürlich auch viele andere Faktoren, zum Beispiel Alter und Vergeßlichkeit. Zusammengefaßt kann man nur wieder feststellen, daß es nichts Hundertprozentiges auf der Welt gibt, ausgenommen die babylonische Sprachverwirrung. Ekkehard Fritzsche, Greiz

Der SonnenStrahl

Es kam, daß sich ein SonnenStrahl Weit weg von seiner Sonne stahl, Hinunter auf die Erde; Ganz gleich, was mit ihm werde. Günter B. Merkel, Wilhelmsfeld Einstieg in die dichterische Merkelwelt: Günter B. Merkel: Große Sprüche vom gnadenlosen Dichter, SWP-Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128 Seiten, fester Einband, 9,50 Euro. Bestellung unter Telefon 06220/6310. www.merkel-gedichte.de

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West-OstWanderung Friede, Freundschaft, Eierkuchen: Wörter, die, uns heimzusuchen, täglich in der Zeitung standen und bald kein Gehör mehr fanden. Dann jedoch, vor zwanzig Jahren, war der Wortzug abgefahren. Und die Neudeutschflut kam an auf der Wortschatzautobahn, mit viel fremden Wortgestalten, die in aller Ohren hallten, aber auch als ein Tribut an das alte Fremdwortgut. Higlikt, Meinschträm, Kitz und Sale liest manch Mensch mit einem Male. Auch den Backshop gibt es jetzt – „Hinternladen“, übersetzt. Beispielwörter aus der Werbung häufen sich durch West-Vererbung: Charisma, Ambiente, Flair halten jetzt für alles her. Weil sie so exotisch klingen oder Mässitsch rüberbringen, werden sie gar oft gehißt. Bis der Zeitgeist sie vergißt! Claus Ritterling, Leipzig

Prof. Dr. Johanna Wanka Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur Leibnizufer 9 30169 Hannover 2. Mai 2011

für Ihr Schreiben vom 11.04.2011 zum Erhalt der deutschen Sprache in Verbindung mit dem Projekt des Landes Niedersachsen „Plattsounds“ danke ich. Die deutsche Sprache, ein gut gesprochenes und gut geschriebenes Deutsch ist auch mir als niedersächsischer Kulturministerin ein wichtiges Anliegen. Aus diesem Grund haben wir im Herbst letzten Jahres das Projekt „Lesestart Niedersachsen“ ins Leben gerufen, um Eltern und Kinder frühzeitig über das Vorlesen und Lesen mit deutscher Sprache und Literatur in Verbindung zu bringen.

E-Petition für Regierungsberichte in deutscher Sprache

Zur DSW allgemein, zu DSW 43 im besonderen Er beeinflußt alle Entscheidungen!“ Am „Sprach-Markt“ ist Gott sei Dank das gesunde Sprachgefühl noch nicht ganz verschwunden und noch so wissenschaftlich begründete Ideen werden das täglich gesprochene Wort nicht verdrängen. Übrigens: Wie sagt man nun statt berlinern? Berlinischern? Wir Wiener müssen Weanerisch reden (Weanisch klingt unmöglich!), denn „wienern“ ist ja von unseren lieben deutschen Nachbarn als „reinigender“ Ausdruck belegt, mögliche Mißverständnisse sind nicht auszudenken! Na, und „Wienisch“ hört sich schrecklich an. Franz Mayer, Wien

Niedersachsen: mit Anglizismen das Plattdeutsche weiterentwickeln Als regionale Besonderheit ist auch der Erhalt der plattdeutschen Sprache für das Land Niedersachsen von großer Bedeutung. Bis heute weist die plattdeutsche Sprache eine gewachsene Verbindung zum Englischen auf. Trotz Jahrhunderten kulturellen und linguistischen Wechsels hat das Englische immer noch Einfluss auf das Plattdeutsche. Plattdeutsch enthält daher Anglizismen, die innerhalb des plattdeutschen Sprachgebrauchs nicht in Frage gestellt werden. Die Projekte „Platt is cool“ und „Plattsounds“ wenden sich gezielt an Jugendliche, die bisher nicht aktiv Platt sprechen. Sowohl die hochdeutsche als auch die plattdeutsche Sprache stehen im Fokus der Arbeit des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur. Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur. Sprache und Kultur sind aber keine statischen Elemente, sondern lebendig und entwickeln sich ständig weiter. Mit freundlichen Grüßen Johanna Wanka

Zeichnen Sie mit!

Auf die Wirklichkeit achten ch beziehe und fördere die DEUTSCHE SPRACHWELT seit Jahren, weil ich gegen das überflüssige Denglisch und an der Erhaltung unserer schönen Muttersprache interessiert bin. In letzter Zeit lese ich aber öfter Beiträge, deren Inhalt und Aussage an der Realität vorbeigehen. Damit wird der guten Sache kein guter Dienst erwiesen, denn das wirkt negativ auf die Bemühungen an den richtigen Ansatzpunkten. Weltweit übliche Fachausdrücke – natürlich aus dem Englischen kommend – mit Gewalt verdeutschen zu wollen, wird nicht nur erfolglos bleiben, sondern gleitet oft ab in die Nähe der Lächerlichkeit und schadet so den Bemühungen, die den Kern treffen sollen. Englisch im Unterricht zurückstutzen zu wollen, um mehr Stunden für Deutsch bieten zu können, zäumt das Pferd von hinten auf und ist ebenfalls realitätsfern, wäre ein massiver Schaden für die spätere berufliche Laufbahn der jungen Menschen. Um sich in der Welt von heute und morgen behaupten zu können, sollten die jungen Menschen mit vierzehn Jahren eine Unterhaltung fließend in Englisch führen können. Bekanntlich erlernt man Fremdsprachen bis zu diesem Alter am leichtesten und es gibt künftig kaum einen Beruf, in dem man ohne Englisch auskommen wird. Können die jungen Menschen mit vierzehn Jahren gut Englisch, könnte man anschließend sogar die deutsche Sprache vertiefen – durch mehr Deutschstunden, oder – noch besser – eine weitere Fremdsprache lehren. Noch ein Wort zu Berlinisch! Selten so jelacht! Münchenisch statt Münchnerisch – oder gar Münchnisch? Bei Bayern darf es bayrisch sein, bayrerisch geht sowieso nicht, denn Bayrern gibt es nicht. Die Leute werden weiter Wienerisch und nicht Wienisch sagen und aus Tirolerisch wird jetzt nicht Tirolisch, Kärntnerisch wird auch nicht zu Kärntenisch oder Kärntisch! Professor Mellerovic hat vor Jahrzehnten gesagt „Der Markt steht am Anfang und am Ende.

(Rechtschreibung im Original)

Sehr geehrter Herr L.,

Zum Leserbrief „Sprachenvielfalt schadet“ von Frank Rösner in DSW 43, Seite 2 err Rösner scheint mir nach seinem Vorschlag, Englisch auf lange Sicht als „zweite Muttersprache“ einzuführen, ein Theoretiker zu sein. Um eine Fremdsprache richtig zu beherrschen, muß man sich täglich mit ihr befassen können, und zwar mit Lesen, Schreiben und Sprechen; und das mit Leuten, die diese Sprache als Muttersprache gelernt haben. Wenn diese Möglichkeit nicht besteht, wird man die Fremdsprache mehr oder weniger gut erlernen. Viele Leute, die von sich behaupten, daß sie perfekt Englisch könnten, können Englisch mehr oder weniger gut. Das führt dann auch dazu, daß in Unternehmen, die

Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

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orschungsberichte, die der deutsche Steuerzahler finanziert hat, müssen auch auf deutsch vorliegen. Sie meinen, das ist eine Selbstverständlichkeit? Keineswegs! Das zeigt beispielsweise der Forschungsbericht 400 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) über „Elektromagnetische Felder am Arbeitsplatz“. Der 48seitige Bericht enthält lediglich eine halbseitige Zusammenfassung in deutscher Sprache. Einen Bürger regte das so auf, daß er beim Deutschen Bundestag eine Petition einreichte. Diese fordert dazu auf, Forschungsberichte, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, auf deutsch zu veröffentlichen. Das Parlament stellte die Eingabe am 15. Juni zur Mitunterzeichnung als „EPetition“ ins Netz (Nummer 18036). Jeder Bürger mit Zugang zum Internet hat die Möglichkeit, unter https:// epetitionen.bundestag.de die Petition zu unterstützen. Auch die DEUTSCHE SPRACHWELT wendet sich gegen die Praxis der Bundesregierung, Forschungsberichte herauszugeben, die nur auf englisch abgefaßt sind. Daher riefen wir am 16. Juni zur Mitzeichnung auf. Daraufhin wurde die Presse aufmerksam. Die Nachrichtenagentur dpa fragte das Ministerium nach einer Erklärung. Eine Sprecherin flüchtete sich in Ausreden: Ursprünglich sei der Bericht gar nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Erst auf ausdrücklichen Wunsch der Fachwelt habe man das Papier ins Netz gestellt. Außerdem sollte der Forschungsbericht ursprünglich nur auf der Ebene der Europäischen Union (EU) eingebracht werden: „Er richtet sich nur an ein Fachpublikum und das Fachpublikum spricht Englisch. In Deutsch würde so ein Bericht nicht wahrgenommen.“ Den Text ins Deutsche zu übersetzen, hätte nur Steuergelder gekostet.

Im Ministerium ist offenbar nicht bekannt, daß Deutsch eine Amtsund Arbeitssprache der EU ist! Ein Forschungsbericht der Bundesregierung sollte zunächst auf deutsch erstellt und dann gegebenenfalls in andere Sprachen übersetzt werden. Nachdem die Petition immer größeren Zuspruch erhalten hatte und viele Zeitungen über den Aufruf der DEUTSCHEN SPRACHWELT berichtet hatten, nahm das Ministerium den umstrittenen Bericht ohne weiteren Kommentar aus dem Netz. Die E-Petition, die jeder Bürger noch bis zum 28. Juli zeichnen kann, fordert: „Der Deutsche Bundestag möge beschließen, daß alle in Auftrag gegebenen Forschungsberichte und Gutachten mindestens in deutscher Sprache zu beziehen sind.“ Zur Begründung heißt es: „Für die Finanzierung der in Auftrag gegebenen Berichte werden Steuergelder verwendet. Somit hat ein jeder Steuerzahler das Recht, diese Berichte lesen zu können. Da die Amtssprache Deutsch und nicht jeder der englischen Sprache mächtig ist, muß eine Übersetzung gesetzlich geregelt werden.“ Weit über 1 000 Bürger haben seit dem Aufruf der DEUTSCHEN SPRACHWELT die E-Petition unterschrieben. Unterzeichnen auch Sie! Bis zum 28. Juli können Sie die Eingabe noch unterstützen. Alles was Sie tun müssen, ist folgendes: Rufen Sie die Seite www.deutschesprachwelt.de auf, klicken Sie auf den grünen Knopf mit der Aufschrift „Mitzeichnen“ und schon sind Sie auf der Petitionsseite des Deutschen Bundestags. Dort können Sie dann mitzeichnen, nachdem Sie sich registriert haben. Eine Mitzeichnung ist allerdings nur auf elektronischem Wege möglich. Je mehr unterzeichnen, desto mehr Gewicht erhält die Petition! (dsw)

Gegründet im Jahr 2000 Erscheint viermal im Jahr Auflage: 25.000 Die jährliche Bezugsgebühr beträgt 10 Euro. Für Nicht- und Geringverdiener ist der Bezug kostenfrei. Zusätzliche Spenden sind sehr willkommen. Bundesrepublik Deutschland Verein für Sprachpflege e. V. Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Bankleitzahl 763 500 00 Kontonummer 400 1957 BIC: BYLADEM1ERH IBAN: DE63763500000004001957 Republik Österreich Verein für Sprachpflege e. V. Volksbank Salzburg Bankleitzahl 45010 Kontonummer 000 150 623 Bitte bei der Überweisung vollständige Anschrift mit Postleitzahl angeben! ISSN 1439-8834 (Ausgabe für Deutschland) ISSN 1606-0008 (Ausgabe für Österreich) Herausgeber Verein für Sprachpflege e. V. Sammelanschrift Deutsche Sprachwelt Postfach 1449, D-91004 Erlangen Fernruf 0049-(0)91 31-48 06 61 Ferndruck (Fax) 0049-(0)91 31-48 06 62 [email protected] [email protected] Schriftleitung Thomas Paulwitz [email protected] Gestaltung und Satz moritz.marten.komm. Claudia Moritz-Marten [email protected] Anzeigen moritz.marten.komm. Hans-Paul Marten Fernruf 0049-(0)22 71-6 66 64 Ferndruck (Fax) 0049-(0)22 71-6 66 63 [email protected] Sprachwelt-Mitarbeiter Ursula Bomba, Lienhard Hinz (Berlin), Rominte van Thiel, Dagmar Schmauks, Wolfgang Hildebrandt, Diethold Tietz, Jürgen Langhans, Ulrich Werner, Klemens Weilandt, Andreas Raffeiner (Bozen/Innsbruck) Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Wiener Straße 80, A-3580 Horn Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Das gilt besonders für Leserbriefe. Die 45. Ausgabe erscheint im Herbst 2011. Redaktions- und Anzeigenschluß sind am 22. August 2011.

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Hintergrund

Seite 3

Deutschland schafft seine Sprache ab Teil 1: Führende Wissenschaftler und Politiker verraten die deutsche Sprache Bereits als „Anglizismenmuffel“ wies Wolfgang Hildebrandt unter dieser Überschrift kurz darauf hin, daß die Deutschen drauf und dran sind, ihre eigene Sprache abzuschaffen (siehe DSW 41, Seite 12). Jetzt greift er das Thema erneut auf, um auf das Fortschreiten dieser Entwicklung, auf ihre tieferen Ursachen und Folgen aufmerksam zu machen. Von Wolfgang Hildebrandt

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achdem ich Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ gelesen hatte, mußte ich an einen Witz denken. Zwei Herren unterhalten sich. Sagt der eine: „Ich lese gerade ‚Das Kapital‘ von Karl May.“ Sagt der andere entsetzt: „Aber das ist doch von Karl Marx!“ Daraufhin der erste: „Ach so – und ich wunderte mich schon, denn ich bin auf Seite 463, und es kommt immer noch kein Indianer vor.“ Als ich auf Seite 463 war – und damit am Ende des Buches von Sarrazin, erging es mir ähnlich. Auch ich war auf keinen „Indianer“ gestoßen, also eine Stelle, die nicht in das Buch gepaßt hätte. Es scheint jedoch kein Kritiker vermißt zu haben – ob er nun den Aussagen in Sarrazins Buch zustimmt oder sie ablehnt –, daß der Verfasser den augenblicklichen Prozeß der Abschaffung der eigenen Sprache kaum erwähnt. Ging bisher, wie die Geschichte zeigt, mit dem Verschwinden eines Volkes auch das Verschwinden der Sprache einher, so scheint dieser Schritt heute vom eigenen Volk vor seinem Verschwinden noch schnell vorweggenommen zu werden. Beispielhaft für diese Behauptung ist eine erfundene Anekdote aus Sarrazins Buch. In einem satirischen Zukunftsszenarium („Ein Alptraum …“) schreibt er über ein angebliches wissenschaftliches Gutachten aus dem Jahre 2017, das von unserer Wirklichkeit längst eingeholt wurde. Darin heißt es unter anderem, „daß es Ausdruck einer latent faschistoiden Gesinnung mit rassistischen Anklängen sei, wenn Deutsche einen Vorrang der deutschen Sprache forderten“. Dieser Vorwurf wird schon seit Jahren als „Argumentationskeule“ gegen alle eingesetzt, die sich um unsere Sprache sorgen.

Wird nur ein Gespenst an die Wand gemalt? Erstaunlich, daß sich heutzutage deutsche Linguisten und andere für die Sprache Verantwortliche, gerade auch Politiker, bei der Verabschiedung der Deutschen von ihrer Muttersprache völlig teilnahmslos verhalten. Und nicht nur das – viele von ihnen unterstützen oder betreiben sogar diese Entwicklung. Wir sollten nicht vergessen, daß auch deutsche Sprachwissenschaftler früher entscheidend bei der Entzifferung der Hieroglyphen und der Keilschrift mitwirkten. Damit trugen sie zur Bewahrung einer Kultur bei. Heute lassen sie das Verschwinden einer Kultur zu – welch ein Zynismus! Oder wird hier etwa nur ein Gespenst an die Wand gemalt, wie das vor allem die halbstaatlichen Sprachinstitutionen, gewisse Sprachwissenschaftler und andere für unsere Sprache Verantwortliche behaupten? Nun, eine Bestandsaufnahme der augenblicklichen Sprachsituation kann dies schnell klären. Die Beispiele

könnten mehrere Zeitungsseiten füllen, doch selbst dann würden gewisse Kreise sie als harmlose Modeerscheinungen abtun und die Sprachmahner und -schützer weiterhin verspotten. Am sichtbarsten wird der Schaden an unserer Muttersprache an der Amerikanisierung des Wortschatzes. Der „Anglizismen-Index“ zählt in seiner neuesten Auflage rund 7.300 englische Wörter, und jedes Jahr kommen weit über einhundert neue hinzu.

Angloamerikanismen verdrängen deutsche Wörter Die Angloamerikanismen verdrängen nicht nur die gleiche Anzahl, sondern eine Vielzahl deutscher Wörter. Nehmen wir als Beispiel das Wort „Performance“. Es vernichtet die Wörter Ausführung, Durchführung, Aufführung, Vorstellung, Darstellung, Umstand, Leistung, Effizienz und andere mehr. Schlimmer noch – sei es eine neue Idee, Erfindung, Fiktion, ein Plan oder Entwurf, ob Neugründung oder längst Etabliertes: Alles bekommt einen englischen Namen. Doch noch schwerer wiegt die Tatsache, daß dies kaum einem mehr auffällt. Ein Geburtstagsgruß? Natürlich englisch. Ein Ständchen dazu? Na klar, auf englisch. Ein Willkommensgruß über der Eingangstür oder auf der Fußmatte, Liebeserklärungen und -bezeugungen, Begrüßungen und Verabschiedungen und vieles andere mehr – wie selbstverständlich ist alles nur noch auf englisch. Selbst Redewendungen werden aus dem Englischen übernommen, bestenfalls übersetzt, aber so oder so – die deutschen Entsprechungen gehen uns auf diesem Wege verloren. Von unübertroffener Symbolik dafür ist ein Erlebnis, das ich vor kurzem hatte. Eine Lehrerin aus meiner Nachbarschaft, die kaum einen Satz ohne einen Angloamerikanismus spricht, beschwert sich bei mir heftig über das schlechte Deutsch eines Nachrichtensprechers der ARD. Der hatte doch tatsächlich gemeldet, ein Krimineller sei nun endlich erwischt worden. Das umgangssprachliche „erwischt“ im Fernsehen erregte sie, doch kein Wort über die dortige ständige Präsentation großer Teile der Welt in englischer Aussprache (Beirut, Kuweit, Hawaii, Taiwan und so weiter), kein Wort über den inflationären Gebrauch von Angloamerikanismen, nicht nur im Fernsehen, sondern in allen Medien; vom eigenen Gebrauch dieser Mischsprache ganz zu schweigen.

Die Entfremdung von der eigenen Sprache Das Beispiel verdeutlicht die Entfremdung von der eigenen und die Selbstverständlichkeit des Gebrauchs einer fremden Sprache. Spätestens jetzt sollten unsere Spötter aus ihrem Verdrängungsschlaf aufgewacht sein,

und die folgenden Fragen müßten nun auch ihnen sinnvoll erscheinen: • Ist die deutsche Sprache in Gefahr? Steht ihr bevor, zu verschwinden oder zu einem europäischen Dialekt zu verkümmern? (So ist es mit dem Niederdeutschen geschehen, und selbst diese Funktion, nämlich als Dialekt Haus- und Familiensprache zu sein, nimmt es kaum mehr wahr.) • Werden wir immer mehr Waren und Dienstleistungen angeboten bekommen, die keine deutschsprachigen Bezeichnungen mehr haben? (In Drogeriemärkten gibt es schon heute kaum noch Produkte mit deutschen Namen und Beschriftungen.) • Wird aus der Fremdsprache Englisch eine zweite Landessprache werden? Oder gar die erste, womit die Abschaffung dann auch offiziell eingeläutet würde? Werden wir in Zukunft nur noch auf englisch verwaltet werden?

„Deutschland sollte Englisch zur zweiten Amtssprache machen.“ Seitz jedoch ist kein Sonderfall. So forderte der CDU-Politiker und damalige Präsident (heute Ehrenvorsitzende) des „Bundesverbands des deutschen Groß- und Außenhandels“, Michael Fuchs, im Dezember 1999 dazu auf, in Deutschland bis 2010 Englisch als zweite Amtssprache einzuführen: „Deutschland sollte Englisch bis 2010 zur zweiten Amtssprache machen.“ Fuchs unterhält glänzende Beziehungen in die Vereinigten Staaten. Er ist heute stellvertretender Vorsitzender der Europaabteilung der Trilateralen Kommission. Dies ist eine 1973 von dem Bankier David Rockefeller gegründete private Organisation zur

Abgesehen vom weiteren Beweis dafür, daß es in gewissen Kreisen offenbar längst abgemacht ist, Deutsch nur noch als Übergangssprache zu akzeptieren, wird hier die Methode sichtbar, wie dieser Tatbestand verschleiert werden soll. Denn Oettinger müßte doch ganz genau wissen, daß Deutsch als Feierabendsprache schon längst dahinsiecht. Oder kennen Sie, liebe Leser, auch nur einen einzigen neu hinzugekommenen Ausdruck aus dem Bereich des Sports oder der Freizeit auf deutsch? Wellness, Fitness Center, Nordic Walking, Beach Volleyball …

Angloamerikanismen zur Volksverdummung Ist der Wille, Deutsch zu erhalten, überhaupt noch vorhanden? Dieter E. Zimmer gab in seinem Buch „Deutsch und anders“ die Antwort: „Dieser Wille ist nicht vorhanden und würde, wenn er sich irgendwo regen sollte, sofort als Deutschtümelei ausgepfiffen. Also werden die, die später in unserem Land leben, eines Tages die Engländer, Franzosen, Polen, Finnen und Spanier um ihren Eigensinn [nämlich die Muttersprache zu erhalten] beneiden.“ Der französische Sprachwissenschaftler Claude Hagège ist davon überzeugt, daß eine Sprache dann zum Niedergang verurteilt ist, wenn die politische Klasse einer Gesellschaft sie nicht mehr als umfassendes Kommunikationsmittel einsetzt und weiterentwickelt.

„Die deutsche Sprache brauchen wir nicht mehr.“ Manche stellen unsere Sprache gar mit freudiger Hingabe zur Disposition und sagen ganz offen, wir sollten unsere Sprache abschaffen und lieber auf Englisch umsteigen. So trug sich bereits im November 1999 an der Viadrina-Universität Frankfurt an der Oder ein denkwürdiger Schriftwechsel zu, der allerdings nur durch Zufall bekannt wurde, weil ihn ein Beteiligter als Rundbrief abgeschickt hatte. Der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Harald Weydt war dafür eingetreten, daß an der Universität „eine Reduzierung auf eine Sprache, das Englische, verhindert wird“. Der Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomie, Prof. Dr. Helmut Seitz, entgegnete ihm freimütig: „Die deutsche Sprache brauchen wir nicht mehr. Ich bin dafür, alles in englischer Sprache zu machen. Goethe, Schiller und die anderen Schreiberlinge kann man auch auf englisch lesen. (Ich habe Hesse nur in amerikanischen Übersetzungen gelesen. Kann nur sagen: Prima.) Nehmen Sie sich ein Beispiel an Händel, der hat sich sogar geweigert, mit seiner Mutter deutsch zu sprechen! So muß es sein. Raus aus der Provinz, rein in die globalisierte Welt. Mit deutscher Sprache können unsere Studenten nur noch Kanzler werden! Und ferner dient eine Sprache der Völkerverständigung. Um die deutsche Kultur zu pflegen, brauchen wir keine deutsche Sprache. Es spricht ja nichts dagegen, für die ausländischen Studenten auch Deutschkurse abzuhalten. Unter Umständen gibt es hierzu bald ein gutes Angebot bei Aldi! … Sorry, aber dieser Protest ist unnötig und schadet unserer Internationalisierungsstrategie! Mit den Argumenten von Herrn Kollegen Weydt müssen wir auch wieder das Mittelalterdeutsch einführen, damit wir alle die Lieder von Walther von der Vogelweide oder den Parzival lesen können. Auch die Sprache unterliegt einem Globalisierungsdruck, und ein Wehren gegen die Internationalisierung ist gleichzusetzen der Maschinenstürmerpolitik im letzten Jahrhundert!“

ge immer wieder aus, indem sie die Dokumentation wiederholten.

Albrecht Dürer, Selbstmord der Lukretia, 1518

Einflußnahme auf das weltpolitische Geschehen. Außerdem ist Fuchs heute stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand (PKM) der CDU/CSUBundestagsfraktion. Deren stellvertretende Vorsitzende Andrea Voßhoff befürwortete im Herbst 2010 im PKM-Journal die Einführung von Englisch als Gerichtssprache ...

„Deutsch bleibt die Sprache der Familie.“ Den Vogel schoß freilich Günther Oettinger Ende 2005 ab und verewigte sich dadurch auch in Sarrazins Buch. Ungerührt erklärte der damalige Ministerpräsident BadenWürttembergs in dem Dokumentationsfilm „Wer rettet die deutsche Sprache?“ des Südwest-Rundfunks: „Deutsch bleibt die Sprache der Familie, der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest, aber – Englisch wird die Arbeitssprache. Deswegen haben wir in Baden-Württemberg, ab der Grundschule, 1. Klasse, Englisch eingeführt.“ Verschiedene Programme strahlten seither diese Kernaussa-

Und so erfreulich die Bemühungen des Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer auch sind, alle Angloamerikanismen in seinem Ministerium durch deutsche Bezeichnungen zu ersetzen, so zeigt diese Aktion doch deutlich, wie sehr verbreitet sie in der Regierung sind – und schon immer waren. Denn uns dürften die Sprachsünden vorheriger Regierungen noch bekannt sein: „Brain up!“ forderte zum Beispiel im Jahr 2004 die damalige Bildungsministerin Edelgard Bulmahn die Universitäten auf. Über die sprachlichen Ergüsse der HartzKommission sollten wir im Grunde schweigen. Denn um das Volk völlig im dunkeln zu lassen – sprich: zu verdummen – benutzte sie Schlagwörter wie Job-floater, Bridge-System und viele andere sprachliche Nebelgranaten, die der Bürger nicht versteht und auch nicht verstehen soll. Mit dem Versuch deutscher Politiker, deutsche Wähler mit englischen Begriffen und sogar mit englischen Werbesprüchen zu gewinnen, ist wohl der Gipfel der Anbiederung an den angelsächsischen Kulturkreis erreicht. Wo aber bleibt die Würde eines Landes und seiner Menschen, wenn schon Politiker die Sprache, die allen gemeinsam ist, nicht mehr für schutzwürdig erachten? Warum wehren sich so viele Politiker, Deutsch ins Grundgesetz aufzunehmen? Kann die augenblickliche Sprachentwicklung unter diesen Umständen zum Stehen gebracht oder gar rückgängig gemacht werden? Fortsetzung folgt.

Fremdenverkehr

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Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

Die Bauarbeiten haben begonnen Die „Straße der deutschen Sprache“ gewinnt weiter an Gestalt

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ie Ereignisse überschlagen sich seit einigen Monaten geradezu, so daß die „Straße der deutschen Sprache“ weiter an Gestalt gewinnt. Die wichtigste Neuigkeit vorweg: Eine Arbeitsgemeinschaft (AG) mit Abgesandten aus mehreren Orten aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen hat ihre Arbeit aufgenommen. In der AG bereiten Kommunalpolitiker, Vermarktungsfachleute und Sprachpfleger den organisatorischen Rahmen der Ferienstraße weiter vor. Die erste Ferienstraße, die Sprachpflege und Tourismus miteinander verbindet, rückt damit der Verwirklichung ein großes Stück näher. Daher stellen wir in dieser Ausgabe keine einzelne Stadt vor, sondern tragen die spannenden Ereignisse der jüngsten Zeit nach, um die Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT weiter auf dem laufenden zu halten. Der Startschuß fiel am 30. März im Rathaus der Stadt Köthen in Anhalt. An diesem Tag kamen erstmals Abgesandte von Orten zusammen, die an der „Straße der deutschen Sprache“ liegen. Die Nachrichtenagentur dpa hatte Wind davon bekommen und brachte aus diesem Anlaß vorab eine Meldung, die zahlreiche Zeitungen aufgriffen. Die Einführungsvorträge von Thomas Paulwitz (DEUTSCHE SPRACHWELT) und Benjamin Schäfer (Deutsche Märchenstraße) stießen eine angeregte Diskussion unter den Teilnehmern des Treffens an. Nach eingehender Beratung beschlossen schließlich die Abgesandten aus Reppichau, Kamenz, Lutherstadt Eisleben, Weißenfels, Haldensleben, Schleiz, Goethestadt Bad Lauchstädt, Gräfenhainichen und Köthen, eine Arbeitsgemeinschaft „Straße der deutschen Sprache“ (AG SddS) zu gründen. Sie soll unter dem Dach der „Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft“ stehen. Weitere Orte wie Meißen oder Bautzen, die am Gründungstag nicht anwesend sein konnten, nehmen ebenfalls an der AG teil. Herausragendes Beispiel für den Widerhall in der Presse ist ein Beitrag, der am 18. April in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erschien. Robert von Lucius berichtete auf Seite 2 über die „Straße der deutschen Sprache“. Dabei würdigte er ausführlich die Tätigkeit der „Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft“ und lobte die Stadt Köthen als „erfindungsreich“. Außerdem unterstrich er auch die sprachliche Bedeutung von Städten wie Schleiz, Bad Lauchstädt und Merseburg.

Am 4. Mai kam dann die neue Arbeitsgemeinschaft „Straße der deutschen Sprache“ im Köthener Rathaus zu ihrem ersten Arbeitstreffen zusammen. Auf ihrem dreistündigen Treffen widmete sich die AG einer umfangreichen Tagesordnung und machte ihre ersten Schritte auf dem Weg zur „Straße der deutschen Sprache“. Zunächst gab sich die AG eine Geschäftsordnung, die für ihre Arbeit als Grundlage dient. Die AG, so heißt es in Paragraph 1, „soll dazu beitragen, den Gedanken einer neuen Ferienstraße zu verwirklichen. Diese Ferienstraße soll in Verbindung von Sprachpflege und Tourismus Orte zusammenführen, die für die deutsche Sprache von besonderer Bedeutung sind. Der Kern der Straße soll in Mitteldeutschland liegen, also in den Bundesländern Thüringen, SachsenAnhalt und Sachsen.“

Straße der deutschen Sprache Zu den Aufgaben heißt es in Paragraph 3, die AG werbe für die Einrichtung einer „Straße der deutschen Sprache“ und versuche, weitere Teilnehmer zu gewinnen. „Dazu erarbeitet sie Mindestkriterien für die Teilnahme an der Ferienstraße. Außerdem leitet sie die ersten Schritte zur Erstellung eines Faltblattes, eines Netzauftritts und zur Findung eines Erkennungszeichens (Logo) ein.“ Die AG solle des weiteren die Gründung eines Trägervereins prüfen und gegebenenfalls vorbereiten. Damit waren die weiteren Tagesordnungspunkte vorgegeben. Zuvor wählten die Teilnehmer Thomas Paulwitz zum Sprecher der AG. Paulwitz ist nicht nur Schriftleiter der DEUTSCHEN SPRACHWELT, sondern auch Vorstandsmitglied der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft. Seine beiden Stellvertreter sind der Verleger Juergen K. Klimpke (Schleiz) und der Sprachschützer Diethold Tietz (Sprachrettungsklub Bautzen). Außerdem gibt es für jede Station auf der „Straße der deutschen Sprache“ Ansprechpartner. Auf diese Weise soll die Verständigung untereinander und nach außen reibungslos gelingen. Die AG einigte sich darauf, zuallererst die Frage zu klären, wofür denn die „Straße der deutschen Sprache“ stehen und an wen sie sich richten soll. Dazu will sie zunächst die Zielgruppen klar definieren und Leitsprüche ersinnen, etwa „Die deutsche Sprache verbindet“ oder „Die deutsche Sprache erfahren“ oder „Wege zur Wiege des Hochdeutschen“. Die ausgewählten Leitsprüche sollen auch die Grundlage für ein Erkennungszeichen bilden. Dazu wird voraussichtlich im Frühjahr 2012 ein Logo-Wettbewerb ausgeschrieben. Die Mindestkriterien für die Teilnahme an der „Straße der deutschen Sprache“ entwickelt die AG im Zusammenhang mit der Erstellung einer Liste, in der die Sehenswürdigkeiten der einzelnen Orte verzeichnet sind. Eine der Voraussetzungen für die Teilnahme an der „Straße der deutschen Sprache“ ist zum Beispiel, daß der Ort eine wichtige Rolle für die Geschichte der deutschen Sprache spielt oder daß dort heute die Sprache besonders gepflegt wird. Es ist aber auch erforderlich, Angebote bereitzustellen, die die Gäste das ganze Jahr über besichtigen können. All diese Maßnahmen dienen dazu, die Außendarstellung vorzubereiten, wie sie zum Beispiel in Form eines Netzauftritts und eines Faltblattes geplant ist. Unter der Anschrift www.straße-der-deutschen-sprache. de besteht bereits eine Netzpräsenz. Sie dient derzeit als Schwarzes Brett für herausragende Ereignisse und Ankündigungen zur Straße. Sobald die Vermarktung verstärkt und Gelder eingesetzt werden müssen, wird die AG in ihrer jetzigen Form an ihre Grenzen stoßen. Daher wird sie entscheiden müssen, entweder die AG unter dem Dach der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft weiter auszubauen oder einen eigenständigen Trägerverein zu gründen.

Mittlerweile macht die „Straße der deutschen Sprache“ auch in Fachkreisen von sich reden. Eine gute Gelegenheit bot das „Leipziger Tourismusfrühstück“ am 25. Mai in der Moritzbastei. Auf Einladung der „Leipzig Tourismus und Marketing GmbH“ (LTM) nahmen die Vorsitzende der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft (NFG), Uta SeewaldHeeg, und der stellvertretende AGSprecher Juergen K. Klimpke teil. Das Thema des Tourismusfrühstücks lautete: „Touristische Routen: Wer-

den neue Reiseanreize für Leipzig und Mitteldeutschland geschaffen?“ Neben der „Straße der deutschen Sprache“ nutzten auch Vertreter der „Straße der Musik“, des „Sächsischen Lutherwegs“ und der „Via Regia“ die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch. Auf dem Podium erläuterte Seewald-Heeg vor rund 150 Zuhörern Hintergründe und Ziele der „Straße der deutschen Sprache“. Das Publikum setzte sich aus Medienvertretern, touristischen Leistungsträgern und neugierigen Bürgern zusammen. Die Sprache des Fremdenverkehrs ist durch zahlreiche Anglizismen geprägt. Auf große Zustimmung stieß jedoch die von Seewald-Heeg erklärte Absicht, bei der Öffentlichkeitsarbeit besonders auf die deutsche Sprache zu achten. Im Tourismus ist es

notwendig, Informationen in mehreren Sprachen bereitzustellen. Daraus darf jedoch nicht folgen, die Sprachen miteinander zu vermischen. Schon vor der nächsten Arbeitssitzung trafen sich Vertreter aus den Orten auf dem Köthener Sprachtag, der sich am 24. und 25. Juni dem Thema „Straße der deutschen Sprache“ widmete. Mehrere Orte stellten sich mit Ständen und Vorträgen der Öffentlichkeit vor. Bisher vorgestellte Städte: Schleiz (DSW 40) – Bad Lauchstädt (DSW 41) – Gräfenhainichen (DSW 42) – Merseburg (DSW 43). Sie können diese Ausgaben kostenlos nachbestellen (siehe Seite 5). www.straße-der-deutschen-sprache.de

Die Straße in der Presse Die Nachrichtenagentur dpa meldete am 30. März 2011:

Straße der deutschen Sprache in Mitteldeutschland geplant öthen (dpa/tmn) – Eine neue Straße der deutschen Sprache soll 25 Städte in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen verbinden. „Wir wollen zum einen das Bewußtsein für die deutsche Sprache stärken und zum anderen mehr Besucher in die Städte locken“, sagte Thomas Paulwitz von der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft der Nachrichtenagentur dpa. Die Ferienstraße soll im thüringischen Schleiz beginnen und über Weimar, Meiningen, Eisenach und Köthen nach Leipzig führen. In den 25 Städten ereigneten sich sprachgeschichtlich bedeutsame Ereignisse, oder bekannte Persönlichkeiten der deutschen Sprache lebten dort. Am Startpunkt Schleiz zum Beispiel hat Konrad Duden seine ersten Aufzeichnungen niedergeschrieben, um die Rechtschreibung zu vereinheitlichen. Die Burg Falkenstein ist Teil der Route, weil Eike von Repgow dort im Mittelalter den Sachsenspiegel verfaßte, das erste deutsche Rechtsbuch. Und Mühlhausen soll laut Thomas Paulwitz gewürdigt werden, weil die Stadtverwaltung sich bemüht, Anglizismen zu vermeiden. „Mitteldeutschland kann man als Sprachzentrum bezeichnen“, erklärte Paulwitz. Denn die dortige Mundart habe die Meißner Kanzleisprache maßgeblich beeinflußt, auf die Martin Luther bei seiner Bibelübersetzung zurückgegriffen hat. Die einzelnen Stationen der Route – darunter auch Kamenz, Bautzen, Reichenbach und Oelsnitz – sollen durch einheitliche Schilder erkennbar sein. „Die Straße dient aber vor allem dazu, bestehende Angebote miteinander zu vernetzen, da muß nichts Neues aus dem Boden gestampft werden“, sagte Paulwitz. Helmut Dawal schrieb am 8. April 2011 in der Mitteldeutschen Zeitung:

Arbeitsgruppe will feste Kriterien aufstellen o wie es mit der „Straße der Romanik“, der „Deutschen Weinstraße“ oder der „Deutschen Märchenstraße bereits der Fall ist, soll auch die „Straße der deutschen Sprache“ künftig Bildung und Tourismus miteinander verknüpfen. Das ist das erklärte Ziel der Vertreter aus Bad Lauchstädt, Reppichau, Haldensleben, Kamenz, Weißenfels, Schleiz, Gräfenhainichen und Köthen, die sich im Köthener Ratssaal auf die ersten Schritte verständigten. Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander ließ es sich nicht nehmen, die Gäste persönlich zu begrüßen. „Dieses Vorhaben hat ein überregionales Interesse gefunden. Das freut mich sehr“, sagte Zander. Zwar hätten alle Kommunen recht knappe Kassen, so daß die Städte und Gemeinden das Projekt nur in bescheidenem Maße unterstützen könnten. Zander ist jedoch optimistisch, daß das Vorhaben gelingen wird. Unter dem Dach der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen, von dessen Mitglied Thomas Paulwitz die Initiative für die „Straße der deutschen Sprache“ ausging, wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die alle grundsätzlichen Fragen regeln soll. … „Schon in knapp einem Monat“, so Uta Seewald-Heeg, Vorsitzende der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft, „soll Klarheit darüber herrschen, wer mit von der Partie ist.“ Dann tagt die Arbeitsgruppe das erste Mal und will „feste Kriterien für die Etablierung der Straße erarbeiten“. … Robert von Lucius schrieb am 18. April 2011 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

Eine Straße der deutschen Sprache

öthen ist erfindungsreich – als Heimat der Homöopathie etwa oder als Karnevalshochburg. … Nun plant die „Neue Fruchtbringende Gesellschaft“, eine „Straße der deutschen Sprache“ einzurichten. Sie soll in SachsenAnhalt, Thüringen und Sachsen durch 25 sprachgeschichtlich bedeutsame Städte führen. Mitteldeutschland prägte das Standarddeutsch: Martin Luther stützte sich mit seiner Bibelübersetzung auf die Meißner Kanzleisprache. In Schleiz zeichnete Konrad Duden die vereinheitlichte Rechtschreibung auf, auf der Burg Falkenstein schrieb Eike von Repgow mit dem „Sachsenspiegel“ das erste deutsche Rechtsbuch, in der Merseburger Dombibliothek liegen mit den „Merseburger Zaubersprüchen“ die ältesten althochdeutschen Sprüche nichtchristlichen Inhalts. Wenn die „Neue Fruchtbringende Gesellschaft“ mit der „Straße der deutschen Sprache“ nun kulturbewußte Reisende anlocken will – ähnlich, wie die „Märchenstraße“ oder die „Straße der Romanik“ das schon tun –, wird sie dabei von Schauspielern und Sängern unterstützt. Beim „Festival der Deutschen Sprache“ in Bad Lauchstädt lesen stets Bühnendarsteller. Die Kammersängerin Edda Moser forderte dort, Eltern und Großeltern müßten Kindern wieder Balladen von Goethe vorlesen. Mathias Orbeck schrieb am 26. Mai 2011 in der Leipziger Volkszeitung:

Tourismusexperten sehen in Ferienstraßen und Reiserouten viel Potential uch Sprache verbindet – deshalb wurde in der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft in Köthen die Idee geboren, eine Straße der deutschen Sprache zu etablieren, die von Meiningen über Weimar, Schleiz, Eisleben, Köthen bis nach Bautzen führt. Immerhin: Die Wurzeln des Hochdeutschen liegen in Mitteldeutschland. Dort entstand die sächsische Kanzleisprache, die Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung in ganz Deutschland verbreitete. Köthen sollte laut Fruchtbringender Gesellschaft das Zentrum sein, da dort 1617 der älteste deutsche Sprachverein entstand. Aber auch Leipzig gehört dazu – beispielsweise mit Gottsched und seiner Deutschen Gesellschaft, die zur Autorität in Fragen des richtigen Sprachgebrauchs wurde. „Es gibt Kontakte, Leipziger Vertreter sind an der Straße auch interessiert. Aktiv sind sie aber noch nicht dabei“, sagt Uta Seewald-Heeg … Helmut Dawal schrieb am 9. Juni 2011 in der Mitteldeutschen Zeitung:

Volksfest der Sprache

as Wochenende vom 24. bis 26. Juni bietet den Köthenern und ihren Gästen ein buntes und durchaus attraktives Programm … Mit zwei Veranstaltungen wartet die Neue Fruchtbringende Gesellschaft auf. Am 24. Juni gibt es vor dem Veranstaltungszentrum ein „Kleines Volksfest der deutschen Sprache“. Wie Prof. Uta-Seewald Heeg mitteilte, gehören dazu Schreib- und Sprechwerkstatt, Buchverkauf und Bücherbasar und diverse Ratespiele, bei denen es Preise zu gewinnen gibt. Sonnabend folgt der 5. Köthener Sprachtag, der sich insbesondere der im Aufbau befindlichen „Straße der deutschen Sprache“ widmet. „Dieses Projekt hat richtig Fahrt aufgenommen“, sagte Seewald-Heeg. Einige Städte, durch die die Straße führen soll, seien mit Info-Ständen vertreten, unter anderem die Konrad-Duden-Stadt Schleiz. …

Recht

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Aktiengesellschaften verklagen? Gespräch mit Professor Olbrich über die gesetzwidrige Sprache in den Geschäftsberichten Von Thomas Paulwitz

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eit Jahren setzen sich Sprachschützer wie Geert Teunis und Jörg Kapitän auf den Hauptversammlungen großer Aktiengesellschaften für die deutsche Sprache ein. Beispielhaft sind die Erfahrungsberichte von Geert Teunis aus dem Jahr 2006 „VW gesteht Kulturverlust ein“ (siehe DSW 26) und aus dem Jahr 2009 „Siemens spricht nur von ‚Compliance‘“ (siehe DSW 35). Trotz großen Einsatzes ist den Sprachschützern der durchschlagende Erfolg noch nicht gelungen. Es gibt zwar immer wieder Lichtblicke. Erst kürzlich, auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank am 26. Mai dieses Jahres in Frankfurt am Main, versprach der Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann dem Aktionär Teunis: „Sie haben bemängelt, ich hätte heute morgen in meinem Vortrag eigentlich zu viele Anglizismen verwendet. Ich sage Ihnen zu, wir werden uns im nächsten Jahr noch mehr Mühe geben, die Dinge zu verbessern.“ Solche Versprechen sind jedoch die Ausnahme. Inwieweit ihnen dann auch Taten folgen, bleibt abzuwarten. Nun können die Sprachschützer allerdings neue Hoffnung schöpfen und möglicherweise ein neues Druckmittel einsetzen, zumindest hinsichtlich der Geschäftsberichte. Enthalten diese nämlich zu viele unverständliche englische Wörter, könnten sie gegen das Handels- und Aktienrecht verstoßen. Paragraph 244 des Handelsgesetzbuches (HGB) schreibt vor: „Der Jahresabschluß ist in deutscher Sprache und in Euro aufzustellen.“ In Paragraph 400 des Aktiengesetzes (AktG) sind für „unrichtige Darstellungen“ Strafen festgeschrieben: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft,

wer als Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder als Abwickler … die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand, in Vorträgen oder Auskünften in der Hauptversammlung unrichtig wiedergibt oder verschleiert.“ Zu verdanken ist dieser Hinweis Professor Michael Olbrich, dem Leiter des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes. Er hat für das Jahr 2009 die Geschäftsberichte der dreißig größten deutschen Aktiengesellschaften (DAX 30) un-

„Klagen ist richtig“ Die Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT auf Facebook diskutierten über Olbrichs Untersuchung: Bernhard Kneer denkt darüber nach, warum die Geschäftsberichte der großen deutschen Aktiengesellschaften so sehr mit Englisch versetzt sind: „Das ist die Folge von jahrelanger Beeinflussung durch internationale Unternehmensberatungen und ähnliche Organisationen. Bis hin in die Stellenbeschreibungen reicht deren hinterlassener Unsinn. Mir ist bis heute nicht klar, weshalb man einen Hausmeister unbedingt Facilitymanager nennen muß.“ Christian Martin Gutekunst meint: „Klagen wäre vielleicht etwas übertrieben, aber als Aktionär nachhaken und darauf pochen, warum nicht?“ Irmin Günther widerspricht jedoch Gutekunst: „Finde ich nicht, mit diesen halbenglischen Bezeichnungen werden Unternehmensdaten verschleiert, da von den Aktionären nicht alles klar verstanden wird. Klagen ist da schon richtig, jeder kleine Händler wird ja auch abgemahnt, wenn nur eine Kleinigkeit in den AGB nicht stimmt.“

tersucht. Die Untersuchung veröffentlichte er in der Zeitschrift „Die Aktiengesellschaft“ (AG 2011, Seite 326 bis 331). Olbrich kommt zu dem Ergebnis, daß sämtliche Berichte gegen diese Gesetzesartikel verstoßen. Wir haben ihn dazu befragt: Herr Professor Olbrich, warum ist noch niemand vorher darauf gekommen, daß die Sprache in den Geschäftsberichten der Aktiengesellschaften gegen geltendes Recht verstoßen könnte? Widerspruch gegen die Verdrängung der deutschen Sprache gibt es doch schon seit Jahren! Prof. Dr. Michael Olbrich: Es ist in der Tat erstaunlich, daß bisher niemand diesen Schluß gezogen hat. Insbesondere, da die Zeitschrift „Managermagazin“ bereits seit Jahren den Wettbewerb „Der beste Geschäftsbericht“ veranstaltet. Dabei spielt zwar auch die sprachliche Aussagekraft des Berichts eine Rolle, doch wurde bei ihrer Beurteilung bislang nicht auf die Verwendung englischer Fremdwörter geachtet, trotz der geltenden Gesetzeslage. Wie viele verschiedene englische Wörter muß man denn können, um den Geschäftsbericht der Deutschen Bank verstehen zu können? Olbrich: Um den Geschäftsbericht der Deutschen Bank zu verstehen, müssen Sie 391 englische Vokabeln lernen, bei Siemens sind es sogar 395 Vokabeln, bei der Deutschen Telekom 407 und der Commerzbank 465. Der Anteil englischer Wörter erscheint mit meist etwa 5 Prozent auf den ersten Blick noch verhältnismäßig niedrig. Es handelt sich jedoch oftmals um die entscheidenden Wörter, die auf englisch sind. Die Commerzbank schreibt in ihrem Geschäftsbericht: „Im IV. Quartal

dem finden sich bei ihr haben wir bis auf geim Anhang des Einzelringfügige Ausnahmen und Konzernabschlusdas Cash Flow Hedge ses mehrere Seiten engAccounting beendet lischen Fließtextes; es und nutzen seitdem für handelt sich dabei um das Zinsrisikomanageeine Mitteilung im Konment Micro und Porttext des Wertpapierhanfolio Fair Value Hedge delsgesetzes. Trotz der Accounting.“ Deutsch gesetzlichen Vorgabe ist das sicher nicht. des § 244 HGB wird Ist es etwa nicht mögdem Leser keine deutlich, dies auf deutsch Prof. Dr. Michael Olbrich auszudrücken? Handelt es sich hier sche Übersetzung dieser englischen wirklich um unersetzliche Fachaus- Texte zur Verfügung gestellt. drücke? Was müssen die DAX-30-UnternehOlbrich: Englische Bezeichnungen men ändern? werden häufig mit dem Argument gerechtfertigt, es handele sich um Olbrich: Sie sollten die gesetzlichen etablierte betriebswirtschaftliche Vorschriften befolgen und sich auf Fachtermini, die einem sachverstän- solche Fremdwörter beschränken, für digen Leser bekannt seien. Dem muß die keine deutschen Bezeichnungen ich als Wirtschaftswissenschaftler existieren. Besonders leserfreundlich widersprechen. Für „cash flow“ zum ist es zudem, wenn diese notwendiBeispiel findet sich im englisch- und gen Fremdwörter vollumfänglich in deutschsprachigen Schrifttum eine einem Glossar erläutert werden. Vielzahl unterschiedlicher Definitionen, so daß er keineswegs präziser Die Sprachschützer haben es bisher als der deutsche Begriff „Umsatz- im guten versucht, indem sie sich auf überschuß“ ist. In vielen Fällen ist den Hauptversammlungen zu Wort die deutsche Übersetzung sogar kla- meldeten. Ein schneller Erfolg stellte rer und eingängiger als die englische sich nicht ein. Jetzt scheint ihnen die Bezeichnung, so unter anderem der Möglichkeit zu erwachsen, ein härte„Zeitwert“ statt „fair value“. Denn res Druckmittel einzusetzen. Erwarten es handelt sich dabei nicht um eine Sie, daß gegen die Geschäftsberichte gerechte, also faire, sondern um eine nun auch vor Gericht geklagt wird? Wie schätzen Sie die Aussichten ein, vergängliche, flüchtige Größe. eine solche Klage zu gewinnen? 2006 gestand der damalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Bernd Olbrich: Ich kann mir gut vorstellen, Pischetsrieder, ein: „Ich glaube, daß daß der eine oder andere Aktionär die allzu intensive Verwendung der eine gerichtliche Klärung in dieser englischen Sprache im Deutschen Sache anstreben wird. Vor Gericht nicht nur im Automobilbereich ein und auf hoher See ist man in Gottes gewisser Kulturverlust ist.“ Spiegelt Hand. Für aussichtslos halte ich das sich denn diese Erkenntnis auch im Gewinnen einer solchen Klage angesichts der zu beobachtenden DiskreGeschäftsbericht von VW wider? panz zwischen GeschäftsberichtspraOlbrich: Auch die Volkswagen AG xis und Gesetzeslage aber nicht. bedient sich diverser englischer Begriffe in ihrem Geschäftsbericht. Zu- Vielen Dank für das Gespräch!

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Fruchtbringer am Sprachpranger Von Dirk Herrmann

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ie Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts wie die Fruchtbringende Gesellschaft kannten nicht nur Freunde und Förderer; mit überzogenen Forderungen und Selbstüberschätzung boten sie auch Spöttern und Parodisten Anlaß zum Widerspruch. Zu den bedeutendsten und schärfsten Kritikern zählte der Zittauer Dichter und Schulmann Christian Weise (1642 bis 1708). Er stammte aus der Region Oberlausitz/Niederschlesien, die sprach- und literaturgeschichtlich für jene Zeit eine herausragende Stellung einnimmt: Der Bunzlauer Martin Opitz schuf 1624 die erste und für lange Zeit maßgebliche deutschsprachige Poetik und schlug damit der deutschen Literatursprache die Bresche. Friedrich von Logau, aus der Mitte Schlesiens stammend, verteilte in Tausenden Sinngedichten kleine Giftspritzer wider die Schwächen und Sünden seiner Epoche, so etwa die „Frömdsucht“ seiner Zeitgenossen, die sprachlich in der Bevorzugung des Lateinischen und Französischen in vielen Bereichen zum Ausdruck kam. Der Glogauer Andreas Gryphius ist bis heute für die Betonung der Vergänglichkeit allen irdischen Seins bekannt. Die meisten der schlesischen Dichter waren Mitglieder in den Sprachgesellschaften, deren wichtiges Anliegen es war, eine gesamtsprachliche Norm zu schaffen und Fremdwörter, Dialektismen sowie veraltete und derb-obszöne Wörter zu vermeiden. Christian Weise wandte sich gegen diese Bestrebungen. Der vielseitige und schaffensfreudige Pädagoge hinterließ neben zahllosen Gelegenheitsschriften etliche bedeutende Lehrbücher und literarische Texte. Vor allem als Verfasser von Schuldramen erwarb sich Weise Verdienste. In zwei Werken des Zittauers werden die Sprachgesellschaften im allgemeinen und im besonderen eines ihrer berühmtesten Mitglieder, nämlich Philipp von Zesen, durch den Kakao gezogen. Letzterer hatte vor allem wegen seiner Verdeutschungsversuche von Fremdwörtern den Spott einiger Zeitgenossen auf sich gezogen.

Zur Sprachkritik des Zittauer Pädagogen Christian Weise (1642 bis 1708) Bereits in Weises früher humoristischer Erzählung von den „Drey ärgsten ErtzNarren in der gantzen Welt“ (1672) gilt der barocke Sprachpurist als ein Narr unter vielen. Weise läßt einen Schreiber auftreten, der sich um die „Teutsche Helden-Sprache“ bemüht und dazu Fremdwörter ausmerzt und an deren Stelle Zesens Übertragungen verwendet (Tageleuchter* für Fenster, Liebinne* für Venus, Schreibrichtigkeit für Orthographie) sowie „undeutsche“ Buchstaben wie v, c, y, q aus seinem Brief tilgt. Einer der Hauptakteure des Buches verspottet diesen Stil; er spricht sich für ein verständliches „Hochteutsch“ aus und verweist auf die Gewohnheit im Umgang mit Fremdwörtern. Jene würden bei den Sprachbenutzern besser verstanden als die „Gauckel-Possen“, das heißt die Verdeutschungsversuche der Puristen, die er als „Lesebengel und Papierverderber“ aburteilt. Eine Säuberung des Alphabets, wie es von Zesen tatsächlich anregte, verneint er ebenfalls. Acht Jahre später läßt Christian Weise, der inzwischen Rektor am Zittauer Gymnasium ist, von Schülern sein Lustspiel „Von der zweyfachen Poetenzunfft“ aufführen. In diesem kurzweiligen Stück steht die Verspottung seiner sprachschützenden Zeitgenossen im Zentrum des Textes. Die „zweyfache Poetenzunfft“ ist eine Sprachvereinigung, bestehend aus der „Narrenkolben-Zunfft“ und der „Tannzapfen-Zunfft“. Allein diese Titel nehmen Zesens eigene Sprachgesellschaft, die 1643 gegründete Deutschgesinnte Genossenschaft, aufs Korn. Diese untergliederte sich in eine Rosen-, Lilien-, Näglein- und Rautenzunft. Die Namen der Figuren Weises parodieren den Brauch der Sprachgesellschaften, ihren Mitgliedern Beinamen zu geben. Während bedeutende Fruchtbringer „Der Gekrönte“ und „Der Mehlreiche“ (oder „Der Schuppichte“ und „Der Abkratzende“) genannt wurden, bekommen sie bei Weise sprechende lateinische Namen wie Vermipulverius oder Heroicolinguantius. Sie tragen Kränze

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aus Tannzapfen oder Schilfkolben. Selbstbescheiden nennen sie sich die „vornehmsten Leute auf der Welt“. Im Wappen führt man einen riesigen Kuhfladen. Viel Zeit verbringt man im Lustspiel damit, die unzähligen Ehrenämter zu besetzen. Auch Zesen hatte eine Vorliebe für dieselben; allein in drei Zünften gab es bei den Deutschgesinnten 68 Ehrenämter! Bei Weise werden die Stellvertreter diejenigen, die das größte Apfelstück oder die meisten Erbsen mit dem Munde auffangen können! Schließlich soll ein Schreinhalter (eine Art Kassenwart) ernannt werden. Ein Mitglied fragt, was denn ein „Schweinhalter“ [sic] sei. Darauf erwidert man ihm, daß dieser „bey den Undeutschen [...] Fiscal“ heiße. Darauf der andere: „Fisch-Zahl ist doch ein deutsch Wort.“ Das mißverstandene Fremdwort ist ein stets wiederkehrendes Motiv in Weises Dichtung. Peinlichst ist man darauf bedacht, „Wörter aus der Fremde“ zu vermeiden. Es entstehen hitzige Diskussionen (Verzeihung: Wortgefechte) darüber, ob eine bestimmte Bezeichnung ein Fremdwort ist oder wie man sie verdeutschen könne. Bald ringt man um das Wort „Fenster“. Weises Figuren lehnen Zesens Übertragung „Tageleuchter“ aus vielen Gründen ab. Einer der neuen Versuche lautet „beglaßscheibtes Mauer-Loch“; aber auch dieser wird fallengelassen und schließlich legt man fest, daß Fenster ein „teutsch Wort“ sei und die Lateiner es gestohlen hätten. Der Versuch, das Lehnwort „Stiefel“ zu verdeutschen, mündet in unzählige Vorschläge – einer davon lautet: „eine wol-angelegte Wohn-Stube darin der unterste Theil des menschlichen Leibes verwahret wird“. Zu jeder Gelegenheit überbieten sich die Sprachgesellschafter im Versemachen. Dabei entstehen teils stümperhafte, teils schwülstige Reimereien wie die folgenden anläßlich einer Hochzeit: „Ich wünsche dieser Fastnachts Braut / Zum Sinnbild Wurst und Sauerkraut“. Weise hat nicht nur in seinen eigenen Texten einen einfachen, natürlichen

Lieferbare Ausgaben 44 Sommer 2011 43 Frühling 2011

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Bundesverkehrsminister und Deutsche Bahn wollen wieder mehr Deutsch / Briefe an uns und unsere Leser / Lienhard Hinz: Anliegen und Arbeit eines Sprecherziehers / Straße der deutschen Sprache: Merseburg / Leserbefragung: 97 Prozent sind für die Straße / Horst Meyer: Berlinisch / Lienhard Hinz: Berliner Kongreß zu Regional- und Minderheitensprachen / Johannes Heinrichs: Sprachpolitische Thesen (Teil 2) / Elmar Tannert: Fehlerhafte Wörter ziehen fehlerhafte Dinge nach sich / Thomas Paulwitz: Einzelheiten zur winzigen Rechtschreibreform 2011 / Sprachsünder-Ecke: Niedersächsisches Kultusministerium / Sprachwahrer des Jahres 2010 / Hartmut Heuermann: Steckt hinter Denglisch eine Ideologie? / Günter Körner: Den Fokus an den Hörnern gepackt! – Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher Sicht (6) / Reingard Böhmer und Diethold Tietz: „Sprache ist Heimat“ – Kongreß der Unionsfraktion im Bundestag / Thomas Paulwitz: Ali schlägt Mohammed / Rominte van Thiel: Wir Deutsche oder wir Deutschen? / Lienhard Hinz: Bericht aus Berlin / Wolfgang Hildebrandt: Die Weichen stellen? (Anglizismenmuffel)

42 Winter 2010/11

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Englisch darf in Deutschland nicht zur Gerichtssprache werden / Leserdiskussion (2): E-Mail oder E-Post? / Helmut Delbanco: Paul Gerhardt – der größte deutsche Sprachmeister nach Martin Luther / Straße

und verständlichen Stil gewählt, der sich der Alltagssprache annähert, er hat auch in theoretischen Schriften andere dazu ermuntert. Entschieden wandte sich der Zittauer damit gegen den Schwulst des Spätbarocks, der sich in unmittelbarer räumlicher Nähe entfaltete. Der Oberlausitzer Rittergutsbesitzer Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen sowie der Schlesier David Casper von Lohenstein haben zur gleichen Zeit (1689/90) ihre schwülstigen und dickleibigen Hauptwerke vorgelegt, die bis heute als Höhepunkte des künstlichen und gespreizten Stils jener Zeit gelten.

Politik, Moral, Zeichnen, Musik und Tanz. In seinen Schuldramen konnten sich die Schüler im öffentlichen Auftreten erproben. Die Stücke mieden das sprachliche Beiwerk, den Pomp und jegliche Künstlichkeit, erst recht gestelzte Verdeutschungsversuche. Die Sprache der lebensnahen Figuren war auf deren soziale Schicht zugeschnitten; dabei spielten Kraftwörter, DerbObszönes und Mundarten eine zentrale Rolle. Weise wählte das sprachliche „Mittelmaaß“, den „populären Stylus“, ohne trivial zu sein. Als erfolgreicher Dichter und Schulmann wies Christian Weise den Weg ins Zeitalter der Aufklärung. Nicht nur die Mitglieder der Sprachgesellschaften mit ihren Grammatiken, Wörterbüchern und Poetiken ebneten im 17. Jahrhundert jenen Weg, der im darauffolgenden Jahrhundert den Siegeszug des Deutschen als Wissenschafts-, Literatur- und Unterrichtssprache sowie die weitestgehende Vereinheitlichung der Schriftsprache ermöglichte. Auch den Kritikern der Fruchtbringer verdanken wir wichtige Forderungen und Denkansätze auf dem Weg zu diesem Höhenflug unserer Muttersprache. Möge deshalb die „Straße der deutschen Sprache“ nicht nur durch Köthen und Weimar führen, sondern auch durch Städte wie Zittau.

Weises Parodie auf die Sprachgesellschaften: die „zweyfache Poetenzunfft“

Weise hat sich aber auch für den zunehmenden Einfluß des muttersprachlichen Unterrichts an den Gymnasien stark gemacht, ohne die Bedeutung des Lateinischen für die Wissenschaft und des Hebräischen für die Religion untergraben zu wollen. Er wollte seine Zöglinge nicht zu Gelehrten im Elfenbeinturm machen, sondern zu geschickten Rednern und kenntnisreichen Pragmatikern ausbilden. Dazu bot er eine für damalige Verhältnisse ganzheitliche Bildung an, denn Weise unterrichtete nicht nur in den Sieben Freien Künsten, sondern in freiwilligen „Privatlectionen“ auch Geschichte und der deutschen Sprache: Gräfenhainichen / Andreas Raffeiner: Südtirol spricht immer noch Deutsch (2) / Johannes Heinrichs: Das wichtigste nationale Kulturprojekt: die Sprache (Sprachpolitische Thesen, Teil1) / Ursula Bomba: Hildebrandts zweiter Glossen-Band „Mal ganz ehrlich“ / Robert Mokry: Der Löwenzahn und sein Traum (Ausgewählter Beitrag aus dem Schülerwettbewerb „Schöne deutsche Sprache“ 2010) / Sprachsünder-Ecke: ZDF / Lienhard Hinz: Schlagabtausch zwischen GfdS und VDS in Berlin / Gespräch mit Werner Kieser: „Die Sprache eines Unternehmens ist ein Qualitätsmerkmal“ / Lienhard Hinz: Bericht aus Berlin / Günter Körner: Flüssig oder fließend? – Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher Sicht (5) / Wolfgang Hildebrandt: Staatssprache Deutsch: Wohin geht die Reise? (Anglizismenmuffel)

41 Herbst 2010

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Operation Rechtschreibung: streng geheim! Im Jahr 2011 wird die Reform wieder einmal reformiert / Leserdiskussion: E-Mail oder E-Post? / Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes: Deshalb sollte Deutsch ins Grundgesetz / Straße der deutschen Sprache: Bad Lauchstädt / Andreas Raffeiner: Südtirol spricht immer noch Deutsch (1) / Hans Joachim Meyer: Kleid oder Haut? Was ist uns unsere deutsche Sprache? (Rede zur deutschen Sprache) / Walter Krämer: „Die englische Verdrengung“ / Ernst Jordan: Time to make Tennis / Thomas Paulwitz: Wie schreibt man eine Anti-Sprachschutz-Glosse? / Goethes später Gegenspieler / Jürgen Langhans: Ein Hilfsprogramm wandelt Neuschrieb in herkömmliche Rechtschreibung um / Sprachsünder-Ecke: REWE-Baumarkt „toom“ / Lienhard Hinz: Köthener Sprachtag über zweisprachige Erziehung / Andreas

* Anmerkung der Schriftleitung: Zu Wörtern wie „Liebinne“ (Venus) schreibt der Sprachwissenschaftler Peter von Polenz in seinem Standardwerk „Deutsche Sprachgeschichte“: „Die in Handbüchern oft zitierten Verdeutschungen antiker mythologischer Eigennamen sind keineswegs als Fremdwortpurismus, sondern als protestantisch-fromm verharmlosende ‚Erklärungen‘ heidnischer Figuren zu verstehen.“ Zu Wörtern wie „Tageleuchter“ (Fenster) oder „Zeugemutter“ (Natur) meint Polenz: „Auch manche sehr einseitig motivierte Wortbildungen sind eher als Gelegenheitsversuche in bestimmten, poetisch-metaphorischen Kontexten, nicht als Normsetzungen zu verstehen“. Raffeiner: Bericht aus Bozen / Lienhard Hinz: Bericht aus Berlin / Sprachschützer trifft Kulturredakteur / Günter Körner: Was bedeutet Wertigkeit? – Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher Sicht (4) / Dagmar Schmauks: Noch mehr Quantensprünge / Klemens Weilandt: Binde-Strichitis / Wolfgang Hildebrandt: Deutschland schafft seine Sprache ab (Anglizismenmuffel)

40 Sommer 2010

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Zehn Jahre Spracharbeit – Die DEUTSCHE SPRACHWELT hat Geburtstag / Kräfte bündeln für die Muttersprache / Grußworte und Geburtstagswünsche der Sprachvereine / Straße der deutschen Sprache: Schleiz / Lienhard Hinz im Gespräch mit Winder McConnell: Deutsch als Fremdsprache in den Vereinigten Staaten / Artur Stopyra: Deutschschüler aus Warschau reisen und werben für die deutsche Sprache / Lienhard Hinz: Die Deutsche Welle veröffentlicht Stellungnahmen zur deutschen Sprache / Richard Albrecht: Sprachbetrachtungen im Lichte der Gedanken Ernst Blochs / Steinfelds Standpauke in der „Süddeutschen“ bringt den Sprachschützern Zulauf / Sprachsünder-Ecke: Schweizerische Bundeskanzlei als Sprachpolizei / Diethold Tietz: 100. Geburtstag Konrad Zuses / Rolf Zick: Sprachschützer trifft Kulturredakteur / Günter Körner: Vom Quantensprung zum Tantensprung – Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher Sicht (3) / Eine BILD-Ausgabe ohne Englisch / Wolfgang Hildebrandt: Udo Lindenberg erhält den Kulturpreis Deutsche Sprache / Wolfgang Hildebrandt: Zum Geburtstag kein Congratulation (Anglizismenmuffel) Lieferbar sind auch noch alle früheren Ausgaben. Die Inhaltsverzeichnisse sämtlicher Ausgaben finden Sie unter www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/papier/index.shtml

Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

Schrift

Seite 7

Besprechungen

Seite 8

Sprachpfuscher beim Wort genommen

Von Thomas Paulwitz

A

ller guten Dinge sind drei. Seit 2005 bringt der ehemalige Schul- und Schulaufsichtsleiter Klemens Weilandt alle drei Jahre ein sprachkritisches Werk heraus. Nun liegt also bereits das dritte Buch des Sprachwelt-Mitarbeiters vor. Am 31. Mai stellte die Bundestagsabgeordnete Maria Flachsbarth in Hannover das neue Werk vor. Es trägt den Titel „Nachgelesen – Sprachpfusch(er) beim Wort genommen“. Weilandt schreibt nicht nur Glossen, er ist auch seit Jahren unermüdlich unterwegs, hält Lesungen, Vorträge und Lehrerfortbildungen. Was treibt diesen Mann an? Der Verfasser selbst nennt als Beweggrund „die seit vielen Jahren hörbaren, aber von vielen aus unterschiedlichen Gründen verdrängten, geradezu auch herablassend kaum noch zur Kenntnis genommenen Klagen über die unzulängliche Qualität der Lehrstellenbewerber auf sprachlichem Gebiet“. Damit bezieht sich Weilandt vor allen Dingen auf eine Langzeituntersuchung der BASF. Das Unternehmen ermittelt seit 1975 die Rechtschreibkenntnisse bei Lehrstellenbewerbern. Von Jahr zu Jahr verschlechterten sich die Ergebnisse. Lag 1975 der durchschnittliche Anteil richtiger Lösungen bei den Hauptschülern noch bei 51,0 Prozent, so sank er bis 2008 auf nur noch 37,6 Prozent. Im selben Zeitraum ging er bei den Realschülern von 75,2 auf 58,2 Prozent zurück.

Nicht nur die BASF stellte schwindende Rechtschreibkenntnisse fest. Zwischen 1972 und 2002 verdoppelte sich die Fehlerquote in freien Texten von Viertkläßlern von durchschnittlich 6,9 auf 12,9 Fehler je 100 Wörter. Wissenschaftler der Universität Siegen haben das im Jahr 2004 herausgefunden. Die Rechtschreibreform hat diese Entwicklung nicht aufgehalten, sondern statt dessen noch beschleunigt. Schuld daran ist sicher auch die in den Grundschulen herrschende Mode, die Schüler nicht auf Rechtschreibfehler hinzuweisen, um nicht etwa die Motivation zu gefährden – eine Irrlehre mit katastrophalen Folgen für den sicheren Umgang der Kinder mit der Muttersprache. Das alles steht in einem argen Mißverhältnis zu den Erwartungen, die Bürger an die Schulen stellen: Laut dem Institut für Demoskopie in Allensbach (IfD) ist die „gute Beherrschung von Rechtschreibung und Grammatik“ die am häufigsten genannte Forderung (IfD-Umfrage 10069, März 2011). 86 Prozent der im Jahr 2011 befragten Deutschen kreuzten diese Antwort an. Nur 37 Prozent der befragten Eltern sind der Ansicht, daß sich die Schule besonders um sprachliche Gewandtheit bei den Schülern bemüht. Für die vielen Bürger, denen die deutsche Sprache am Herzen liegt, ist Weilandts Buch gemacht. Wer belehrt, muß mit Widerspruch rechnen. Dem Vorwurf aus der Sprachwissenschaft,

allzu „oberlehrerhaft“ zu sein, entgegnet er mit einem Angriff auf eine fremdwortbesessene „Spezies“, die er besonders auf dem Kieker hat. Denn diese „meint, mit eindruckmachendem, letzten Endes aber einschüchterndem Vokabular zunächst annähernd 90 Prozent des Publikums von der Teilnahme am Diskurs überhaupt auszuschließen und den Rest mit linguistischem Wortgeklingel mehr oder weniger mundtot machen zu dürfen.“ Von dieser herzerfrischenden Angriffslustigkeit ist das ganze Buch geprägt. Es ist unterteilt in über sechzig sprachkritische Beobachtungen und Glossen, die der Verfasser jeweils mit einem Sprichwort einleitet, etwa: „An der Red’ erkennt man den Toren wie den Esel an den Ohren.“ Möge das Buch dazu beitragen, die Zahl der sprachlichen Eseleien in Zeitungen, Fernsehsendungen und Politikerreden zu verringern. Klemens Weilandt, Nachgelesen – Sprachpfusch(er) beim Wort genommen, Leuenhagen & Paris, Hannover 2011, gebunden, 264 Seiten, 14,80 Euro. Besprochen in DSW 35 (1/2009): Klemens Weilandt, Blütenlese. Die deutsche Sprache – (k)ein Grund zur Heiterkeit, Leuenhagen & Paris, Hannover 2008, gebunden, 400 Seiten, 19,90 Euro. Besprochen in DSW 26 (4/2006): Klemens Weilandt, Deutsch – oder so. Die Schule im Räderwerk der Sprachverderber, Leuenhagen & Paris, Hannover 2005, 242 Seiten, Taschenbuch, 12,90 Euro.

www.leuenhagen-paris.de

Sanftes Monster Brüssel Von Rominte van Thiel

W

as hat das „sanfte Monster Brüssel“, das Hans Magnus Enzensberger in seinem Buch beschreibt, mit der Sprache zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, auf den zweiten aber doch. Mit der Beschreibung von Erleichterungen wie andererseits auch ungelösten Problemen der europäischen Einigung leitet Enzensberger sein Buch ein. Schon im zweiten Kapitel „Sprachregelungen“ kommt er auf die „Propaganda“ der Europäischen Union (EU) zu sprechen, die diese selbst allerdings lieber „verbesserte Kommunikation“ nennt. Neben dem Sender „Euronews“ und einem Radionetzwerk „Euranet“ gibt es noch den Fernsehkanal „Europarltv“ des Europaparlaments, dessen Sendungen Enzensberger an Hofberichterstattung erinnern. Die angeblich so große Zustimmung zu Europa ermittle die Kommission zweimal jährlich mit einer Umfrage namens Euro-Barometer. Demnach stimmen 92 Prozent einer Modernisierung des Arbeitsmarktes und der Unterstützung Armer zu, 90 Prozent wollen eine „Wirtschaft, die weniger Rohstoffe verbraucht“. Mit beißendem Spott kommentiert der Autor, daß ein noch traumhafteres Ergebnis hätte erzielt werden können, hätte man die Leute gefragt, „ob sie für Krieg oder Frieden, für Siechtum oder gute Gesundheit“ seien. Im Gegensatz dazu besagen andere demoskopische Ergebnisse, daß weniger als die Hälfte der Europäer die Mitgliedschaft ihres Landes positiv sieht und den EU-Institutionen vertraut. Einen Grund dafür sieht Enzensberger nicht zuletzt im Sprachgebrauch.

So sei schon der Lissabon-Vertrag als Verfassungsersatz eine fast unzumutbare Lektüre, ein 200 Seiten starker „Drahtverhau“ – der gescheiterte Verfassungsvertrag umfaßte sogar 419 Seiten. Verlautbarungen der Kommission muten Enzensberger wie Drohungen aus vergangenen Diktaturen an, selbst wenn sie sich auf eher banale Reglementierungen beziehen. Daß die Kommission immer mehr Kompetenzen an sich ziehe, sei logisch, denn so sichere sie sich mehr Geld (und Planstellen). In mehreren Kapiteln untersucht der Autor den Aufbau und die Vorgeschichte der EU. Seine Beschreibung nährt den Verdacht, daß man den Bürger nur allzu gern im unklaren läßt, wer nun welche Befugnisse hat. Beispiele gefällig? Nicht nur, daß kaum jemand alle Präsidenten, Vizepräsidenten, Kommissare und Ausschußvorsitzenden kennt und womöglich den Präsidenten des Europäischen Rats mit dem Präsidenten des Rats der Europäischen Union verwechselt, so ist doch auch anzunehmen, daß FAC, JHA, COMP, ENVI, EXC, TTE und CAP den Leuten unbekannt sind. Der Kommission unterstellte Generaldirektionen schmücken sich mit genauso unverständlichen Abkürzungen wie ENTR, TAXUD, BUDG, DGT – das ist nur eine Auswahl. Verwirrend sind auch die europäischen Gerichte mit ihren Instanzen. So gehört der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht zur EU. Auch um die Aushebelung des Artikels 125 der Verfassung, die besagt, daß ein Mitgliedsstaat nicht für andere haftet, zu kaschieren, greift man wieder zu Abkürzungen: Unter dem

Dach von ECOFIN wurden EFSM und EFSF eingerichtet … Man schätzt, daß 80 Prozent aller Gesetze inzwischen von Brüsseler Behörden beschlossen werden, die sie allerdings „Direktiven, Richtlinien, Vorschriften“ nennen. Neben der Nichtbeachtung des Subsidiaritätsprinzips stören den Autor die Bezeichnungen, mit denen die Gesinnung von EU-Kritikern beurteilt wird. Diese sollen „Antieuropäer“ sein oder nicht „im europäischen Geist“ handeln. Als „sanftes Monster“ bezeichnet er Brüssel, da es zwar keine Diktatur, aber ein postdemokratisches Gebilde ganz neuer Art ist, das vorgeblich nur unser Bestes will. Kein Wunder, daß er sich kein größeres Kulturbudget der Kommission wünscht. Es umfaßt 54 Millionen Euro (nur ungefähr ein Drittel des Kulturetats von München), was je Unionsbürger 11 Cent pro Jahr ausmacht. Da die EU ihre Bürger in fast allen Bereichen gängeln möchte, hätten uns „Direktiven darüber, wie in Europa gemalt, getanzt und geschrieben werden darf, gerade noch gefehlt.“ Vielleicht hat er dabei auch an die Rechtschreibreform gedacht, die allerdings nicht von Brüssel erdacht wurde, sondern ein deutsches Kultusbürokraten-„Monster“ ist. Enzensberger war und ist offenbar auch noch ihr Gegner, denn das Buch ist in traditioneller Schreibung verfaßt, überdies in brillanter Sprache. Hans Magnus Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2011, 73 Seiten, 7 Euro.

Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

Der Weg zur eigenen Sprache Von Lienhard Hinz

D

ie Sprache spielt in seiner schulischen und beruflichen Entwicklung bis zu seinem musikalischen Ruhm eine entscheidende Rolle. „Nicht nur die Musik des Grafen lebt von großen Emotionen, auch auf der Bühne zeigt er sehr viel Mut zum Gefühl und spart nicht mit großen Gesten. Er ist ein wahrer Zeremonienmeister. Er dirigiert seine Band und sein Publikum gleichermaßen mit seinen tanzenden Händen“ (Seite 121). Corinna Siebert hat über ihre Begeisterung für den Sänger Graf ein Buch geschrieben. Die Biographie ist ohne Mitwirkung seiner Gruppe „Unheilig“ entstanden. Die unbefangenen Äußerungen des Grafen in vielen Medien bilden die Quellen der lebendigen Darstellung. Die sprachbegleitende Gestik könnte ursprünglich eine Hilfestellung gegen das Stottern in der Schulzeit gewesen sein. Lehrer empfahlen aus diesem Grunde eine mehr handwerkliche Berufswahl. Beeinflußt von Filmmusiken widmete er sich eigenen Kompositionen. „Mit der Musik hat der Graf eine Sprache gelernt, die auch ohne Worte auskommt, und das ließ ihn mit der Zeit selbstbewußter werden“ (Seite 96). Während der Ausbildung zum Hörgeräteakustiker riet ihm ein Freund, auch seinen Gesang aufzunehmen. 2001 veröffentlichte seine ein Jahr zuvor gegründete Gruppe, deren Namen „Unheilig“ die Autorin als Kritik eines religiösen Menschen an der heutigen Kirche deutet, ihr Debütalbum „Phosphor“. „Wenn man die … englischen Titel des Albums hört, … kann man den Grafen im nachhinein nur zur der Entscheidung beglückwünschen, seine Nachfolgealben ausschließlich auf deutsch zu schreiben“ (Seite 138).

Es sei wesentlich leichter, seine Träume und Gedanken in der Muttersprache auszudrücken, bekennt der Graf. „Übersetzungen ins Englische können nie diese Gefühle beschreiben. Aber ich sehe hier auch international keine Probleme. In Rußland zum Beispiel singt das Publikum die Texte sogar auf deutsch mit“ (Seite 56). Sein Vorbild ist Herbert Grönemeyer, der im Ruhrgebiet so verwurzelt ist, wie er selbst in Aachen. „Aachen ist die schönste Stadt der Welt … An jeder Ecke erkenne ich mein komplettes Leben wieder“ (Seite 114). Mit seinem siebenten Album „Große Freiheit“ gelang dem Grafen im vorigen Jahr der größte Erfolg. Mit der dazugehörigen Konzertreise wurde er in allen Medien bekannt. Lieder wie „Geboren um zu leben“, „Große Freiheit“ und „Unter deiner Flagge“ entführen uns aus dem Trott der englischen Gesänge „in die traumhafte Welt des unheiligen Grafen“ (Seite 91). Siebert beteiligt sich „weder an den Spekulationen über den bürgerlichen Namen des Grafen noch an Überlegungen zu seinem Familienstand, seinen Beziehungen, seiner Schuhgröße oder seinem Sternzeichen noch zu sonstigen Details aus seinem Privatleben“ (Seite 7). Ausführlich beschreibt die Autorin jedoch die zum Teil verfilmten Lieder der Alben des Grafen und seinen Weg zur eigenen Sprache. Ihre Sprache allerdings ist dabei wie die des Musikmarktes von Anglizismen durchzogen. Corinna Siebert: Unheilig. Der Graf – Geboren um zu singen. Die inoffizielle Biografie. Heel Verlag Königswinter 2011, 176 Seiten, 12,95 Euro.

„Unsere Sprache“ – Band 4 liegt vor Von Lienhard Hinz

D

ie Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen/Anhalt hat nun den neuesten Band ihrer Schriftenreihe „Unsere Sprache“ vorgelegt, der zahlreiche wertvolle Beiträge zu Sprachpolitik, Sprachpflege und Sprachgeschichte enthält. In seiner hoffnungsvollen Rede zur deutschen Sprache aus dem Jahr 2010 berichtigt Hans Joachim Meyer Irrtümer hinsichtlich der Lingua franca, der akademischen Gradbezeichnungen Bachelor und Master, der deutschen Wissenschaftssprache und der „autonomen“ Sprachentwicklung. Der Professor für angewandte Sprachwissenschaften sieht in der Wortwahl und der Kraft der Wortbildung die Quellen einer lebendigen Sprache.

Dieser Rede folgen Vorträge des 4. Köthener Sprachtages im selbigen Jahr zum Thema der frühkindlichen Entwicklung der Sprachkraft. Jurij Brankacˇk, Hermann H. Dieter, Michèle Dieter und Margund Hinz beleuchten die Sprach- und Sprech-

fähigkeit der Kinder in den ersten Lebensjahren aus der Sicht des Neurowissenschafters, der Eltern und der Sprachförderlehrerin. Die alten Fruchtbringer aus dem 17. Jahrhundert zählten ihre Mitglieder im Gesellschaftsbuch, dem Köthener Erzschrein, nach Nummern. Getreu dieser Zählung ist der vierte Band der Mitgliedsnummer 4 gewidmet. Herzog Friedrich von Sachsen-Weimar (1596 bis 1622) hatte als Gründungsmitglied von seinem Onkel Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen, dem ersten Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, den Gesellschaftsnamen „der Hoffende“ und als Wahlspruch „Es soll noch werden“ erhalten. Unsere Sprache – Beiträge zur Geschichte und Gegenwart der deutschen Sprache. Schriftenreihe der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt, Band 4: Verstand zeigt sich im klaren Wort, Köthen 2011, 60 Seiten, 6 Euro.

Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

Literatur

Seite 9

„Verstehensgarantie“ als „echtes Highlight“ Die Sprachkultur der ERGO-Versicherung läßt zu wünschen übrig

Von Wieland Kurzka

W

sicher nur die Eingeweihten – erhält jeder Neukunde als „Quick Win“ ein Servicepaket.

ir haben verstanden: Kommunikation muß klar und verständlich sein. Wir wollen die erste Versicherung sein, die Versicherungschinesisch komplett abschafft.“ (ERGO)

Aber das ist beileibe nicht alles. Die Kunden sollen „intuitive Produkte“ erhalten, also Produkte, „bei denen die Leistung klar ist und sich nicht im

Seit ein paar Monaten schaltet die ERGO-Versicherung großformatige Anzeigen, in denen sie ihre Versicherungsprodukte als vorbildlich verständlich anpreist: „Klartext statt Klauseln“. Ganz abgesehen davon, daß der Verzicht auf Klauseln ein gewagtes Versprechen ist – intern geht die Gesellschaft jedenfalls ganz neue Wege des Klartextes. Das ERGOMitarbeitermagazin bietet Formen der Sprachgestaltung, die zweifellos eine höhere Form von Klarheit darstellen sollen. Nachdem die beiden Versicherungsgesellschaften Victoria und Hamburg-Mannheimer in der Marke ERGO untergegangen sind, scheint es die Konzernführung – genauer gesagt deren „Change-Mangement“ – für angebracht zu halten, einen „ERGO-Spirit mit Signalwirkung“ zu erschaffen. „Spirit“! Spirit ist mehr als Geist, er ist der Inbegriff – Miesmacher würden sagen das Ameisenprogramm – der Geschäftspolitik. Es handelt sich also, recht besehen, um das Gegenteil von Geist. Dieser „übergeordnete Spirit“, der Überbau, wenn man so will, darf im „Rollout“ eines neuen Leitbildes keinesfalls verlorengehen. Dabei geht es um den Kunden und um die Verständlichkeit der Kommunikation. In

Von Rolf Stolz

Bei so viel Revolutionärem wird den Mitarbeitern auch ein exzellenter „Support“ und „Diversity-gleichberechtigte Förderung“ versprochen. Da wird dann das „Feedback“ nicht ausbleiben. Dr. Bettina Anders: „Feedback geben ist gut, Feedback nehmen ist besser, Feedback begreifen ist Erfolg!“ Diesen dialektischen Dreischritt hätte auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel nicht besser formulieren können.

diesem Zusammenhang bietet ERGO dem Kunden sogar eine „Verstehensgarantie (als) ein echtes Highlight“ Das einklagbare Verstehen? Ob diese Garantie auch intern gilt? Aber die Mitarbeiter wissen sicher schon, was es heißt, daß ERGO „in Lebensverläufen denkt“. Lebensverläufe – man kann es sich auf der Zunge zergehen lassen! Nicht Lebensläufe, nein Lebensverläufe! Und weil der Konzern in Lebensverläufen denkt – die Ursächlichkeit verstehen

Kleingedruckten versteckt“. „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen!“ Ja sogar – man glaubt es kaum – ein „Non-Profit-Produkt“ ist geplant. Das Menschenfreundliche hat in diesem Konzern durchaus seinen Platz, und wenn es nur um die Ferienbetreuung für die Kinder der Mitarbeiter auf dem „Kidz Playground“ geht. Und auch im Globalen ist durch den vom Aufsichtsratsvorsitzenden angesprochenen „Relaunch der Corporate Responsibilitiy“ für Wohltätiges gesorgt. Ein bißchen schaut man allerdings schon auf den Profit, und das heißt in dem Fall auf eine „nachhaltig angemessene Performance“ möglichst ohne „financial distress“.

Auch in der Budapester Gellért-Therme setzte die ERGO-Versicherungsgruppe auf größtmögliche Verständlichkeit und versah zu diesem Zwecke die rund zwanzig anwesenden Gespielinnen mit verschiedenfarbigen Bändchen, um den etwa einhundert ERGO-Mitarbeitern bei der Orientierung über das Angebot zu helfen. Bild: Denis Barthel

Eine innere Angelegenheit der ERGO? Selbstverständlich! Aber vielleicht auch ein nützlicher Hinweis darauf, wie sehr wir im Versicherungswesen in unserem ferneren Leben (oder Lebensverlauf?), auf Verständlichkeit (oder Verstehensgarantien? oder am Ende gar auf Klartext?) angewiesen sein werden. Schließlich wollen wir ja versichert und nicht verunsichert werden!

Franz Kafka, ein tschechischer Klassiker?

S

prechen wir hier von einem in Deutschland unbekannten, weil unübersetzten tschechischen Namensvetter und Doppelgänger jenes Dichters, der vom „Schloß“ bis zum „Prozeß“, von der „Strafkolonie“ bis zur „Verwandlung“ unvergleichliche und unsterbliche Wortkunstwerke geschaffen hat? Nein, mitnichten – Franz Kafka ist nun einmal einmalig.

Einmalig ist aber auch die Geistesund Gemütsverwirrung, die in Kopf und Bauch mancher Zeitgenossen/ -innen herrscht. Der Bauch ist hierbei zumindest mitbeteiligt, mit einem guten Schuß unbewußter gefühlsgeladener Peristaltik, mit hysterischem Bauchgrimmen und Flatulenzen. Denn die Kopfgeburten, die hier in die Welt gesetzt werden, sind mit Kategorien des rationalen kritischen Denkens nicht mehr zu fassen.

Wir, die wir Franz Kafka als jüdischen Deutschen aus Prag kannten, als Symbolfigur für das reiche Geistesleben einer Stadt, die bis 1938 zweisprachig und kosmopolitisch war und erst 1945 mit der mörderischen Vertreibung der Deutschen durch tschechische Chauvinisten monokulturell verarmte (der bürgerliche Schreibtischmörder Benesch Hand in Hand mit den pseudokommunistischen Handlangern Stalins) – wir werden nun belehrt, Kafka sei Tscheche gewesen.

Seite wird von einer sehr belesenen Enthusiastin gestaltet und bietet auf dem Feld des Aphoristischen immer wieder lohnende (Wieder-)Entdeckungen.

Sie glauben nicht, daß jemand solchen Unsinn denkt und schreibt? Ich hatte das auch nicht für möglich gehalten, mußte mich aber eines Schlechteren belehren lassen, als ich im vergangenen Jahr im Netz auf der Seite www.zitante.de unter dem Zitat des Tages las: „Franz Kafka, österreichischer Romanautor tschechischer Herkunft“. Diese

Um so repräsentativer aber auch für die Geistesverwirrung in Deutschland und für das geistige Elend als Frucht der politisch-kulturellen deutschen Misere, wenn in der Antwort auf meinen Protestbrief unter Berufung auf Wikipedia (für manche eine Art Bibel 2.0!) angeführt wird, Kafka habe sich nie zu seiner „Nationalität“ geäußert

Um so fataler, wenn eine solche gebildete Frau nicht einmal das ABC der Entstehung und Entwicklung von Kunst und Kultur und der europäischen Geschichte beherrscht und sie womöglich aus Joseph Conrad einen polnischen und aus Heinrich Heine einen französischen Dichter machen würde.

– als ob es hier nicht um ein weltliterarisches Werk, um ein essentielles Element der deutschen Sprache, Literatur und Kultur ginge, sondern um Franz K.’s privateste Paßprobleme und Identitätsunpäßlichkeiten! Des weiteren wurde eine Fortsetzung der Diskussion damit abgelehnt, daß nun auf der Zitante-Seite Kafka als „deutschsprachiger, jüdischer Romanautor“ aufgeführt werde. Taucht Orhan Pamuk dort in Zukunft als „türkischsprachiger, muslimischer Romanautor“, Aziz Nesin als „türkischsprachiger, atheistischer Prosaautor“ auf? Werde ich auf der Zitante-Seite, wo sich Aphorismen von mir finden, als „deutschsprachiger, evangelisch getaufter Autor“ geführt? Nein, ich bin dort einfach ein „deutscher Autor“. Spürt „Zitante“ nicht den Nachhall der antisemitischen Brandmarkung

in der Schubladenbezeichnung für Kafka – mit einer typischen Grauzone zwischen religiöser, ethnischer und „rassischer“ Volkslisten-Zuweisung? Ich verwette mein letztes Hemd: Kafka, wenn er denn könnte, würde aus dem Grab steigen, einen Band II des „Prozesses“ niederschreiben und denen den Prozeß machen, die ihn hundert Jahre später neu erfinden wollen – hineingezwängt in das Prokrustesbett politischer Korrektheit und deutscher Selbstverneinung. Der Schriftsteller und Diplom-Psychologe Rolf Stolz ist Mitbegründer der „Grünen“ und war Mitglied des Bundesvorstands dieser Partei. Er leitet im „Verein Deutsche Sprache“ die Arbeitsgruppe „Bündnis 90/Die Grünen für klares Deutsch“. www.rolf-stolz.de, www.rolfstolz.de

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Werkstatt

Seite 10

Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

Die Abschaffung der Schreibschrift droht Deutsche Wortwelt Gründe gegen die Bestrebungen, daß Grundschüler nur noch Druckschrift lernen

Von Margund Hinz

N

och lernen Kinder an deutschen Grundschulen Schreibschrift: entweder die Lateinische Ausgangsschrift von 1953, die von Renate Tost 1968 in der DDR entwickelte Schulausgangsschrift oder die 1970 von Heinrich Grünewald vorgeschlagene Vereinfachte Ausgangsschrift (vgl. „Eine Irrlehre, die alle mitmachen“ von Karin Pfeiffer-Stolz in DSW 38). Der Grundschulverband empfiehlt jedoch seit kurzem die völlige Abschaffung der Schreibschrift als zweite normierte Schrift. Sie sei nämlich keine Voraussetzung für das Erlernen einer flüssigen, zusammenhängenden Handschrift. An einhundert Schulen läßt der Verband bundesweit eine eigens erfundene „Grundschrift“ erproben. Bei dieser Druckschrift ist jeder kleine Buchstabe so gestaltet, daß er am Anfang und am Ende eine kleine Anschlußstelle hat, an die der nächste Buchstabe gereiht werden kann. Die Kinder können die Buchstaben aneinanderreihen, müssen es aber nicht. Neben diesem Einräumen von Eigenheiten in der Ausformung der Schrift sollen die Lernanfänger das Schreiben schnell und selbstgeleitet mittels einer Kartei lernen. Kann diese neue Druckschriftvariante und die damit verbundene ver-

Sprachsünder

Ecke

kürzte Herangehensweise an das Schreiben den schulischen Zielsetzungen zur Förderung der Handschreibentwicklung gerecht werden? Schon 2006 hat Günther Schorch in seinem Beitrag über die „Entwicklung des Handschreibens“ die „solide Grundlegung der Schreibfähigkeit und -fertigkeit sowie entsprechende schulische Instruktion und Übung“ hervorgehoben. Schorch verficht die bis heute gültigen Lehrplananforderungen: „eine gut lesbare (und daher an der Norm orientierte), eine in Form, Bewegung und Raumverteilung ausgewogene und gewandte, eine entwicklungs- und ausbaufähige, eine den verschiedenen Funktionen des Schreibens angepaßte und für Möglichkeiten persönlichen und individuellen Ausdrucks offene Handschrift“. Die Entwicklung der schreibmotorischen Fähigkeiten zur Steuerung der Bewegungen, die in der Regel mit dem Eintritt in die Schule beginnt, dauert ungefähr bis zum 15. Lebensjahr (Thomassen/Teulings 1983). Kaum vor dem 18. Lebensjahr ist die Entwicklung der persönlichen Handschrift abgeschlossen. Bezogen auf die Persönlichkeitsentwicklung ist sie als „lebenslanger Prozeß mit Fort- und Rückschritten anzusehen“ (Schorch 2006).

sorisch, nicht aber motorisch vertraut sind“. Ute Andresen, Grundschullehrerin und Autorin, bestätigt aus ihrer langjährigen praktischen Erfahrung, daß Kinder, die die Druckschrift sicher schreiben können, eine daran anknüpfende Schreibschrift leicht und rasch lernen.

Margund Hinz stellt in ihrem Buch „Die Geschichte des Sprachheilwesens in Ostpreußen“ auch die hier abgebildete Lesemaschine des ostpreußischen Lehrers Paul Rogge vor. Dieser lehrte die Kinder zur gleichen Zeit Druck- und Schreibschrift (Frieling-Verlag, Berlin 2004, Taschenbuch, 160 Seiten, 8,80 Euro).

Bereits 1967 weist Friedrich Kainz im vierten Band seiner „Psychologie der Sprache“ darauf hin, daß „das Umsetzen einer Druckvorlage in Schreibschrift leichter auszuführen (ist) als das ungeübte Nachmalen von Druckbuchstaben, die uns zwar sen-

An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind, und rufen unsere Leser zum Protest auf

„For You. Vor Ort“ Schlecker geht uns auf den Wecker

I

ch dachte, so etwas wäre heute nicht mehr möglich“, stöhnt ein Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Fassungslos berichtet er von dem neuen Werbespruch der Drogeriekette „Schlecker“, den er eben entdeckt hat: „For You. Vor Ort“ – schmutzigstes 90er-Jahre-Denglisch, versalzen mit Bergarbeiterdeutsch; ein Schlag ins Genick für alle sprachempfindlichen Mitbürger. Für die FacebookLeser der DSW ist Schlecker damit der „Sprachpanscher des Jahres“, wie eine Umfrage ergab. Das Schlimme ist, daß dieser Spruch seit Mai dem Volk massiv um die Ohren geschlagen wird. Die Drogeriekette Schlecker hat nämlich ihre Werbestrategie geändert – weg von den Druck-Erzeugnissen, hin zur Fernsehwerbung. Volker Schurr, der neue Vermarktungsleiter von Schlecker, droht: „Unsere Kampagne wird an Sichtbarkeit, Dauerpräsenz und Durchdringung den anderen großen Handelskampagnen ganz sicher in nichts nachstehen und gerade in unserem Fokusbereich der Drogerie einzigartig sein.“ Dabei hätte Schlecker allen Grund, seinen Ruf aufzupolieren. Über das Unternehmen erscheint eine Negativschlagzeile nach der anderen. Es ist die Rede von lieblos-schmuddelig eingerichteten Märkten und von schlechten Arbeitsbedingungen für Angestellte. Über mißliebige Mitarbeiter soll Schlecker sogar Abschußlisten angelegt haben. Die neue Werbestrategie erweist sich als von oben aufgesetzt. Sie

scheint nicht von einem Wandel innerhalb des Unternehmens geprägt zu sein. Wäre sonst Schlecker auf den aberwitzigen Gedanken verfallen, mit Hilfe eines deutsch-englischen Sprachmischmaschs die Nähe zum Kunden zu suchen? Schurr behauptet nämlich allen Ernstes: „Der Claim [der Leitspruch] soll mit einem Augenzwinkern vermitteln, was Schlecker ist: Der sympathische Nahversorger.“ Im Schatten des unsympathischen, aufdringlichen, anbiedernden Allerwelts-„for you“ steht der Modeausdruck „vor Ort“, über den sich schon viele Sprachpfleger erzürnt haben. Er kommt bekanntlich aus der Sprache der Bergleute und bezeichnet den Punkt, vor dem der vorderste Bergmann arbeitet. „Ort“ hat hier die alte Bedeutung von „Spitze“, hat also nichts mit „Ort“ im Sinne von „Stelle“ zu tun. Wer „vor Ort“ ist, der ist noch nicht am Ziel angekommen, er befindet sich gewissermaßen erst im Vorort. (pau) Was wäre nun an „Für dich in deiner Nähe“ so schlimm gewesen? Wäre etwa der offensichtliche Widerspruch von Schein und Sein zu groß gewesen? Fragen Sie Schlecker und lassen Sie uns bitte ein Doppel zukommen: Sprachsünder Anton Schlecker, Im Schleckerland, D-89574 Ehingen, Telefon: keine Angabe (es gibt nur eine teure 0180-Nummer), Telefax +49-(0)7391584-1855, [email protected]

Der Anfangsunterricht an den Waldorfschulen erkennt dem Schreiben eine größere Bedeutung zu als die allgemeine Schulpraxis. Darauf vorbereitend wird das Farbenmalen und -sehen, das Formenzeichnen, die Orientierung im Raum sowie die Sprachgestaltung übend gepflegt. Das Schreibenlernen erfolgt in Stufen vom ersten GroßbuchstabenMalen über das Setzen von großen und kleinen Druckbuchstaben bis zur flüssigen, gebundenen Schreibschrift. Jedem Kind wird von der ersten Stufe an Raum gegeben, „aus seinen Voraussetzungen heraus – guten wie geringen – das eigene Maß zu finden, Einseitigkeiten auszugleichen, Schwächen zu beheben“ (Dühnfort/Kranich 1996). Neben der Entwicklung der Schreibfertigkeit wird größter Wert auf die ästhetische Erziehung und die Willensschulung gelegt. Das Handschreiben ist an eine altersgemäße Entwicklung motorischer Fähigkeiten gebunden. In der Schule zeigen sich Schreibschwierigkeiten durch wechselnde Schriftlagen, Fehlformen bei den Groß- und Kleinbuchstaben, durch zu enge oder zu weit auseinandergezogene sowie falsche Buchstabenverbindungen. Viele Lernanfänger schreiben zu langsam und mit erhöhtem Schreibdruck, nehmen eine ungünstige Sitzhaltung ein und ermüden schnell. Der Entwicklung der handmotorischen Fähigkeiten sollte deshalb viel Raum gegeben werden. Von Bedeutung ist das harmonische Zusammenspiel von Daumen-, Finger- und Handtätigkeit. Ein mit Einführung der „Grundschrift“ reduzierter und beschleunigter Schreibunterricht kann fehlende Lernerfahrungen im Vorschulalter sowie Entwicklungsverzögerungen und -störungen in den Bereichen Wahrnehmung und Motorik nicht ausgleichen. Er wird auch Kindern mit frühen Schrifterfahrungen in einem anregenden Elternhaus nicht gerecht. Ihnen wird wertvolles Kulturgut vorenthalten. Die gebundene Handschrift (Schreibschrift) ist Bestandteil unserer Kultur und Geschichte. Sie darf nicht zum Sonderangebot des Faches Bildende Kunst werden. Die Pflege der

Das entbehrliche Fremdwort Shuttle Wer in einem „Shuttlebus“ sitzt, wird nicht aufgrund schlechter Federung durchgeschüttelt, sondern eher wegen des überflüssigen Fremdworts. Dieses Fahrzeug ist nichts anderes als ein Pendelbus oder Zubringer.

Das richtig geschriebene Wort Tod/tot „Tod“ und „tot“ werden häufig verwechselt. Das erste ist ein Haupt-, das zweite ein Eigenschaftswort. Wer zweifelt, der beuge. Eine „tode“ Sprache gibt es nicht, wohl aber eine tote. Übrigens heißt es „todmüde“ und nicht „totmüde“! Das treffende Wort Worte / Wörter Ein „Wort“ kann sowohl ein einzelnes Wort als auch ein Ausspruch sein. Der Bedeutungsunterschied äußert sich erst in der Mehrzahl: Wer nicht viele Worte verliert, hat meist noch genügend Wörter in seinem Sprachschatz, er benutzt die Wörter bloß nicht. Das richtig gebeugte Wort gewoben / gewebt Bei übertragener Bedeutung wird das Wort „weben“ meist unregelmäßig (wob, gewoben) gebeugt. Regelmäßig ist es meist (webte, gewebt), wenn es um Textilien geht. Es heißt also zum Beispiel: „Ein gewebter Teppich lag im sagenumwobenen Bernsteinzimmer.“ Welche weiteren Wörter sollten in dieser Wortwelt stehen? Schreiben Sie uns!

Schreibschrift muß eine Aufgabe unserer Schulen bleiben! Günther Schorch: Entwicklung des Handschreibens, in: Ursula Bredel und andere (Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache, Band 1, Paderborn 2006, Seite 286 bis 296. Erika Dühnfort, Ernst-Michael Kranich: Der Anfangsunterricht im Schreiben und Lesen in seiner Bedeutung für das Lernen und die Entwicklung des Kindes, Stuttgart 1996.

Wollen Sie dem Grundschulverband Ihre Meinung über die „Grundschrift“ mitteilen? Dann schreiben Sie an die Vorsitzende des Grundschulverbandes: Maresi Lassek, Erichstraße 3A, D-28816 Stuhr, [email protected]

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Anstöße

Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

„Heiße Liebe“ und ein „Zaster-Laster“ F Preise für gute deutsche Marken-

Von Lienhard Hinz

Von Rolf Zick

und Produktnamen

D

ie besten deutschsprachigen Marken- und Produktnamen“ – die Aktion Deutsche Sprache (ADS) rief gemeinsam mit der Kundenzeitschrift „Centaur“ der Drogeriekette Rossmann dazu auf, sie zu finden. Nach den „originellsten deutschen Firmennamen“ im Jahr 2007 und den „besten deutschsprachigen Werbesprüchen“ im Jahr 2009 war dies nun schon der dritte Fotowettbewerb. Diesmal ging es um die verständlichsten und originellsten deutschen Marken- und Produktnamen. Die Preisverleihung fand am 8. April in Hannover statt. Durch Produktfotos oder -abbildungen sollte gezeigt werden, daß es neben den immer mehr eindringenden englischen oder „denglischen“ Markennamen und Produktbezeichnungen auch noch genug Beispiele ideenreicher, klarer und verständlicher deutschsprachiger Werbung gibt. „Wer verkaufen will, sollte seine potentiellen Kunden nicht nur mit überzeugenden Werbebotschaften ansprechen, sondern auch dem Produkt selbst einen wirksamen Namen geben“, erklärte die Leiterin des Preisgerichts, Uta Seewald-Heeg, Vorsitzende der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft. Weitere Preisrichter waren Hermann Neemann (Vorsitzender der ADS), Diethold Tietz (Vorsitzender des Sprachrettungsklubs Bautzen/Oberlausitz), Thomas Paulwitz (DEUTSCHE SPRACHWELT) und Stephan-Thomas Klose (Rossmann). Aus allen Teilen Deutschlands waren Einsendungen eingegangen. In der Kategorie „Handwerk und Industrie“ erhielt Wolfgang Hildebrandt für sein Foto von „Kap Korn“, dem Vollkornbrot einer ostfriesischen Dampfbäckerei, den ersten Preis. Den zweiten Preis bekam Doris Hardegen für das Bild des Lieferwagens einer Wäscherei mit der Aufschrift „Knitterfrei“. Den dritten Preis ergatterte Andrea Kaland. Sie hatte „Heiße Liebe“ auf einer Teebeutelverpackung entdeckt. In der Kategorie „Dienstleistungen“ erhielt Udo Frank Kürschner den ersten Preis für „De Insel-Radgeber“, eine mundartliche Beschreibung für den Fahrradverleih auf einer Nordsee-Insel. Mit dem zweiten Preis wurde noch einmal Frau Hardegen geehrt. Sie hatte das Fir-

menschild „Putz-Munter“ photographiert. Und Erhard Bohr bekam den dritten Preis für das Aufspüren eines „Zaster-Lasters“, eines mobilen Geldautomaten der Volksbank. Seewald-Heeg sagte: „Die prämierten Einsendungen belegen: Die deutsche Sprache bietet ein enormes Wortbildungspotential, aus dem zur Bildung von Markennamen geschöpft werden kann. Und wer es vermag, mit ihr kreativ umzugehen, dem gelingt es, einprägsame und werbewirksame Marken- und Produktnamen zu erfinden, die den Verbrauchern im Gedächtnis bleiben. Auch aus diesen Erwägungen heraus müssen wir uns den kreativen Umgang mit unserer Muttersprache bewahren. Verzichten wir auf ihren Gebrauch, überlassen wir den wirtschaftlichen Erfolg über kurz oder lang denen, die ihre Muttersprache weltweit mit größerem Selbstbewußtsein einsetzen als wir es tun.“ Wir gratulieren unserem Autor Rolf Zick zur Niedersächsischen Landesmedaille. Diese Auszeichnung für sein journalistisches Werk erhielt er am 30. April dieses Jahres. In einer Feierstunde würdigte Ministerpräsident David McAllister Zicks „journalistische Präzision, kritische Distanz und menschliche Sympathie“. Mit seinem umfangreichen publizistischen Schaffen habe er Außergewöhnliches für das Land geleistet. Heute ist Zick Ehrenvorsitzender der Landespressekonferenz Niedersachsen. Herzlichen Glückwunsch!

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Bericht aus Berlin

risch, fromm, fröhlich, frei“ sind die Worte Friedrich Ludwig Jahns (1778 bis 1852). Er hat sie in seinem mit dem Turnlehrer Ernst Wilhelm Bernhard Eiselen verfaßten Buch „Die Deutsche Turnkunst“ bekanntgemacht. Der Gründer der deutschen Turnbewegung – mit Beinamen Turnvater – verdient in diesem Jahr in Berlin eine besondere Würdigung. Vor 200 Jahren, im Juni 1811, richtete er in der Hasenheide den ersten öffentlichen Turnplatz ein. Die Ausstellung „200 Jahre Turnbewegung – 200 Jahre soziale Verantwortung“ in der Max-Schmeling-Halle wandert durch Deutschland. Zu diesem Jubiläum werden die Erinnerungsstätten restauriert. Der Senat von Berlin übernimmt die Herrichtung des JahnDenkmals des Bildhauers Erdmann Encke in der Hasenheide. Am Fuße der vier Meter hohen Bronzefigur sind 112 Steine mit Inschriften angebracht. Diese Widmungen aus aller Welt rechtfertigen die Bezeichnung „sportliches Weltkulturerbe“: Ausgewanderte deutsche Turner schickten aus den Vereinigten Staaten von Amerika und aus Brasilien Steine mit Widmungen nach Berlin. Im 1848 gegründeten Turnverband „American Turners“ (www. americanturners.com) im Bundesstaat Ohio war Deutsch lange Zeit die offizielle Sprache. Der Verband pflegt auch heute das Erbe des Turnvaters. „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ – besonders die Bedeutung von „fromm“ und „fröhlich“ erläutert Jahn. Fromm sei der „Inbegriff aller sittlichen Thatkraft, aller Willensstimmung, als Pflichttreue und Voransein“. „Fröhlich muß mitteilen, gemeinsam empfinden.“ – Es gibt genug geborene und gewordene Berliner, die nach diesem Spruch handeln. So setzt sich die Bürgerinitiative Tempelhof 42, benannt

„Wegbrechen“ bis zum Erbrechen

nach der alten Postleitzahl, für den Flughafen Tempelhof als Weltkulturerbe ein. Der geschichtlich bedeutsame erste Hauptstadtflugplatz wurde unter großem Erschließungsaufwand teilweise der Hasenheide abgerungen. – Der Verein Schildhorn will das Denkmal für Jaxa von Köpenick im Grunewald auf einer Landzunge der Havel erhalten. Hier soll der heidnische Slawenfürst 1157 den Kampf gegen Herzog Albrecht den Bären aufgegeben und die Gründung der Mark Brandenburg ermöglicht haben. – Der Förderverein Berliner Schloß freut sich über seinen Umzug vom Hausvogteiplatz auf den Schloßplatz in die Humboldt-Box. Der Name „Box“ paßt überhaupt nicht für das in futuristischer Architektur gestaltete, fünf Stockwerke hohe Bauwerk an der Schloßbrücke vor der Museumsinsel. „Fromm“ in der Bedeutung Nutzen, Vorteil, vom althochdeutschen „fruma“ hergeleitet, wird der Geist der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt in den Mauern des Berliner Schlosses herrschen. Übrigens ist das HumboldtSchlößchen in Tegel noch im Familienbesitz und kann zur Sommerzeit nach Anmeldung besichtigt werden. Die Humboldt-Universität hütet Sammlungen, Archive und Bibliotheken. Lebendig hält sie auch das Bildungsideal Wilhelm von Humboldts, indem sie den Humboldt-Preis für gute Lehre auslobt. Der erste Preisträger, Roland Berbig, ist ein Förderer des wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der deutschen Literatur, beispielsweise bei der Erschließung von Nachlässen Walter Kempowskis und des Herausgebers der Lexika der deutschen Dichter Franz Brümmer.

S

teineklopfer treiben Keile in den Spalt eines Granitblocks, bis eine gewichtige Quaderscheibe auf robuste Fangbohlen poltert. Vom gefrorenen Ufer am Polarmeer lösen sich Eisberge und gischten in salzige Fluten. Eine unterspülte Steilküste überläßt den Wellen ein Hangstück samt Haus. Solcherart brrrechen jeweils mit eindrucksvollen Begleiterscheinungen massive Teile weg von riesigen Ganzheiten.

schrumpfende Geburtenraten? Brechen diese … weg? Ein mit schicksalhaften Geschehnissen befrachtetes Zeitwort wird gegenwärtig so arg abgenützt, daß bei häufig erfolgsarmer Wortsuche zu formulieren wäre, die Vokabelvorräte im Sprachzentrum seien weggebrochen. Doch innerhalb handlicher Größenordnungen können etwa Winzer mit linker Faust ertragsmindernde Seitentriebe wegbrechen.

„Frisch“ beteiligten sich fünf Berliner Grundschulen am Kostümwettbewerb für die Kinderoper „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Die Urenkelin und Leiterin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner, zeichnete die Sieger am 5. April in der Deutschen Oper Berlin aus und lud alle Beteiligten zur Uraufführung am 25. Juli nach Bayreuth ein. Wußten Sie, daß in Berlin Seefestspiele stattfinden? Die „Seebühne“ auf dem Wannsee spielt im August „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart.

Sind derartige Vorgänge auch angemessene Bilder für rückläufige Steuereinnahmen, schwindende Arbeitsplätze,

Mit welcher Vorsilbe aber brechen lebensnotwendige Arbeitsplätze? Ab? Aus? Ein? Nieder? – Zer!

„Fröhlich“ ging es beim Konzert der deutschen Musikgruppe „Die Prinzen“ am Anhal-

Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher Sicht (7) Von Günter Körner

ter Bahnhof zu. Hier begann am 3. April die Konzertreise zum 20. Bühnenjubiläum der im Leipziger Thomanerchor und im Dresdener Kreuzchor ausgebildeten Sänger, die sich auch mit Denglisch auseinandersetzen. Sie sangen wie immer nicht „fromm“, aber in deutscher Vielfältigkeit satirisch und humoristisch. So unbefangen und „frei“ gab sich der deutsche Dichter Jean Paul um 1800 in Berlin. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften beging seinen 248. Geburtstag mit einer Lesung aus dem Berliner Briefwechsel und der Vorstellung der zwei Briefbände sowie zweier Bände des gesamten Nachlasses in der Staatsbibliothek, der einst vom preußischen Staat angekauft wurde. Jean Paul schreibt am 10. März 1801 in Berlin an Königin Luise und trägt sich ein in das „Verzeichnis derer, welche heute der schönen und edeln Königin Glück zu Ihrem Geburtstage wünschen werden“. Nach Königin Luise fragt die russisch-deutsche Monatszeitung „Königsberger Allgemeine“ in einem Preisausschreiben ihrer Aprilausgabe. „Wie hieß die Königin, die den Königsbergern am Herzen lag?“ Königin Luise hielt sich zweimal mit ihrem Gatten König Friedrich Wilhelm III. in Königsberg auf: 1798 zu seiner Huldigung und 1806 auf der Flucht vor Napoleon. Die Zeitung versteht sich als „Informationsbrücke“ zwischen Rußland und Deutschland. Sie wurde in ihrem zweiten Erscheinungsjahr während der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB) im März verbreitet und ist neuerdings an Berliner Zeitungskiosken zu haben. Der beste Artikel für mich heißt „Für die Deutschlernenden“. Die russische Überschrift ist viel länger und lautet in der wortwörtlichen, unschönen Übersetzung „Für die, die die deutsche Sprache zu lernen wünschen“. Der im Werbestil gegliederte Zeitungsbeitrag endet nach einem Zitat der berühmtberüchtigten Einstellung Mark Twains zum Erlernen der deutschen Sprache: „In Wirklichkeit besteht kein Grund zur Sorge. Jeder, der schon mal Deutsch gelernt hat, wird bestätigen – diese Sprache ist nicht schwieriger als jede andere.“ Zwei Studentinnen berichten, wie das Lernen der deutschen Sprache kein frommer Wunsch blieb. Zu unser aller Nutz und Frommen könnte der Wahlspruch der deutschen Turner unseren Berliner Alltag erhellen: Frisch, fromm, fröhlich, frei! Anzeigen

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Sprache, wohin?

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Bemerkungen eines Sprachteilnehmers 2. Auflage Die Sprache hat, vor allem in den letzten Jahrzehnten, schlimme Entwicklungen genommen, die man weitgehend als Schwächung oder als Verschmutzung bezeichnen kann; ersteres vor allem in der Grammatik (z.B. Viele würden die Gefahr leider noch unterschätzen), letzteres vor allem im Wortgebrauch (z.B. schwul oder die Menschen bei den Reformen mitnehmen). [Zur Wortschatzverschlechterung gehört auch die Fremdwörterei, die graecolateinische und mehr noch die englische.] Der Verfasser stellt den verdorbenen Sprachgebrauch an den Pranger und zeigt zugleich, daß man sich davon freihalten kann; darüber hinaus, daß auch Sprachbereicherung möglich ist. – Im Anhang wird die Rechtschreib„reform“ zerpflückt. 288 Seiten * Euro 12,90 * ISBN 978-3-8280-2393-2 * Frieling-Verlag, Berlin

Bunte Seite

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Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 44_Sommer 2011

„Kein Pulver“ für Denglisch

Schleizer Bücherwurm

Die DEUTSCHE SPRACHWELT ehrt Peter Ramsauer

D

ie BILD-Zeitung platzte als erste mit der Neuigkeit heraus. Früher als geplant war diese durchgesickert. Am 10. März kürte BILD auf ihrer Titelseite Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer zum „Gewinner“, denn: „Bei Peter Ramsauer heißt Reisestelle wieder Reisestelle – und nicht ‚Travel Management‘: Weil er in seinem Amtsbereich mit dem „Denglisch“ (Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch) aufgeräumt hat, wird der Verkehrsminister am 16. März zum ‚deutschen Sprachwahrer 2010‘ gekürt. BILD meint: Deutsche Sprache, klare Sprache!“ Eine daraufhin verbreitete Meldung der Nachrichtenagentur dapd unterstützte die Vorberichterstattung, so daß die Öffentlichkeit noch vor der

Urkundenübergabe aufmerksam gemacht worden war. Mit der Urkunde und einem ganz besonderen Ortsausgangsschild (siehe Bild) traf am 16. März eine Abordnung der DEUTSCHEN SPRACHWELT im Bundesverkehrsministerium in Berlin ein. Für die DSW nahmen Wolfgang Hildebrandt, Lienhard Hinz, Hermann Neemann und Thomas Paulwitz teil. Vor der versammelten Presse dankte Paulwitz dem Minister im Namen der Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT für dessen Deutsch-Initiative. Viele seien das Kauderwelsch leid, mit dem sie überall bedrängt werden, so Paulwitz: „Denglisch ist nicht die Sprache der Bürger!“ Politik, Me-

Thomas Paulwitz (DEUTSCHE SPRACHWELT) und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer Bild: BMVBS

Von Dagmar Schmauks

dien und Wirtschaft ständen in einer besonderen Verantwortung. Die Sprache der Politik dürfe sich nicht von der Sprache des Volkes entfernen. Das sei einer Demokratie nicht würdig. Um so vorbildlicher sei Ramsauers Initiative. Dabei komme es nicht auf einzelne Wörter an, sondern darauf, zu seiner Sprache zu stehen: „Sie, sehr geehrter Herr Minister, halten keine Sonntagsreden, Sie handeln.“ Paulwitz appellierte an den Minister: „Halten Sie an Ihrer Deutsch-Initiative unbedingt fest!“ Ramsauer dankte für die „ganz großartige Auszeichnung“. Er forderte, „daß ein Politiker das, was er politisch will, gefälligst auch in der deutschen Sprache ausdrücken soll.“ Außerdem konnte der Minister mit einer erfreulichen Neuigkeit aufwarten: „Gestern hat mir Rüdiger Grube zugesagt, daß alle ‚Service Points‘ in ‚Information‘ umgetauft werden.“ Grube ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Daß er allerdings in seinem Ministerium angeordnet habe, „Laptop“ durch „Klapprechner“ zu ersetzen, müsse er leider berichtigen. Doch je öfter er das Wort höre, desto mehr könne er sich damit anfreunden. Bei anderen Wörtern ist Ramsauer allerdings unnachgiebig: „Ich habe die Bezeichnung ‚Call a Bike‘ untersagt.“ Andernfalls gebe es für die Leihfahrräder der Bahn „kein Pulver mehr“ aus seinem Hause. Er schlägt statt dessen „Stadtrad“ vor. Ramsauer bekannte: „Das Echo der Menschen zeigt mir, Deutsche sollten in Deutschland deutsch sprechen.“ (dsw)

Der Mütos lebt

W

erbung greift gerne auf die ältesten Menschheitsgeschichten zurück, weil deren Inhalte und Bilder weithin bekannt sind. Allerdings ist der Griff in diese Mythenkiste mehr oder weniger geschickt. Weil Herkules sich durch Kraft und Zuverlässigkeit auszeichnete, tragen allerlei Geräte vom Fahrrad bis zur Hebebühne seinen Namen. Was schmerzlich fehlt, ist lediglich eine Maschine zum Ausmisten aktueller Augiasställe … Ein Berliner Umzugsunternehmen hat den breitschultrigen Helden geschickt an die Gegenwart angepaßt, indem es ihn „Herr Kuhles“ nannte und ihm flinke Räder an die Füße schnallte.

nicht täglich denselben Bauschutt irgendwohin, sondern täglich neuen, aber macht das für das Ausmaß ihrer Mühsal wirklich einen Unterschied? Etwas beklommen hingegen betrachten wir die hübschen Schmuckstücke der „Pandora Geschenkeläden“. Hat nicht ausgerechnet Pandora das verhängnisvolle Kästchen auf die Erde mitgebracht, dem dann alle Plagen der Menschheit entwichen, als jemand entgegen der mitgelieferten Warnung neugierig hineinlugte? Sollte nicht gerade Pandora uns lehren, Geschenken zu mißtrauen? Aber nein, das Unternehmen verspricht „30 Tage Widerrufsrecht mit Geldzurück-Garantie“.

Wer mit den Sagen des Klassischen Altertums aufgewachsen ist, findet auch den Berliner „Containerservice Sisyphos“ sehr einleuchtend. Zwar rollen die Mitarbeiter wohl

Das verwirrendste Beispiel aber sind die „Porsche Ikarus-Zertifikate“. Bevor man frohgemut sein Vermögen so anlegt, möge man sich an die Legende erinnern. Der Tüftler Dä-

DSW-Silbenrätsel

dalus schuf künstliche Vogelschwingen, um mit seinem Sohn Ikarus aus Kreta zu fliehen. Eindringlich wies er Ikarus an, nicht so hoch zu fliegen, daß die Sonnenglut das Wachs schmelzen könnte. Ist Ikarus, der die Warnung mißachtete und nach steilem Höhenflug abstürzte, also nicht eher die eindrückliche Allegorie eines Bankenkrachs? Dennoch warten etliche mythische Wesen noch darauf, in die moderne Werbung einzugehen. So wäre „Zum schnaubenden Zentauren“ ein schöner Name für ein Reiterhotel und der „Danaiden-Teller“ ein einfaches Hilfsmittel gegen Heißhunger-Attacken … www.herrkuhles-transporte.de www.sisyphos-berlin.eu www.pandora.net

Von Juergen K. Klimpke

B

ücherwürmer gibt es viele auf der Welt. Meist können sie vom gedruckten Wort nicht genug bekommen und leben in ihren Behausungen gemeinsam mit Tausenden Büchern. Einen Bücherwurm mit 2 242 Beinen und ebenso vielen Händen hat man bisher aber nur einmal gesehen, nämlich am 8. April in der ostthüringischen Stadt Schleiz. Anlaß war der Umzug der dortigen Stadtbibliothek in ein neues Gebäude. Mit einer 720 Meter langen Menschenkette wurde dieser Umzug symbolisch vollzogen, indem einhundert Bücher, von Hand zu Hand gereicht, ihren Weg von den alten in die neuen Bibliotheksräume fanden. Darunter befanden sich auch das größte und das kleinste Buch des Bibliotheksbestandes. Die einhundert Bücher standen symbolisch für den 100. Todestag Konrad Dudens, dessen am 1. August 2011 gedacht wird. Duden war von 1869 bis 1876 Direktor des Schleizer Gymnasiums „Rutheneum“ und veröffentlichte 1871 im Jahresbericht der Schule erstmals seine Rechtschreibregeln. Ein Jahr später gab er mit dem Buch „Die deutsche Rechtschreibung“ sein erstes Rechtschreibebuch heraus. Das heute als „Schleizer Duden“ bekannte Werk war damals schon mit Regelwerk und Wörterverzeichnis ausgestattet. Und so waren es neben aktuellen Bü-

chern aus dem Bestand der Bibliothek auch diverse Duden-Ausgaben der vergangenen Jahrzehnte, die über den Bücherwurm ihren Weg in die neue Schleizer Bibliothek „Dr. Konrad Duden“ fanden. Der zumeist aus jungen Menschen bestehende Bücherwurm verbreitete in Windeseile eine außergewöhnliche Atmosphäre in der gesamten Stadt. Fröhlichkeit und Literaturinteresse bestimmten das Stadtbild. Sogar der Verkehr auf der vielbefahrenen Bundesstraße 94 zollte dem einmaligen Ereignis seinen Tribut und kam zur Ruhe. Doch immer wieder stockte die Weitergabe der Bücher. Viele der Bücherwurm-Teilnehmer konnten der Versuchung nicht widerstehen, in das eine oder andere Buch hineinzuschauen und ein paar Zeilen zu lesen. Juergen K. Klimpke ist stellvertretender Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Straße der deutschen Sprache“.

Bild: Juergen K. Klimpke

Sprachliche Kernschmelze U m die Atomkatastrophe rund um Fukushima in Japan zu beschreiben, fehlen vielen Menschen die Worte, selbst denen, die nun aufgewacht sind. Das ist in Anbetracht der schrecklichen Folgen durchaus verständlich. Nicht zu verstehen ist aber, wenn sich Nachrichtensprecher und Berichterstatter aufgrund ihrer Sprachlosigkeit bemüßigt sehen, ständig in die englische „Sprachkiste“ greifen zu müssen.

So wurde die Mannschaft des Technischen Hilfswerkes, die mit „Meßequipment“ ausgerüstet nach Japan geschickt wurde, als „Search and Rescue-Team“ bezeichnet. Donnerwetter, kann ich da nur sagen, aber – mal ganz ehrlich – war ihr etwa dadurch mehr Erfolg beschieden? Wenn im ZDF die Kernschmelze, die in der ARD auch schon mal als „melt down“ bezeichnet wurde, als „worst case“ hingestellt wird, tauchen Fragen auf. Soll der GAU, der „größte anzunehmen-

de Unfall“, durch sprachliche Tricks verharmlost oder gar dramatisiert werden? Oder fehlt es einfach nur an Deutschkenntnissen? Wird dann auch noch von einem „worst case-Fall“ (übersetzt: schlimmster Fall-Fall) gesprochen, sollte jedem klar sein: Mag auch die Gefahr einer totalen Kernschmelze in Japan noch lange nicht gebannt sein, in der deutschen Sprache ist sie im vollen Gange. Ob da ein „Search and Rescue-Team“ helfen kann, die Restlaufzeit der deutschen Sprache, bedingt durch die dauernden Störfälle, zu verlängern, bezweifelt Ihr Anglizismenmuffel Wolfgang Hildebrandt Wolfgang Hildebrandt, Mal ganz ehrlich – denglischst du noch oder sprechen Sie schon?, Band 2, ISBN 978-3929744-52-1, 6,00 Euro. Bestellungen: Wolfgang Hildebrandt, Am Steingrab 20a, D-27628 Lehnstedt, Telefon +49(0)4746-1069, Telefax +49-(0)4746931432, [email protected]

Von Dagmar Schmauks

är – ba – be – bel – bett – bit – bu – buch – chen – cher – de – der – di – fen – flü – ge – ge – gen – gür – haft – ham – herd – herz – hirsch – i – ka – kä – kal – klar – ko – kri – ku – kul – la – lach – lauf – laus – leer – len – li – list – lo – los – ma – ma – mal – mel – mer – mus – nal – nen – num – o – o – o – pa – per – platz – po – pres – pri – rech – ren – ro – rühr – schliff – schna – se – se – se – se – sei – sen – sex – sie – ster – ster – stift – streich – strich – tan – tas – tel – ten – ten – ter – ter – test – text – tur – vi – wachs – wei – wel – wi – zen – zi

Lösungen: 1. Bettgeflüster – 2. herzhaft – 3. Lawinenstrich – 4. Streichkäse – 5. Gerechter – 6. Bader – 7. Gürtelrose – 8. Lokalpresse – 9. Sextanten – 10. Lachnummer – 11. Rührkuchen – 12. Zivilist – 13. Wachsmalstift – 14. Ärmelkanal – 15. Magenbitter – 16. Platzhirsch – 17. Lausbube – 18. Buchweizen – 19. Idiotentest – 20. Wellenschliff – 21. Krisenherd – 22. kulturlos – 23. Hamster – 24. Primuskocher – 25. Seifenoper – 26. opalisieren – 27. Schnabeltasse – 28. Klartext – 29. Pomade – 30. Leerlauf

1. Wispern eines Schlafmöbels – 2. Gefängnisstrafe für ein Kreislauforgan – 3. von Schneemassen bedrohte Straßenprostitution – 4. verulkendes Milchprodukt – 5. jemand, der mit der Harke bearbeitet wurde – 6. zweitklassiges Blutgefäß – 7. duftende Blume am Taillenband – 8. Gerät zum Zerquetschen von Gasthäusern – 9. lüsterne weibliche Verwandte – 10. fröhliche Ziffer – 11. Gebäck, das einen zum Weinen bringt – 12. Trick eines Zivildienstleistenden – 13. Aufforderung an ein Schreibgerät, größer zu werden – 14. Wasserstraße für Pulloverteile – 15. jemand, der ein Verdauungsorgan anfleht – 16. explodierender Geweihträger – 17. junger

männlicher Blutsauger – 18. belesene Getreidesorte – 19. Prüfung eines Dummkopfes – 20. scharfe Kante von Wogen – 21. Kochgerät in schwieriger Lage – 22. geistig hochstehender Lotterieschein – 23. ein Kubikmeter englischer Schinken – 24. Gerät zum Garen des Klassenbesten – 25. schäumendes musikalisches Bühnenwerk – 26. jemanden zum Großvater machen – 27. Trinkgefäß für Vögel – 28. durchsichtiges Schriftstück – 29. Fliegenlarve am Hintern – 30. Rennen ohne Inhalt

Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle für Semiotik an der Technischen Universität Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft von den Zeichen.